Eine neue Heimat für 1000 Backnanger
Wohnungsbauministerin Nicole Razavi besichtigt in Backnang die Erfolge der städtebaulichen Sanierung im Gebiet Obere Walke. Land und Bund unterstützen die Maßnahmen seit Jahren mit einem Zuschuss von 2,7 Millionen Euro. Dibag Industriebau reicht zweiten Bauantrag ein.

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Sebastian Kuhlen von der Dibag AG stellte bei einem Empfang auf dem Gelände Obere Walke das Mammutprojekt vor. Später übergab Wohnungsbauministerin Nicole Razavi dem Backnanger Oberbürgermeister Maximilian Friedrich die Stadt-Bürger-Dialog-Plakette der Städtebauförderung.Foto: A. Becher
Von Matthias Nothstein
Backnang. Mit rund 2,7 Millionen Euro haben Land und Bund in den vergangenen Jahren die städtebauliche Sanierung des Gebiets Obere Walke saniert. Gestern machte sich die Landesministerin Nicole Razavi (CDU) nun vor Ort ein Bild von den Errungenschaften, die in den vergangenen Jahren mithilfe dieses Fördergeldes in Backnang erreicht werden konnten.
Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich empfing die Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen im historischen Rathaus, damit Razavi sich ins Goldene Buch der Stadt eintragen konnte, und präsentierte danach der Besucherin bei einem Spaziergang durch den Annonay-Garten und entlang der neuen Murrpromenade bis zur Oberen Walke, wie das Geld angelegt wurde. Denn anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich bei dem Sanierungsgebiet Obere Walke nicht nur um die Fläche der gleichnamigen Industriebrache. Vielmehr gehören auch die angrenzenden Bereiche wie etwa die Gartenstraße zu dem Fördergebiet. Die ersten Meter des Stadtspaziergangs führten den Tross jedoch durch den unteren und wenig ansehnlichen Teil der Marktstraße. Stadtbaudezernent Stefan Setzer nutzte die Gelegenheit, die Ministerin darauf hinzuweisen, dass Backnang zwar schon vieles geleistet habe, dass aber dennoch weitere riesige Herausforderungen anstehen, für die weitere Förderzuschüsse nicht nur hilfreich, sondern geradezu zwingend nötig seien.
Stadterneuerung ist eine Aufgabe, die nie aufhört.
Auf der Oberen Walke angekommen betonte Oberbürgermeister Maximilian Friedrich bei einem Empfang, den die Dibag Industriebau AG auf dem Baugelände gab, dass Backnang bereits seit Jahrzehnten mit großem Erfolg städtebauliche Erneuerungsmaßnahmen vorantreibt, stets auch gefördert vonseiten des Landes Baden-Württemberg und des Bundes. „Das heutige Gesicht Backnangs verdanken wir so zu großen Teilen diesem tollen Instrumentarium sowie der finanziellen Hilfe von Land und Bund.“ Aber Friedrich betonte ebenso, dass Stadterneuerung auch in Backnang niemals aufhört: „Mit seiner stolzen Geschichte als frühere Hochburg der Leder- und Gerberindustrie kommt verschiedenen Arealen eine herausragende neue Bedeutung zu.“ So zum Beispiel der Oberen Walke. Als Ende vergangenen Jahres der Bebauungsplan beschlossen wurde, habe auch ein mehrjähriger intensiver Planungsprozess seinen Abschluss gefunden. Inzwischen entsteht bereits ein neues Pflegestift, das nach der Fertigstellung vom Unternehmen Dienste für Menschen betrieben wird. Friedrich zeigte sich überzeugt, dass mit dem Baubeginn und dem zügigen Voranschreiten der Baumaßnahme der Grundstein für eine gesamtstädtische, bedeutungsvolle Entwicklung gelegt wurde. Und er blickte nach vorne: „Insgesamt können über die nächsten Jahre bis zu 450 dringend benötigte Wohneinheiten errichtet werden, davon fast 100 bezahlbare Wohnungen. Das ist ohne Zweifel ein Meilenstein zur Linderung der Wohnungsnot in unserer Stadt.“
Sebastian Kuhlen von der Dibag freute sich, zum Besuch der Ministerin das Projekt nochmals ausführlich vorstellen zu können. Nach vielen Jahren der Vorbereitung stehe man nun „am Übergang von der Planung zur Bauphase, von der Vision zur Umsetzung“. Der erste Bauabschnitt mit dem Pflegestift laufe schon auf Hochtouren. Und der Bauantrag für den zweiten Bauabschnitt für 102 Wohnungen und das Ärztehaus „ist heute eingereicht worden“. Und selbst für die Abschnitte drei und vier konnte Kuhlen bereits einen Zeitplan vorgeben. Für sie werden die Bauanträge noch im Juni eingereicht. Sein Fazit: „Wir gestalten hier Heimat für mehr als 1000 Backnanger Bürger.“
Beispielhafte ökologische Aufwertung des Ufers eines Flusses
Ministerin Nicole Razavi zeigte sich anlässlich des Abschlusses dieser Sanierung beeindruckt von dem bereits Geleisteten: „In Backnang ist beispielhaft zu sehen, wie es mit Hilfe der Städtebauförderung gelingen kann, das Ufer eines Flusses ökologisch aufzuwerten, einen Grünzug und damit einen Erholungsort für die Bewohner zu schaffen und eine Gewerbebrache zu revitalisieren.“ Gleichzeitig verwies sie darauf, dass die Städtebauförderung ein lernendes Programm sei, sodass mit den Fördermitteln des Bundes flexibel auf immer wieder neue Herausforderungen reagiert werden kann. „Wir unterstützen damit die Kommunen dabei, Quartiere aufzuwerten, Brachflächen neu zu nutzen, Wohnraum zu schaffen und Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung umzusetzen.“ Außerdem erinnerte sie daran, dass jeder Fördereuro bis zu acht weitere Euro an Folgeinvestitionen auslöst, was nachhaltig auch Beschäftigungsimpulse im regionalen Baugewerbe erzeugt. Ein besonderes Lob ging an die Dibag: „Es ist eine große Herausforderung, den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum zu decken. Aber diese Herausforderung können wir durch solche Projekte meistern.“
Friedrichs Blick ging erneut in die Zukunft. Das Quartier mit seinen Innovationen und Lösungsentwicklungen müsse Planungsmaßstäbe setzen. So werde nicht nur der Hochwasserschutz verbessert, sondern es würden auch weitere attraktive, öffentlich nutzbare Anlagen an der Murrpromenade geschaffen. All dies sorge für ein lebenswertes Wohnumfeld. Ebenso zukunftsfähig sei der Bau einer Heizzentrale mit Holzhackschnitzeln durch die Stadtwerke Backnang mit der Option, weitere Bestandsquartiere anzubinden.

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Städtebauförderung Das Instrument Städtebauförderung gibt es in Baden-Württemberg seit 1971. Backnang profitiert laut Nicole Razavi seit 1974 davon und hat sich als Musterschüler hervorgetan. Razavi zeigte sich beeindruckt vom bisherigen Engagement der Murrmetropole. Im Land wurden seit Förderbeginn 8,4 Milliarden Euro Zuschüsse ausbezahlt, 900 Kommunen hätten davon profitiert.
Abbruch In Backnang wurden leer stehende oder mindergenutzte Fabrikgebäude abgebrochen, sodass die Voraussetzungen für die Umwandlung des einstigen Industriegebietes in ein modernes Wohnviertel geschaffen wurden.
Gartenstraße Die im nördlichen Bereich des zukünftigen innerstädtischen Wohnquartiers liegende Gartenstraße wurde umfassend neugestaltet und zu einer tragfähigen Haupterschließungsstraße ausgebaut. Durch Grünstreifen auf beiden Seiten und Baumpflanzungen erhielt sie den Charakter einer Allee.
Murrpromenade Am südlichen Rand des städtebaulichen Erneuerungsgebietes wurde die Murrpromenade neugestaltet. Die Fahrbahn wurde zurückgebaut und ein vier Meter breiter Geh- und Radweg mit seitlichen Sitzgelegenheiten und einer Sitztreppe mit direktem Zugang zur Murr geschaffen. Das Ufer wurde durch kleine Buchten, Steinschüttungen und den Einbau von Röhrichtwalzen ökologisch aufgewertet.
Annonay-Garten Zwischen der Annonay-Straße,der Murr und dem Feuerwehrhaus entstand mit dem Annonay-Garten ein neuer Treffpunkt für die Bewohner in der Stadt. Es wurden Grün- und Freiflächen, ein Spielplatz und eine Parkour-Anlage sowie eine Toilettenanlage geschaffen. Der Garten ist so zu einem bei Alt und Jung beliebten Ort der Begegnung geworden, der immer belebt ist.
Klimaschutz Neben der Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum liegt ein wichtiger Förderschwerpunkt des Städtebauförderungsprogramms auf Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel sowie zur ökologischen Erneuerung. So wurden im Sanierungsgebiet Obere Walke zwölf Wohnungen modernisiert und die Voraussetzungen für die Entstehung von weiterem Wohnraum geschaffen.
Obere Walke Die Dibag Industriebau AG wird in den nächsten Jahren auf dem insgesamt fünf Hektar großen Areal zwischen Gartenstraße und Murr in mehreren Teilabschnitten ein Pflegeheim mit 75 Zimmern und 40 Wohnungen, ein Ärztehaus und rund 450 Wohneinheiten bauen. Das Gesamtprojekt soll bis 2027 abgeschlossen sein.