Erfolgsrezept: An einem Strang ziehen
Das Interview: Landrat Richard Sigel blickt auf die erste Hälfte seiner Amtszeit zurück und zieht eine Zwischenbilanz
Mit Richard Sigel ist ein neuer Stil in der Kreispolitik eingekehrt. Viereinhalb Jahre nach dem Amtseintritt, nach etwas mehr als der Hälfte seiner Amtszeit, zieht er im Interview eine Zwischenbilanz. Was macht das Amt eines Landrats mit einem Menschen? Wie stellt er sich seinem Amt – und wie ist es zu bewältigen?

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Rückt das Miteinander in den Fokus: Landrat Richard Sigel in Backnang beim ehemaligen Schloss, einst Sitz des Oberamts. Foto: A. Becher
Von Armin Fechter
Gegen Kritik kann man sich wehren, Lob muss man ertragen. Hatten Sie in der letzten Kreistagssitzung des Jahres, als man Sie mit Anerkennung überhäuft hat, sehr zu leiden?
Ich bin ja Schwabe, und bei Schwaben gilt: Nicht geschimpft ist gelobt genug. Daher ist man in der Tat zurückhaltend unterwegs. Aber das Lob galt ja nicht nur mir, es galt ja eigentlich den Themen, den Projekten, die wir im Landratsamt miteinander im Kreistag in den Mittelpunkt gestellt haben.
Miteinander: Ist das Ihr Markenzeichen, dass Sie im politischen Diskurs nicht die Konfrontation wählen, sondern eher versuchen, möglichst alle mit ins Boot zu holen?
Als ich 2015 angetreten bin, gab es Gräben und viel „Gegeneinander“. Mir ist es wichtig, gemeinsam Dinge zu gestalten. Und das haben wir an vielen Stellen gemacht. Ja, für mich ist es ein Erfolgsrezept, miteinander an einem Strang zu ziehen. Ich habe das Miteinander immer im Fokus. Die Zusammenarbeit bei den Heimattagen in Winnenden, beim Naturparkjubiläum, bei der Remstal-Gartenschau war erfolgreich. Aber auch beim Breitbandausbau ziehen alle an einem Strang – von den 31 Städten und Gemeinden sind beispielsweise alle außer einer dem Zweckverband Breitbandausbau beigetreten.
Sie haben nun viereinhalb Jahre an der Spitze des Landratsamts in Waiblingen hinter sich, etwas mehr als die Hälfte der Amtszeit. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?
Positiv. Ich komme nach wie vor jeden Tag sehr gerne ins Büro, ich habe ein tolles Team um mich, mit dem es Freude macht, Dinge anzupacken. Wir haben schwierige Aufgaben gut gelöst, viele Aufgaben sind dazugekommen. Wir haben viele Weichen gestellt, viele Zukunftsthemen sind auf der Agenda. Ja, ich meine, wir sind auf einem sehr guten Kurs.
Die Arbeitsbelastung für einen Landrat ist sicher enorm. Wie kriegen Sie es hin, dass Sie trotzdem noch sagen können, Sie gehen mit Freude ran? Und Sie sind ja auch ein Familienmensch. Wie funktioniert das für Sie?
Die Schwaben tun sich mit Lob schwer, den Schwaben ist aber auch das Schaffen in die Wiege gelegt, gerade wenn man von der Alb kommt. Da ist dann, wenn wir von Work-Life-Balance reden, ein bisschen mehr Work als Life oder Balance nicht so schlimm. Ich mache es aus Überzeugung, ich mache es der Sache wegen, daran hat sich nichts geändert. Darum geht es auch. Bei mir steht zudem die ganze Familie hinter mir, und meine Frau und die Kinder unterstützen mich. Es ist letztlich eine Gemeinschaftsaufgabe, gerade in Phasen wie vor Weihnachten, wenn ich fast jeden Abend unterwegs bin.
Schaffen Sie es noch, mal die Kinder in die Schule oder in den Kindergarten zu bringen?
Wenn man aus dem Leistungssport kommt, lernt man sehr früh und sehr gut, seine Zeit einzutakten und Zeit- und Trainingspläne zu machen. Die Kinder haben einen hohen Stellenwert, und wir schaffen Zeitfenster. Ein- oder zweimal in der Woche gemeinsam zu Mittag zu essen ist ein Muss. Es kompensiert, dass man abends eben oft nicht daheim ist. Auch am Wochenende versuchen wir immer, den Kindern Zeit einzuräumen. Ich habe zum Beispiel mit ihnen zusammen Weihnachtsplätzchen gebacken – fünf Sorten einen ganzen Sonntag lang von mittags bis nachts. Das macht ihnen Freude, da ziehen sie mit. Aber man muss sich selber auch zurücknehmen können, eigene, persönliche Interessen zurückstellen.
Sie haben immer Wert darauf gelegt, dass Sie ein gewisses Trainingspensum absolvieren können. Reicht die Zeit dafür noch?
Es reicht noch, dass ich bei einem Firmenlauf mitlaufen kann, und das mit einer Zeit, die einigermaßen passt. Aber der Sport hat in einer Siebentagewoche und mit vielen Abendterminen und kleinen Kindern eine untergeordnete Rolle. Es gibt Wochen, da findet man wenig Zeit. Ich versuche nach wie vor, den Sport in meinen Alltag einzubauen – ich brauche das, um den Kopf freizubekommen und die Seele ein Stück weit baumeln zu lassen. In den Sommermonaten klappt das immer besser als im Winter, wenn es morgens dunkel ist, wenn man aus dem Haus geht, und abends auch.
Sie gehen nicht ins Sportstudio?
Ich bin ein Outdoor-Sportler. Ich habe in der Turnhalle früher auch gerne Zirkeltraining gemacht. Aber an Geräten im Studio, das macht mir keine Freude – da gehe ich lieber einmal um den Block oder an die Rems oder die Murr. Aber die Zeiten, wo man sportlich ambitionierte Ziele erreichen wollte, sind vorbei. Es ist jetzt wirklich der Gesundheit und des Ausgleichs wegen.
Wenn man Ihre Auftritte beobachtet, spürt man, dass Sie jenseits vom politischen und administrativen Alltagsgeschäft an einem neuen Wirgefühl für den Rems-Murr-Kreis arbeiten. Was ist Ihnen besonders wichtig?
Ich bin sehr heimatverbunden. Ich glaube, dass das Thema Heimat und Identität wichtig ist. Die Menschen dürfen sich mit der Region und der Stadt oder Gemeinde, woher sie kommen, und auch mit dem Landkreis identifizieren. Das fängt mit den Kleinsten an, die bei uns in den Kliniken geboren werden. Wir möchten nicht irgendwelche Merchandising-Artikel verschenken, sondern ihnen mit den Wimmelbüchern zeigen, wo sie zu Hause sind. Unsere Imagebroschüre heißt „Zu Hause“. An den Kreisgrenzen gibt es jetzt Willkommenschilder, um die Identität zu stärken. Wenn man weiß, wo man herkommt, wenn man weiß, wo man hingehört, dann kann man sich auch einbringen. Dann gibt das eine gute Basis für alles andere, was man im Leben macht – gerade in einer Welt, die immer globaler und internationaler und auch komplizierter wird.
Wo verorten Sie Ihr Heimatgefühl? Ist das der Rems-Murr-Kreis, ist das noch etwas anderes, oder verschiebt sich das gerade?
Für mich ist Heimat dort, wo man sich wohlfühlt, wo Menschen sind, die einem wohlgesonnen sind, und wo man einfach man selbst sein kann. Wir sind inzwischen als Familie hier im Rems-Murr-Kreis zu Hause, in Waiblingen-Beinstein. Wir fühlen uns dort sehr wohl. Ich bin nach wie vor meiner alten Heimat, der Schwäbischen Alb, sehr verbunden. Meine Eltern sind ja noch dort. Aber wir sind wirklich hier angekommen.
Was macht es mit dem Wirgefühl, wenn aus Backnang immer mal wieder harsche Kritik kommt – beispielsweise jüngst der Vorwurf, der Kreis habe sich zulasten der Kommunen über Jahre durch einen Trick bereichert?
Erst mal nehme ich das nicht persönlich. Ich kann sehr klar trennen zwischen der Person Richard Sigel und dem Amt des Landrats. Die Kritik richtete sich an den Landrat des Rems-Murr-Kreises. Solange Kritik im politischen Umfeld geäußert wird, wo sie auch dazu dient, eine Auseinandersetzung zu führen und Positionen klarzumachen, habe ich damit überhaupt kein Problem. Ich bin sehr konsensorientiert. Ich finde, es lohnt sich, mit vielen Menschen zu sprechen und auszuloten, was der beste Weg ist. Ich scheue mich aber auch nicht, klar Position zu beziehen. Wenn mal harsche Kritik kommt, ist es vielleicht auch gut: Es kann nicht immer nur Harmonie sein. Es ist auch nicht immer alles perfekt, und man macht nicht immer alles richtig. Aber wir haben auch klargestellt, dass wir nicht getrickst haben bei den Haushaltsberatungen, sondern dass es der Kreistag Jahr für Jahr beschlossen hat – sehr transparent.
Wie würden Sie Ihr Verhältnis zum Backnanger OB beschreiben?
Es ist ein sehr gutes Verhältnis. Ich schätze ihn als Mensch, ich schätze ihn als Politiker und Oberbürgermeister. Er ist ein sehr politischer Mensch. Vielleicht macht er deshalb hin und wieder auch so klare Äußerungen. Ich schätze ihn auch als Fachmann und in der Art und Weise, wie er sich für Backnang einsetzt. Wir haben viele Berührungspunkte, wir sind in vielen Gremien zusammen. Ich frage ihn auch mal was und nutze seinen Erfahrungsschatz. Wir pflegen einen sehr guten Austausch. Ich schätze an ihm auch, dass er, was vielleicht manchmal als harsche Kritik ankommt, die Sachen frei raus sagt, klar und deutlich auf den Punkt. Aber es ist – zumindest kann ich das für mich persönlich so festhalten – immer fair. Und es bleibt nichts zurück.
Die Position eines Landrats ist einerseits eine sehr starke und andererseits in manchen Punkten eine eher schwache. Ihr Vorvorgänger Horst Lässing hatte nichts dagegen, als Kreisfürst bezeichnet zu werden. Verstehen Sie sich auch irgendwo als ein Kreisfürst?
Nein. Überhaupt nicht. Ich bin sehr bodenständig aufgewachsen, ich versuche mir das auch zu bewahren, und ich hoffe, dass mich mein Umfeld davor bewahrt, irgendwann mal abzuheben oder gar fürstliches Gehabe an den Tag zu legen. Natürlich gehört zum Amt auch Repräsentation, es gehört dazu, dass man das Amt mit Stil, Würde und Anstand ausfüllt. Aber über die Zeiten mit Fürstentum sind wir längst hinweg. Für mich steht wirklich die Sache im Vordergrund. Um es an Kleinigkeiten festzumachen: Ich habe jetzt in meinem Büro mit einer Kollegin „Desksharing“ erprobt, wir haben einfach ein Doppelbüro gemacht – es hat gut funktioniert und bleibt. Nein, ich bin kein Fürst. Ich bin auf Zeit gewählt, und in der Zeit versuche ich, meine Arbeit zum Wohle des Rems-Murr-Kreises zu leisten.
Auf der anderen Seite sind Sie zwar Vorsitzender des Kreistags, dürfen aber bei Entscheidungen nicht mit abstimmen. Nagt dies am Selbstverständnis eines Landrats?
Überhaupt nicht. Ich habe immer gesagt: Das Hauptorgan des Kreises ist der Kreistag. Meine Aufgabe sehe ich darin, die Entscheidungen fachlich gut vorzubereiten. Wir haben viele Dinge in den Kreistag zurückgeholt und Beiräte und Nebengremien aufgelöst. Bei uns spielt die Musik wirklich im Kreistag. Ich versuche, ein Stück weit die Rolle eines Moderators zu übernehmen. Wir haben inzwischen sechs Fraktionen und weitere Gruppierungen. Bei 91 Kreisräten – wir sind größer als mancher Landtag in Deutschland – muss man auch darauf achten, dass jede Meinung zu Wort kommt. Daher schmerzt es mich nicht, dass ich keine Stimme habe. Ich kann ja meine Stimme erheben, und wir können als Verwaltung klare Positionen formulieren. Da kann man klar sagen, was man denkt, wofür man steht und was man wie gestalten will.
Eine Stimme hat im Konzert mit 91 Stimmen natürlich wenig Gewicht. Da kann man wohl mit einer entsprechend ausgerichteten Sitzungsvorlage vielleicht mehr erreichen.
Wir versuchen auch, die Politik früh einzubinden, wie das bei der Medizinkonzeption war. Wir schreiben gerade unser Radwegekonzept – da haben wir eine Online-Plattform gemacht, über die jeder Bürger sich einbringen konnte. Wir haben auch den Klimaschutz bewusst zum Mitmachen ausgestaltet – jeder kann und soll sich einbringen. Nur so schaffen wir es.
Das Jahr 2019 hat drei Großereignisse gebracht: Remstal-Gartenschau, Heimattage in Winnenden und 40 Jahre Naturpark. Was sollen wir 2020 überhaupt noch feiern? Fallen wir da in ein großes Loch?
Wenn sich dieses Wir an die Verwaltung richtet, dann sage ich ganz klar: Die Verwaltung ist nicht nur zum Feiern da, wir haben auch noch andere Aufgaben, die wir erledigen müssen. Da ist es auch ganz gut, wenn solche Hochphasen einmal vorbei sind. Aber dieses Wirgefühl müssen wir mitnehmen. Dafür haben wir die Stelle einer regionalen Kulturmanagerin geschaffen und sind eine der Pilotregionen im Land. Und was den Landkreis angeht, da haben wir auch einiges zu feiern. Das geht gleich im neuen Jahr weiter: Wir haben zum ersten Mal im Rems-Murr-Kreis das Landesnarrentreffen in Murrhardt. Das wird ein großes Spektakel. Und dann gibt es nächstes Jahr auch noch die Fußball-Europameisterschaft, bei der wir alle mitfiebern, es ist ein Remstal-Sommer geplant. Wir sind auch sehr stark im Schwäbischen Wald und im Naturpark unterwegs, dort bin ich Vorsitzender der Tourismusgemeinschaft.
Welche neuen Akzente gibt es da?
Wir schreiben gerade den Naturparkplan fort. Zentrales Ziel wird weiterhin sein, die Gegend als Wanderland, als Radregion attraktiv zu gestalten. Wir haben nächstes Jahr ein schönes Jubiläum: Die Wieslauftalbahn feiert ihr 25-jähriges Bestehen, die Schwäbische Waldbahn wird zehn Jahre alt. Wir werden noch einen weiteren Schwerpunkt ausbauen, der mir persönlich wichtig ist: das Thema Kinder. Es wird ein schönes Kinderfest geben am 1. Mai in Auenwald. Und wir möchten nach dem großen Inklusionskonzert mit Andrea Berg, das bundesweit für Aufsehen gesorgt und zum Nachdenken angeregt hat, auch am Thema Inklusion weiterarbeiten.

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Können gut miteinander: Richard Sigel und OB Frank Nopper beim Stadtradeln. Foto: Landratsamt