Erklärende Reden immer abgelehnt
Berthold von Stauffenberg, der älteste Sohn des Hitler-Attentäters vom 20. Juli 1944, erinnert sich in Oppenweiler an seinen Vater
75 Jahre ist es her, dass Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg und andere versuchten, Deutschland Recht und Freiheit zurückzugeben. Der Umsturzversuch, der „Aufstand des Gewissens“, scheiterte. Noch in der Nacht des 20. Juli wurden Stauffenberg und andere standrechtlich erschossen. Die Familien der Akteure wurden in Sippenhaft genommen. Der in Oppenweiler lebende älteste Sohn des Grafen, Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg, war mit seinen Geschwistern Leidtragender.
Von Hans-Christoph Werner
OPPENWEILER. Die berühmte Bronzebüste des Hauptes des Vaters steht im Wohnzimmer. Drum herum drei Schwarz-Weiß-Bilder, die den Vater mit den Kindern zeigen: Berthold, Heimeran, Franz-Ludwig und Valerie. Auch die Söhne fast etwas mädchenhaft mit den langen blonden Haaren im Pagenschnitt. Die Jüngste, Constanze, war noch nicht geboren. Als es geschah.
Als Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres hatte Claus Schenk Graf von Stauffenberg Zugang zu den militärischen Lagebesprechungen. Diese fanden mit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion im Lagezentrum Wolfsschanze in Ostpreußen statt. Bei der Besprechung am 20. Juli 1944 deponierte Stauffenberg unter dem Konferenztisch, in einer Aktentasche versteckt, eine Bombe. Unter einem Vorwand verließ er die Besprechung. Kurz darauf ging die Bombe hoch. Mit der Überzeugung, Hitler sei bei der Explosion ums Leben gekommen, reiste Stauffenberg mit dem Flugzeug zurück nach Berlin. Er und andere Verschwörer lösten unter dem Tarnnamen Walküre die Umsturzaktionen aus. Doch der Versuch misslang. Hitler hatte das Attentat nahezu unverletzt überlebt. Noch in der Nacht wurden die vier Hauptakteure des Umsturzes erschossen.
Nach seiner Erinnerung, so sagt Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg, sei es der 22. Juli 1944 gewesen, dass die Mutter, Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg, ihn und seinen Bruder Heimeran nach dem Mittagessen zur Seite nahm. Berthold hatte zuvor schon die Rundfunkansprache Hitlers mitbekommen, in der dieser von einer „Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere“, die einen Anschlag auf ihn verübt hätten, gesprochen hatte. Ihr Vater, so erklärte die Mutter den beiden Jungen, habe den Anschlag auf den „Führer“ verübt und sei danach zu Tode gekommen.
Die Mutter gab die schreckliche Nachricht an die Kinder weiter
Nüchtern, so erinnert sich der Sohn, habe die Mutter die schreckliche Nachricht an ihre Kinder weitergegeben. Auf die Frage der beiden Ältesten, warum denn der Vater das getan habe, antwortete sie: „Er hat wohl gemeint, er müsse es für Deutschland tun.“ Dabei war gerade Sohn Berthold von der allgemeinen Euphorie über den Führer erfasst worden und hatte um seine Aufnahme ins „Jungvolk“, eine Jugendorganisation der Nationalsozialisten, gerungen. Seine Mutter hatte das geschickt zu verhindern gewusst. In einem Vortrag aus dem Jahr 2011 hat Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg berichtet: „Für mich brach eine Welt zusammen. Wir hatten unseren stets fröhlichen Vater nicht nur über alles geliebt, er war auch absolute Autorität gewesen. Ich glaube, ich bin bis zum Frühjahr 1945 nie mehr richtig zu klarem Denken gekommen.“
Von Bamberg, wo die Stauffenbergs wohnten, fuhr die Familie nach Lautlingen. Auf den Besitzungen der Stauffenbergs auf der Schwäbischen Alb sollten die Sommerferien verbracht werden. Hier wurde die Mutter am 23. Juli von der Gestapo verhaftet. Sie kam zunächst ins Gefängnis und später in das Konzentrationslager Ravensbrück.
Innerhalb von drei Tagen hatten die vier Stauffenberg-Kinder Vater und Mutter verloren. Die Kinder blieben zunächst in der Obhut einer Kinderschwester und unter Beobachtung durch zwei Gestapo-Beamte. Wie Ausgestoßene fühlten sie sich, sagt Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg. Und fügt hinzu: „Dieses Gefühl werde ich nie vergessen.“
Mitte August brachte die Gestapo die Kinder zunächst nach Stuttgart in das „Hotel Silber“ (heute Gedenkstätte) und dann in das nationalsozialistische Kinderheim in Bad Sachsa im Harz – zusammen mit den Kindern anderer Verschwörer. Auf Veranlassung von Heinrich Himmler, dem Reichsführer SS, wurden die Familien der Verschwörer in Sippenhaft genommen. Nur durch den Einsatz einer Tante, Melitta von Stauffenberg, erfuhren Kinder wie Mutter voneinander und dass es ihnen den Umständen entsprechend gut gehe. Was er und seine Geschwister in dem Kinderheim denn gemacht hätten, wird Graf von Stauffenberg oft gefragt. Nach seiner Erinnerung habe man vor allem gespielt oder sei spazieren gegangen. Zum Lesen sei nur weniges vorhanden gewesen.
Am 3. April 1945 sollten die Stauffenberg-Kinder ins KZ Buchenwald bei Weimar gebracht werden. Es kam – Gott sei Dank – nicht dazu. Nordhausen, die nächstgelegene Stadt samt Bahnhof, war von den Alliierten bombardiert worden. Dabei war auch der Bahnhof zerstört worden. Am 12. April rückten dann amerikanische Soldaten in Bad Sachsa ein.
Ein ganzes Schuljahr sei ihm, so Berthold von Stauffenberg, verloren gegangen. Mithilfe eines Hauslehrers wurden die Kinder, nachdem die Familie im Juni/Juli 1945 wieder zusammen war, unterrichtet, um das Versäumte aufzuholen. Die Gymnasialzeit verbrachte der Älteste der Stauffenbergs in einem Internat.
Der erste Besuch im Bendlerblock berührte den Sohn tief
Im Jahr 1953 sei er zum ersten Mal im sogenannten Bendlerblock in Berlin gewesen, an der Stätte, wo sein Vater den Tod fand. Sehr berührt habe ihn dies. Wobei Graf von Stauffenberg hinzufügt: Wäre er noch älter gewesen, hätte ihn das noch mehr berührt.
Alle Anfragen, über seinen Vater umfassendere Ausführungen zu machen und Vorträge über ihn und das Attentat zu halten, habe er abgelehnt. Denn er sei nur ein „halber Zeitzeuge, vor allem kein Akteur, sondern Betroffener gewesen“. Er wollte nie den Eindruck erwecken, er wüsste hier mehr oder sei gar Teil des Widerstands gewesen. Er habe in seinem Leben viele Reden gehalten, aber keine über den Widerstand des 20. Juli.
Zu den Gedenkfeiern werde er stets eingeladen. Sie finden seit 1952 im sogenannten Bendlerblock, dem ehemaligen Amtssitz des Befehlshabers des Ersatzheeres, statt. Er und seine Frau seien zu den runden Gedenktagen stets zugegen gewesen. Freilich immer in Zivil. Denn dass er als einer der höchsten Repräsentanten der Bundeswehr sich dort gar in Uniform zeige, sei aufgrund des Viermächtestatus Berlins unmöglich gewesen. Vor fünf Jahren, zum 70. Jahrestag des Umsturzversuchs, habe Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihn gebeten, bei dem Gelöbnis junger Bundeswehrrekruten, das gern am 20. Juli gehalten wird, zu sprechen. Dem habe er sich gern gestellt.
Um die besonderen Gedenktage herum war es auch, dass Graf von Stauffenberg schon des Öfteren Post bekam. Anonymer Weise. Er und sein Vater seien in solchen Schreiben beschimpft worden. „Ihr Vater“, war da einmal zu lesen, „war ein Verräter und ein Lump. Und Sie sind es auch.“ Graf von Stauffenberg hat solche Briefe nicht aufgehoben. Erfreulicher ist, dass man ihn im Jahr 1990 nach Berlin eingeladen habe. Zwei Häuser der Nationalen Volksarmee der damals noch existierenden DDR in Strausberg seien umbenannt worden. Das eine Haus erhielt den Namen des Mitverschwörers Henning von Tresckow. Das andere ist nunmehr das Stauffenberg-Haus.
Zur 75. Wiederkehr des 20. Juli am heutigen Tag wurde ein eigener Gedenkakt am Vorabend in Stuttgart angesetzt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann habe eingeladen, erzählt er. Gleich danach würden sich die Stauffenbergs auf den Weg nach Berlin machen. Um bei der Gedenkfeier dort auch zugegen zu sein.