Bahnsperrungen: Ersatzbuskonzept gut gestartet
Der Schienenersatzverkehr zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt scheint sich am zurückliegenden Wochenende bewährt zu haben. Dank eines auffälligen Leitsystems, eines immensen Personalaufwands und der Gelassenheit der Fahrgäste bleibt die Lage übersichtlich.
Von Nicola Scharpf
Rems-Murr. Seit Freitagabend pendeln Ersatzbusse zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt sowie dem Stuttgarter Hauptbahnhof, weil die Deutsche Bahn zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt Kabel für den digitalen Bahnknoten Stuttgart verlegt. Nachdem das Frühlingsfest auf dem Cannstatter Wasen gestern zu Ende ging und der VfB Stuttgart am Sonntagnachmittag Heimspiel hatte, galt das zurückliegende Wochenende als Härtetest für den Schienenersatzverkehr. Es scheint, als hätte sich das Konzept der Deutschen Bahn, die Fahrgäste ersatzweise mit rund 80 Bussen zu transportieren, bewährt – dank eines auffälligen Leitsystems mit knallgrünen Streifen auf den Wegen zwischen Bahnsteigen und Bushaltestellen, dank eines immensen Aufwands an Servicepersonal, das die Menschen mit Informationen und Nervennahrung versorgt, und dank der Gelassenheit der Fahrgäste, die trotz verlängerter Reisezeiten und Umsteigeunannehmlichkeiten überwiegend guter Dinge sind.
Peter Friedrichsohn zum Beispiel ist versehentlich in Backnang. Der Ehrenvorsitzende des FDP-Ortsverbands Winnenden will Sonntagmittag eigentlich vom Stuttgarter Hauptbahnhof zurück nach Hause. Von einem der „Reisendenlenker im Auftrag der DB Station+Service AG“ in ihren orangefarbenen Westen, wie sie an diesem Wochenende am Hauptbahnhof, in Cannstatt und Waiblingen zahlreich anzutreffen sind, erhält Friedrichsohn die Auskunft, dass der Regionalexpress, in den er einsteigen möchte, nach Winnenden fährt. Als der Zug in Kornwestheim, Ludwigsburg und Marbach am Neckar hält, weiß der 88-Jährige, dass diese Auskunft nicht korrekt war. Nun steht er am Backnanger Bahnhof am Bahnsteig und vergewissert sich, dass die S3 nach Waiblingen auch wirklich in Winnenden haltmacht. Seine Irrfahrt dauert bereits über eine Stunde. Wohlgemut ist er dennoch – und das, obwohl er gar nicht in den Genuss der von der Bahn bereitgehaltenen Goodies kommt. Kaffee und Wasser, Äpfel und Riegel mit der Aufschrift „Haferkraft“ gibt es für die Fahrgäste in Backnang nicht, sondern erst in Waiblingen vor dem Einsteigen in die Ersatzbusse, die an der Dammstraße abfahren. Auf dem Gelände vor dem Waiblinger Bahnhof ist bis Freitag außerdem ein Zelt aufgebaut, aus dem heraus zwei junge Männer die Reisenden mit Snacks versorgen. „Wir sind eine gute Auffangstation für die Schlechtgelaunten“, sagen die beiden. Ein Mann mit Trolley im Schlepptau, gerade mit Jetlag aus Florida am Stuttgarter Flughafen gelandet, wettert: „Da kommt man aus dem Urlaub nach Deutschland und schon funktioniert nichts mehr. Ich will jetzt nur noch eins: nach Hause.“ Die jungen Männer versorgen ihn mit Kaffee und erklären den Weg zum Zug nach Aalen.
Es stehen freundliche Helfer im Überfluss für Fragen bereit
An der Dammstraße reiht sich SEV-Bus an SEV-Bus auf der Haltespur. Es sind so viele, dass die Busse teilweise in zweiter Reihe stoppen müssen. Ein Subunternehmer sagt, dass er an diesem ersten SEV-Wochenende mit 26 Personen für den DB-Servicebereich an der Haltestelle im Einsatz ist. Und so findet sich für Fragen und Auskünfte nahezu immer ein freundlicher Helfer. Beinahe persönlich werden die Reisenden zum jeweils gewünschten Bus begleitet. Eine Gruppe junger Männer mit Rollkoffern kommt allerdings nicht in den Genuss. Die Männer laufen an den Bussen entlang erst in die eine Richtung, dann in die andere und schließlich wieder retour, bevor sie einsteigen. Chaos? „Die Kunst ist es, es nicht so aussehen zu lassen“, sagt ein Busfahrer schmunzelnd, der die Szene beobachtet und auf seinen Dienstbeginn wartet. Normalerweise fährt er europaweit Reisebus. Nun hat ihn sein Arbeitgeber aus dem Ruhrgebiet nach Stuttgart geschickt, um die Spätschicht im Expressbus zwischen Waiblingen und Hauptbahnhof zu fahren. Die vorgesehenen Abfahrtszeiten im fünfminütigen Takt könnten bei der Vielzahl der Busse nicht eingehalten werden, beurteilt er das Konzept. „Da kann man nicht warten. Man muss rollen.“ Die Fahrgäste erlebt er bislang als „ganz locker“. „Der Ersatzverkehr wird gut angenommen.“ Selbst als das VfB-Spiel am frühen Abend zu Ende ist und Fans massenweise transportiert werden müssen, gerät das Konzept nicht unter Stress.
Den Busfahrern bereitet das Verkehrsaufkommen Sorgen
Auch wenn es so scheint, als wäre der Schienenersatzverkehr von einigen Ausnahmen abgesehen – Busfahrer kannten teilweise ihre Fahrstrecke nicht und die Verständigung war wegen schlechter Deutschkenntnisse manchmal schwierig – gut gestartet, wird mit Spannung erwartet, wie sich das Konzept im Berufsverkehr bewährt, wenn Tausende Menschen in der Region zur Arbeit oder in die Schule müssen und auf den Straßen nicht sonntägliche Ruhe herrscht. Der Subunternehmer im Servicebereich zum Beispiel ist gespannt, was passiert, wenn anstelle der 26 Personen wie am Wochenende nur noch zehn Servicekräfte wie wochentags in Waiblingen vor Ort sind. Und den Busfahrern bereitet das Verkehrsaufkommen Sorgen. In 20 oder 25 Minuten seien die Expressstrecken zwischen Waiblingen und Cannstatt beziehungsweise Waiblingen und Stuttgart gerade zu Stoßzeiten keinesfalls zu machen, so der Tenor. Immerhin: Der große deutschlandweite Bahnstreik von 50 Stunden im Nah- und Fernverkehr, der gestern Abend hätte starten sollen, wurde abgewendet. Das Hin und Her hat dennoch Folgen für den Bahnverkehr im VVS: Die S-Bahn verkehrt dort, wo sie fährt, nur im Stundentakt. Und bei Gesellschaften wie der WEG, die beispielsweise für die Wieslauftalbahn verantwortlich ist, wird trotzdem gestreikt.
Mit dem Schienenersatzverkehr hat das zwar nichts direkt zu tun. Dennoch steht die Feuerprobe noch an, wenn die Menschen nicht nur gut gelaunt zum Wasen, zum VfB-Spiel oder nach Hause wollen, sondern pünktlich zur Arbeit müssen. Berufspendler sollten von heute an mehr Zeit für die Wege zur Arbeit einplanen.