Englisch auf dem Amt? Gar nicht so gefragt
Mit einem Vorschlag hat die FDP zu Beginn dieser Woche für Aufmerksamkeit gesorgt: Englisch solle nach Deutsch zweite Amtssprache werden. Damit könne Fachkräften aus dem Ausland die Ankunft in Deutschland erleichtert werden. Doch wie realitätsnah ist dieser Vorstoß überhaupt?

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Jennifer Reinert ist in Weissach im Tal für das Integrations- und Flüchtlingswesen zuständig. Sie spricht Englisch. Dass alle Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter die Fremdsprache beherrschen, hält sie jedoch nicht für zwingend notwendig. Foto: Alexander Becher
Von Melanie Maier
Rems-Murr. Sich im deutschen Behörden- und Bürokratiedschungel zurechtzufinden, das kann schon herausfordernd sein, wenn man muttersprachlich Deutsch spricht. Eine Steuererklärung abgeben beispielsweise oder Elterngeld beantragen – allein für das Ausfüllen solcher Formulare sollte man am besten jemanden zur Seite haben, der sich damit auskennt, oder wenigstens einen Tag zur freien Verfügung haben. Menschen, die neu in Deutschland ankommen, müssen viele Formulare ausfüllen. Die FDP fordert deshalb, Englisch solle nach Deutsch die zweite Amtssprache werden. Damit, so die Liberalen, könne Fachkräften aus dem Ausland die Ankunft in Deutschland erleichtert werden. Dass solle die Bundesrepublik als Einwanderungsland attraktiver machen, denn pro Jahr werden nach Angaben der FDP rund 400000 Menschen aus dem Ausland benötigt, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Zur Erleichterung der Zuwanderung hat das FDP-Präsidium am Montag ein Zehn-Punkte-Programm verabschiedet, zu dem der Vorschlag gehört. Doch ergibt er überhaupt Sinn?
In Backnang wird mit Dolmetschern gearbeitet
Die Stadt Backnang hält den Vorschlag zum derzeitigen Zeitpunkt für nur schwer umsetzbar und wenig zielführend. Einfache Sachverhalte wie die Anmeldung eines Wohnsitzes können im Bürgerservice zwar schon problemlos auf Englisch abgewickelt werden. Bei komplexeren und wichtigeren Sachverhalten – zum Beispiel beim Thema Aufenthaltsrecht – werde in der Ausländerbehörde mit muttersprachlichen Dolmetschern gearbeitet, teilt Pressesprecher Christian Nathan mit. Englisch sei nur in einzelnen Fällen hilfreich; gebraucht würden vor allem arabisch-, türkisch-, russisch- oder ukrainischsprachige Dolmetscher.
In den allermeisten Bereichen bestehe gar kein Bedarf nach englischsprachiger Auskunft, so Nathan. Dementsprechend wäre ein zweisprachiger Behördenbetrieb ein beträchtlicher, unnötiger Mehraufwand. Zudem würde das Einstellungskriterium der Zweisprachigkeit den ohnehin bestehenden Personal- und Fachkräftemangel weiter verschärfen. „Das dahinter stehende Ziel, den Behördengang für Migrantinnen und Migranten zu erleichtern, nehmen wir als Stadtverwaltung aber sehr ernst“, betont Nathan. „Gerade im Bürgerservice und in der Ausländerbehörde wird sehr darauf geachtet, den Behördengang für alle möglichst unkompliziert und barrierefrei zu gestalten.“ Dazu zähle auch die Verwendung einfacher Sprache.
Leichte Sprache bietet Vorteile
Die Verwendung der sogenannten Leichten Sprache auf deutschen Ämtern würde Maria Neideck vom Arbeitskreis Asyl Backnang begrüßen. Leichte Sprache ist mit ihren besonderen Regeln – Sätze zum Beispiel müssen kurz sein und dürfen nur eine Aussage enthalten – sogar noch einfacher zu verstehen als die sogenannte einfache Sprache. Sie zu verwenden würde für alle Vorteile bieten, findet Neideck. Englisch sprechende Behördenmitarbeiter dagegen würden ihrer Erfahrung nach das Verständigungsproblem für Geflüchtete nicht lösen, da diese oft selbst kein Englisch sprechen, bestätigt sie die Schilderung der Backnanger Stadtverwaltung. Und für ausländische Fachkräfte mit Englischkenntnissen sei der Nutzen nicht groß genug. „Ich denke, die Fachkräfte, die angeworben werden sollen, müssen sich ja auch nicht nur ‚auf dem Amt‘ verständigen können, sondern auch in ihrem Berufsalltag“, führt sie aus. „Und da ist in den meisten Bereichen mutmaßlich eher Deutsch als Englisch gefragt.“
Neideck plädiert dafür, Leichte Sprache in allen behördlichen Bereichen – sowohl schriftlich als auch mündlich – zur Regel zu machen. „Das würde sehr, sehr vielen Deutsch-Muttersprachlern und Menschen, deren zweite oder dritte Sprache Deutsch ist, den Umgang mit Behörden erleichtern – den Mitarbeitern in den Behörden übrigens auch“, sagt sie.
Hannah Nothstein, Sozialarbeiterin vom Backnanger Verein Zukunftswerkstatt Rückenwind, fände es hingegen wünschenswert, wenn alle Beamtinnen und Beamten Englisch sprechen würden. „Das hilft sicher jedem, der mit einem Arbeitsvisum hierherkommt und kein Deutsch spricht“, sagt sie. Ob aber Englisch gleich zweite Amtssprache werden müsse, wisse sie nicht, fügt sie hinzu: „Wenn jemand fachlich richtig gut ist, finde ich das wichtiger.“
Im Jobcenter wird seit Kurzem eine Übersetzungssoftware getestet
Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Backnanger Stadtverwaltung derzeit schon fließend Englisch sprechen wird nicht erfasst. Englischkenntnisse seien bisher nur im Bereich Tourismus und Partnerstädte Einstellungskriterium, teilt Pressesprecher Christian Nathan mit.
Auch auf dem Landratsamt muss neues Personal nicht zwingend Englisch sprechen. „Es kommt auf den Bereich an“, erklärt Pressesprecherin Leonie Graf. „Als Europabeauftragte brauchen Sie sicherlich Englischkenntnisse, in anderen Bereichen ist es nicht so relevant.“ Im Jobcenter, wo viele der Kundinnen und Kunden weder Deutsch noch Englisch sprechen, wird seit Kurzem eine Übersetzungssoftware mit 76 Sprachen getestet. „Das funktioniert sowohl schriftlich als auch mündlich ganz gut“, so Graf.
In solche digitalen Übersetzungshilfen und -programme zu investieren würde übrigens auch der Deutsche Beamtenbund (dbb) begrüßen. Eine pauschale Einführung von Englisch als zweiter Amtssprache hält auch der dbb hinsichtlich des erforderlichen Mehraufwands für wenig zielführend.
Auch bei Geflüchteten fehlt es manchmal an Englischkenntnissen
In kleineren Gemeinden wäre der Vorschlag vermutlich gar nicht umsetzbar. Englisch sei sicher nicht die Sprache, die in kleinen Kommunen wie Weissach im Tal vorherrschend sei, sagt Jennifer Reinert, die in Weissach im Tal für das Integrations- und Flüchtlingswesen zuständig ist. „Eine Fremdsprache zur zusätzlichen Verwaltungssprache zu machen, bringt einen hohen Verwaltungsaufwand mit sich und erfordert einen sehr großen Vorlauf“, erklärt sie. Sämtliche Formulare, Bescheide, Systeme und Abläufe müssten zweisprachig zur Verfügung stehen beziehungsweise ausgearbeitet werden können. Und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten dann Englisch auf einem angemessenen Sprachniveau beherrschen. „Derzeit ist das in keiner Weise gewährleistet“, so Reinert.
Sie selbst spricht zwar Englisch und sagt, die gemeinsame Sprache erleichtere die Kommunikation mit englischsprachigen Kunden auf jeden Fall. Allerdings, fügt auch sie hinzu, seien bei Geflüchteten aus arabischsprachigen Ländern und aus der Ukraine in den vergangenen Jahren kaum Englischkenntnisse vorhanden gewesen. Daher lautet Reinerts Fazit ebenfalls: „Die Einführung von Englisch als zweite Amtssprache würde einen sehr großen Aufwand für die Verwaltung, jedoch nur einen sehr geringen Nutzen für die Zuwanderer darstellen.“