Eine neue Automarke aus Waiblingen

Mit kleinen, kompakten Elektrotransportern will das Waiblinger Unternehmen Tyn-e den städtischen Lieferverkehr revolutionieren. Die Autos sollen nur die nötigste Ausstattung haben, um sie unkompliziert und günstig zu halten. Produziert werden sie beim chinesischen Partner.

Der TX1 ist das kleinste Fahrzeug in der Produktfamilie des neuen Unternehmens Tyn-e. Mit den elektrisch betriebenen Transportern will das junge Unternehmen aus Waiblingen den Lieferverkehr in Städten revolutionieren. Fotos: Heiko Potthoff

© TYN-e

Der TX1 ist das kleinste Fahrzeug in der Produktfamilie des neuen Unternehmens Tyn-e. Mit den elektrisch betriebenen Transportern will das junge Unternehmen aus Waiblingen den Lieferverkehr in Städten revolutionieren. Fotos: Heiko Potthoff

Von Kristin Doberer

Waiblingen. Die Automobilbranche prägt die Region Stuttgart seit Jahrzehnten, nun möchte sich neben den beiden großen Herstellern ein Start-up aus Waiblingen mit einer neuen Automarke auf dem Markt etablieren. Dabei ist der Name der Automarke Programm: Sie heißt Tyn-e, ausgesprochen klingt der Name wie tiny, das englische Wort für winzig. Die Fahrzeuge sind klein, kompakt und nur mit dem Nötigsten ausgestattet – aber immer noch mit genug Laderaum für Pakete, Post und sonstige Lieferungen. Denn gerade im innerstädtischen Bereich reiche es in der Zukunft nicht mehr, die Lieferwagen einfach auf Elektromobilität umzustellen. Denn in den Städten werde es immer enger, weshalb das Start-up auf die kleinen und kompakten Fahrzeuge setzt.

Die Idee, die hinter der Marke steckt, kam zunächst vor etwa vier Jahren beim Zeitungsverlag Waiblingen auf, wie Zeitungsverleger und Tyn-e-Gesellschafter Ullrich Villinger erklärt. Man habe sich Gedanken über die Zukunft des innerstädtischen Lieferverkehrs gemacht, nicht zuletzt mit Blick auf die Zeitungslieferungen. Allerdings steht nicht nur Villinger hinter der neuen Marke: Tyn-e ist ein sogenanntes Joint Venture – also ein Zusammenschluss mehrerer Unternehmen –, an dem auch die bereits im Automobilbereich tätigen Unternehmen ShareX und Albert Weber international beteiligt sind. „Wir haben ganz oft gesagt bekommen: Ihr seid doch verrückt, ihr habt keine Chance“, erinnert sich Markus Graf, Vorstandsvorsitzender von ShareX Mobility und Tyn-e-Geschäftsführer. Die ursprüngliche Zielgruppe waren Logistikbetriebe, doch auch für Handwerker, Baubetriebe, Gärtnereien und andere Dienstleistungsunternehmen, die in einem örtlich begrenzten Raum unterwegs sind, sollen sich die vollelektrischen Lieferwagen eignen. Auch könne man sich vorstellen, dass gerade Kommunen ihren Bauhof mit den Fahrzeugen bestücken. „Wir haben aber auch immer mehr Anfragen von Privatpersonen“, sagt Markus Graf. Da gebe es dann doch Wünsche nach Sonderaufbauten, zum Beispiel einen Wohnmobilaufbau oder für die Verwendung als Foodtruck. Dabei will Tyn-e dann mit darauf spezialisierten Unternehmen zusammenarbeiten.

Drei Fahrzeugtypen sind nun auf dem europäischen Markt erhältlich

Im Moment bietet das Unternehmen drei Fahrzeugtypen an. „Sie sind klein, wendig und leicht zu bedienen“, sagt Eberhard Wizgall von Weber Holding zur Fahrzeugfamilie. Das Kleinste ist der Van TX1, der gerade einmal 3,5 Meter lang, 1,47 Meter breit und 1,67 Meter hoch ist. Trotzdem habe er ein Ladevermögen von über zwei Kubikmetern, betont Eberhard Wizgall. Die Batterie mit 17 Kilowattstunden befindet sich unter den Vordersitzen. „Die Batterie ist eine Besonderheit“, sagt er. Denn die 320-Volt-Lithium-Eisen-Phosphat-Zelltechnik soll unempfindlich bei Beschädigungen sein. Dann gibt es noch zwei etwas größere Varianten, den TX2 und den TX7. Beide sind mit 4,4 Metern etwas länger, die Höhe wird vom jeweiligen Aufbau bestimmt. So können sich die Kunden für eine Pritsche oder für einen Kofferaufbau entscheiden.

Tyn-e-Gesellschafter Ullrich Villinger (rechts) nimmt mit Geschäftsführer Markus Graf (Zweiter von rechts) und dem technischen Geschäftsführer Eberhard Wizgall (links) das Geschenk zum Verkaufsstart in Europa von Liu Chuanfu, Geschäftsführer des chinesischen Produzenten Shandong Horche, entgegen.

© TYN-e

Tyn-e-Gesellschafter Ullrich Villinger (rechts) nimmt mit Geschäftsführer Markus Graf (Zweiter von rechts) und dem technischen Geschäftsführer Eberhard Wizgall (links) das Geschenk zum Verkaufsstart in Europa von Liu Chuanfu, Geschäftsführer des chinesischen Produzenten Shandong Horche, entgegen.

Bei der Entwicklung war dem Unternehmen besonders wichtig, dass die Fahrzeuge auf das Nötigste beschränkt werden. „Es gibt keine Sonderausstattungen“, sagt Geschäftsführer Markus Graf. Zum Beispiel werde es das Fahrzeug nur in einer Farbe geben, auf individuelle Ausstattungswünsche oder nicht unbedingt nötige Zusatzfunktionen werde verzichtet. „Wir haben keine elektrisch verstellbaren Seitenspiegel, das muss man eben mit der Hand machen“, nennt Graf nur ein Beispiel.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass zum Teil beim Thema Sicherheit auch auf eine gewisse Ausstattung verzichtet wurde. So gibt es bisher zum Beispiel noch keinen Airbag in den Fahrzeugen von Tyn-e. Man erfülle aber alle Anforderungen der Crashtests, versichert Wizgall. Außerdem werde das in der Zukunft sicher noch kommen. Der Preis für die Fahrzeuge beginnt bei knapp 20.000 Euro netto, damit liege man deutlich unter anderen Lieferwagen, so Graf.

Alle Fahrzeuge können entweder an einer Wallbox oder einer 220-Volt-Steckdose geladen werden, haben eine Höchstgeschwindigkeit von 81 Kilometern pro Stunde und eine Reichweite von 100 bis 150 Kilometern. „Laut der Rückmeldung der Kunden ist das auch ausreichend“, sagt Wizgall. Schließlich sind die Fahrzeuge nicht für lange Strecken, sondern für den Lieferverkehr in der Stadt konzipiert.

Produziert werden die Fahrzeuge vom chinesischen Partner Shandong Horche

Diese Rückmeldung stammt zum Teil von den Kunden aus China, hier seien die Fahrzeuge bereits auf dem Markt und haben dementsprechend „keine Kinderkrankheiten mehr“, so Wizgall. Aber auch in Waiblingen ist ein Tyn-e-Fahrzeug schon unterwegs. Bei dem Lieferunternehmen BW Post wird ein Fahrzeug gerade getestet. Dort sei man zufrieden, sagt Villinger.

Entwickelt wurden die Fahrzeuge in den vergangenen vier Jahren, in dieser Zeit wollte man sich zunächst zurückhalten und keine zu großen Versprechungen machen, so die Gesellschafter bei der offiziellen Inbetriebnahme der neuen Firmenzentrale in Waiblingen. „Aber jetzt sind wir da“, sagt Markus Graf. Ab Juli sollen dann nämlich deutlich mehr Leichtfahrzeuge der neuen Marke unterwegs sein, denn dann startet die Auslieferung in Europa. Rund 800 Händler hätten bereits Interesse an der Marke gezeigt, nicht nur aus Deutschland. So starte das Unternehmen demnächst auch mit der Zusammenarbeit mit etwa 20 Händlern in Spanien. Zunächst plant das junge Unternehmen mit dem Verkauf von bis zu 500 Fahrzeugen im laufenden Jahr.

Produziert werden die Fahrzeuge allerdings nicht in Europa, sondern vom chinesischen Partner Shandong Horche. Laut Geschäftsführer Liu Chuanfu handelt es sich dabei um eines der führenden chinesischen Unternehmen bei der Produktion von kleinen E-Lastenfahrzeugen. Obwohl es verschiedene Angebote gegeben habe, habe sich sein Unternehmen für die Zusammenarbeit mit Tyn-e entschieden, das künftig die einzige Europazentrale sein werde, so Liu Chuanfu. Das bedeutet aber auch, dass die Lieferzeit für die Fahrzeuge bei zwei bis drei Monaten liegen wird. Schließlich müssen sie zunächst den weiten Weg nach Europa zurücklegen. Die Tyn-e-Geschäftsführer blicken nun auf jeden Fall positiv auf den Start in Europa. Aufgrund der hohen Nachfrage wolle man nicht nur die Produktion hochfahren, auch ein weiteres Modell in der L7e-Leichttransporterklasse ist bereits in der Planung. Auch rechnen sie damit, dass am Standort Waiblingen viele neue Arbeitsplätze entstehen könnten – im hohen zweistelligen Bereich.

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Erstellt:
12. April 2024, 06:00 Uhr

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