Eine Tradition im Wandel

Das Wirtshaus bleibt im Dorf (10): Stammtische sind keine Männerdomäne mehr – Tägliches Treffen wird zur Ausnahme

Am Stammtisch kommen regelmäßig die wichtigsten (meist männlichen) Persönlichkeiten eines Ortes zusammen und politisieren. So war das zumindest lange Zeit. Die Tradition des regelmäßigen Treffens in einem Wirtshaus wird noch immer gepflegt, doch die Stammtischkultur unterliegt einem Wandel.

Auf ein Feierabendbier treffen sich Thomas Wurst, Joachim Gassmann, Heinz Mildenberger, Hans-Jörg Weinbrenner und Eberhard Wurst (von links) regelmäßig. Fotos: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Auf ein Feierabendbier treffen sich Thomas Wurst, Joachim Gassmann, Heinz Mildenberger, Hans-Jörg Weinbrenner und Eberhard Wurst (von links) regelmäßig. Fotos: A. Becher

Von Lorena Greppo

ASPACH. Die Stimmung ist gut an dem länglichen Tisch in der Nische der Gaststätte „Zum Kube“, es wird viel gelacht. Helga Sommer erzählt, wie sie in ihrer aktiven Zeit als Zeitungsausträgerin allerhand über ihre Nachbarn erfahren hat. „Ich wusste immer, wer in den frühen Morgenstunden erst nach Hause gekommen ist und woher“, berichtet sie verschmitzt. Ihre Gesprächsrunde – ein Kreis von bis zu zwölf Frauen – trifft sich regelmäßig zum regen Austausch. Ein Stammtisch nur für Frauen? Früher war das noch die Ausnahme, heute sei das alles andere als ungewöhnlich, erzählt die Wirtin Konstanze Kube. Eine Männerdomäne sei der Stammtisch schon lange nicht mehr. „Da ist auch vom Alter her alles dabei“, sagt sie.

Allein an jenem Abend verzeichnet das Aspacher Lokal fünf verschiedene Stammtische. Täglich treffe sich mittags etwa der Stammtisch der alteingesessenen Junggesellen und Witwer, erzählt Konstanze Kube. Dazu gesellten sich auch mal ein paar Handwerker. Diese Tradition des täglichen Treffens sei aber eher rückgängig, „junge Geschäftstätige haben dafür nicht mehr die Zeit“, weiß die Wirtin. Auch ihr Mann Thomas erinnert sich: „Früher ging es noch anders zur Sache. Als die Gegend noch stärker landwirtschaftlich geprägt war, haben sich die Bauern nach der Arbeit hier auf ein Bier getroffen.“ Stattdessen gebe es nun mehr wöchentlich oder monatlich getaktete Stammtische. Oftmals seien es ehemalige Arbeitskollegen, die den Kontakt halten wollen, oder aber Menschen mit gleichen Interessen, etwa das Motorradfahren. Ein Stammtischschild aus Holz oder Metall hat hier keine Gruppe, zwei Runden haben aber einen Wimpel auf dem Tisch stehen.

Alle vier Wochen trifft sich beispielsweise die gesellige Damenrunde und das schon seit 30 Jahren. Gefunden hat sich die Runde über einen gemeinsamen Gymnastikkurs – die Teilnehmerinnen verstanden sich so gut, dass sie beschlossen, sich auch außerhalb des Turnens zu treffen. „Eigentlich hatten wir vor, einen Strickstammtisch daraus zu machen“, verrät Helga Sommer. Aber rasch hätten sie festgestellt, dass mehr geschwätzt als gestrickt wurde. „Dann haben wir das ganz schnell gelassen“, erzählt Hilde Abele. Die Gesprächsthemen des Stammtischs umfassen alle Lebensbereiche. „Wir sprechen über gemeinsame Bekannte, was in der Gegend so passiert, darüber, was gekocht wird und was man im Garten gepflanzt hat“, erzählt Gisela Gratzka. Nur Politik spiele eine untergeordnete Rolle, „weil die Meinungen da sehr verschieden sind“. Ein Streit sei deshalb aber noch nie ausgebrochen. „Jeder hat seine Meinung und die wird akzeptiert“, stellt Erika Werner klar. Überwiegend nutzen die Frauen das Treffen auch, um sich gegenseitig auf den neusten Stand zu halten. Wer hat geheiratet? Wer vielleicht einen neuen Job? Wer ist im Nachbarhaus eingezogen? Beim Stammtisch erfährt man es.

Im Heimatbuch Oppenweiler beschreibt der langjährige Bürgermeister der Gemeinde, Julius Zehender, das Wirtshaus als die „lokale Informationsquelle schlechthin“. Das scheint immer noch so zu sein. Der Dorfstammtisch war lange Zeit der Treffpunkt schlechthin für angesehene Männer des Ortes, an dem auch die eine oder andere wegweisende Entscheidung für den Ort getroffen wurde. „Früher gab es auch noch Firmenchefs, die ihren Betrieb vom Stammtisch aus geleitet haben“, erzählt Thomas Kube, dessen Familie das Wirtshaus schon seit 1954 führt. Auch er selbst gehört zu den Mitgliedern einer Männerrunde, die man an jenem Abend im Außenbereich des Lokals antrifft – ein Teilnehmer ist auch der Aspacher Bürgermeister Hans-Jörg Weinbrenner. Ist das womöglich jener Stammtisch, an dem die wichtigen Entscheidungen der Gemeinde getroffen werden? Überhaupt nicht, versichert Weinbrenner. „Sonst bin ich im Dienst, egal wo ich hingehe. Hier bin ich hingegen rein privat.“ Auch seien Ortsangelegenheiten an diesem Stammtisch nur selten Gesprächsthema. „Wir versuchen, nach Möglichkeit nicht über die Arbeit zu reden“, erklärt Heinz Mildenberger. Zweimal im Monat treffen sich die Männer, organisiert wird sich über eine WhatsApp-Gruppe. Die Faszination eines Stammtischs beschreiben die Männer so: „Man geht in die Wirtschaft und weiß, da ist jemand, den man leiden kann.“ Joachim Gassmann fügt hinzu: „Es steht und fällt aber auch mit dem Wirt.“ Für die Familie Kube sind die vielen Stammtische ein großes Plus – und das nicht nur, weil sie einen konstanten Umsatz bringen. „Es ist schön, wenn man sich regelmäßig sieht“, findet Konstanze Kube. „Wir pflegen ein gutes Verhältnis zu unseren Gästen.“

Vor mehr als 30 Jahren haben sie sich beim Turnen kennengelernt, inzwischen treffen sich die Frauen um Hilde Abele, Helga Sommer und Erika Werner (von rechts) monatlich im Lokal „Zum Kube“.

© Pressefotografie Alexander Beche

Vor mehr als 30 Jahren haben sie sich beim Turnen kennengelernt, inzwischen treffen sich die Frauen um Hilde Abele, Helga Sommer und Erika Werner (von rechts) monatlich im Lokal „Zum Kube“.

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Erstellt:
9. Juni 2018, 06:00 Uhr

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