Enormer Sportsgeist bei der Handicap-Sportgruppe des SV Steinbach
Die Handicap-Sportgruppe des SV Steinbach erfreut sich bei den Teilnehmern und deren Eltern größter Beliebtheit. Für die einen, obwohl es kein Inklusionsangebot ist, für die anderen gerade deshalb. Alle sind sich einig: Das Wichtigste ist, überhaupt regelmäßig in Bewegung zu sein.

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Sophia Karadag (links) befördert den Ball geschickt durch den Ring. Kursleiterin Jule Kugler hat viele Spielideen.Fotos: Alexander Becher
Von Steffen Grün
BACKNANG. „Schnell, Sophia“, ruft Sophia Kugler ihrer Namensvetterin zu. Das lässt sich Sophia Karadag von der Kursleiterin der Handicap-Sportgruppe des SV Steinbach nicht zweimal sagen. Sie rennt vom einen zum anderen Ende der Dorfhalle, schnappt sich den dort bereitliegenden Würfel und wartet gespannt auf die Zahl, die zum Vorschein kommt. Es ist die Vier, die deshalb auf einem Blatt Papier durchgestrichen wird, bevor die 29-Jährige wieder zum Startpunkt zurückrennt und mit einem ihrer Mitstreiter abklatscht. Diese Prozedur wiederholt sich so lange, bis das erste der beiden gegeneinander antretenden Teams alle Zahlen von eins bis sechs einmal gewürfelt hat. „Ich gewinne“, zeigt sich Sophia Karadag zuversichtlich – und kurz darauf ist es tatsächlich so weit. Die, die auch dazu beigetragen haben, nehmen ihr es nicht krumm, dass ihr das „Wir“ vor lauter Euphorie über den nahenden Erfolg nicht über die Lippen kommen wollte.
Das Spiel, für das ein kleiner handelsüblicher Würfel sowie eine überdimensionale, in eine Plastikhülle gekleidete Variante aus Papier verwendet werden, erfreut sich großer Beliebtheit. Es wird ein zweites Mal gespielt und die Würfel werden getauscht, das Siegerteam ist dasselbe. Sophia Karadag, Simon Schick und Steffen Leonhardt ist das Würfelglück hold, das Trio fällt sich begeistert in die Arme und klatscht ab. Die Verlierer tragen es mit Fassung. Ihre Stunde schlägt mit Sicherheit bei einem anderen Spiel.
Die sieben Teilnehmer, die es an diesem Dienstagabend sind, eint neben ihrem enormen Sportsgeist und der hohen Motivation ihre Behinderung. Fast alle sind mit einem zusätzlichen Chromosom 21 zur Welt gekommen und haben daher das Downsyndrom, eine der wenigen Ausnahmen ist Leon Schneider. Bei dem Elfjährigen, der damit der mit Abstand jüngste Sportler in der Runde ist, wurde das Myrhe-Syndrom diagnostiziert. Zu den vielfältigen Symptomen können Kleinwuchs, eine auffällig muskulöse Figur, eine zunehmende Gelenkversteifung, schwere Herzfehler und geistige Beeinträchtigungen gehören. In Deutschland gebe es nur etwa ein Dutzend bekannte Fälle, sagt Leons Mutter: „Das ist der Jackpot, aber man wächst mit seinen Aufgaben.“
Vielfältige und kreative Ideen führen zu regem Betrieb an sämtlichen Stationen
Um das Fortschreiten der Krankheit bei ihrem Sohn möglichst lange zu verzögern, tun Simone Schneider-Paxian und Michael Schneider alles. Dazu zählt die ständige Aktivierung, von der Physiotherapie fuhren sie ihn sofort nach Steinbach. „Wegen der Versteifungen ist der Sport für ihn sehr wichtig“, erläutern die Eltern und sehen einen großen Vorteil darin, dass sich der SVS bewusst gegen ein Inklusionsangebot und für die Handicap-Sportgruppe entschieden hat. „Du muss dich hier für nichts entschuldigen, das ist das Schöne“, betont Simone Schneider-Paxian und zieht den Vergleich zu dem anderen Modell, das seit einiger Zeit in aller Munde ist und fraglos auch seine Vorteile hat. Mit Leon funktioniere das nicht, „die anderen Kinder gucken ihn komisch an. Das ist aber überhaupt kein Vorwurf.“
In der Dorfhalle herrscht derweil an allen Stationen reger Betrieb. In einer Ecke werden Hütchen mit Tennisbällen von einem Kasten geschossen, in einer anderen wird so etwas wie ein Mix aus Hockey und Volleyball gespielt. Sebastian Walla holt aus und befördert den Ball mit dem Schläger zielsicher durch einen Reifen. Mit gewissem Sicherheitsabstand sind zeitgleich Hannes Waldner und Simon Schick zugange. Sie liegen sich mit etwa drei Metern Abstand auf dem Bauch gegenüber und dreschen den Tennisball in einem Spielfeld, das seitlich von Holzbänken begrenzt ist, mit Tischtennisschlägern ordentlich hin und her.
Für die Eltern ist es wichtig, dass ihre Kinder sich bewegen
Die Ideen von Sophia und Jule Kugler sind vielfältig und kreativ. Das hat auch mit den Fortbildungen zu tun, die sie immer wieder besuchen. „Oft fragen wir aber auch einfach, auf was die Teilnehmer in der nächsten Woche Lust haben“, erklärt Sophia Kugler. Wenn sie das tun, sind die Antworten in aller Regel wenig überraschend: „Bei den Jungs ist es meist Fußball, bei Sophia sind es Bewegungsspiele.“ Er habe schon immer gerne gekickt, bestätigt Hannes Waldner, ist aber auch offen für anderes, sonst hätte dem 24-Jährigen die Stunde an diesem Abend nicht „trotzdem Spaß gemacht“. Das ist ohnehin der Tenor, als sich am Ende alle noch einmal im Kreis versammeln. „Ich fand es super“, sagt ein Sportler. „Ich auch“, pflichtet ein anderer bei. Daumen hoch von allen Beteiligten.
Auch von den Eltern, die teils zugeguckt haben oder zum Abholen wiederkommen. „Als Steffen angefangen hat, gab es keine Inklusionsgruppe“, berichtet Renate Leonhardt aus Großaspach und ist froh darüber, dass Bärbel Dörfler das Angebot für Menschen mit Behinderungen in Steinbach ins Rollen gebracht hat: „Er ist von Anfang an dabei. Das ist ihm jetzt vertraut, die Kursleiterinnen machen es gut.“ Grundsätzlich gehe ihr 27-jähriger Sohn aber überall gerne hin, „er hat gerne Kontakt zu anderen Leuten“. Und er ist eine echte Sportskanone, spielt Basketball, gehört zu einer Tanzgruppe der Ballettschule Rüter oder strampelt ausdauernd auf dem Heimtrainer.
„Das ist ein gutes Angebot“, lobt auch Andreas Walla aus Unterweissach, der Vater des 18-jährigen Sebastian. In seinen Augen ist es nicht die vorrangige Frage, ob es sich um ein Inklusionsmodell handelt: „Hauptsache, er macht eine Stunde Sport, das ist wichtig.“ Die beiden Leiterinnen der Handicap-Sportgruppe freuen sich natürlich über das Lob für ihre Arbeit, machen sie aber sowieso sehr gerne. „Es ist toll, ihnen einen Raum zu schaffen, in dem sie sein können, wie sie sind“, sagen die 23-jährige Sophia Kugler und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Jule über die Teilnehmer und fügen zufrieden hinzu: „Man geht immer mit einem guten Gefühl nach Hause – auch wenn der Tag bis dahin mal nicht so gut war.“

© Alexander Becher
Bei diesem Spiel passen sich die Teilnehmer einen Tennisball mit Tischtennisschlägern zu.
Gründung „Es war der Wunsch einiger Eltern, eine Handicap-Sportgruppe ins Leben zu rufen“, erinnert sich Heide Lautenschläger. Bei ihr rannten sie damit offene Türen ein. Nach nur zwei, drei Monaten hatten die Abteilungsleiterin Turnen, Freizeit- und Gesundheitssport des SV Steinbach und Bärbel Dörfler ein Übungsleiterduo gefunden und eine Stunde pro Woche in der Dorfhalle gesichert. Am 14. März 2017, also vor gut sechs Jahren, startete dann das neue Angebot.
Gegenwart Geleitet wird die Gruppe von Sophia und Jule Kugler, trainiert wird ganzjährig (außer in den Ferien) jeden Dienstag von 18.30 bis 19.30 Uhr in der Dorfhalle. Unverbindliches Schnuppern ist möglich. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.sv-backnang-steinbach.de und bei Heide Lautenschläger (E-Mail: svsheide@ gmail.com, Telefon: 07191/344161).