Ersatzbusse im Berufsverkehr: Kein Chaos, aber Luft nach oben
Seit Freitagabend stehen zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt die Züge, dafür rollt Bus um Bus des Schienenersatzverkehrs. Nach dem gelungenen ersten Stresstest am Wochenende scheint auch der Ansturm der Berufspendler im Großen und Ganzen bewältigt werden zu können.
Von Kai Wieland
Rems-Murr. Während in weiten Teilen Deutschlands angesichts des abwendeten 50-Stunden-Streiks aufgeatmet wurde, hat die große Belastungsprobe für den öffentlichen Nahverkehr in der Region Stuttgart gerade erst begonnen. Das erste Wochenende mit Vollsperrung der Bahnstrecke zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt wurde trotz Frühlingsfest und Heimspiel des VfB Stuttgart gut gemeistert. Der gestrige Montag lieferte nun erste Eindrücke, wie sich das Fahrplankonzept der Deutschen Bahn im Berufs- und Schulverkehr schlägt. Fazit: Das befürchtete Chaos ist ausgeblieben, doch an vielen Stellen hakt es noch an den Abläufen.
„Wir sind erst seit heute hier, am Wochenende waren wir noch in Cannstatt unterwegs“, sagte einer der vielen Helfer in orangefarbener Warnweste am Waiblinger Bahnhof, welche die Deutsche Bahn unter dem etwas sperrigen Namen „Reisendenlenker“ als Lotsen einsetzt. „Heute Morgen war es sehr stressig, weil ständig mehrere Busse gleichzeitig kamen und abfuhren, da waren auch wir etwas überfordert.“ Die zumeist jungen Männer sind freundlich und hilfsbereit, verfügen aber bisweilen über nur gebrochene Deutschkenntnisse, was die Kommunikation mit den Reisenden erschwert. „Wie lange dauert die Fahrt nach Stuttgart?“, erkundigte sich eine vorbeieilende Passantin, doch es brauchte die Unterstützung eines Kollegen, um der Dame die gewünschte Auskunft („Mit dem Expressbus 25 Minuten“) zu erteilen.
Umherirrende Menschen waren dennoch die Ausnahme, dafür sorgte alleine schon die Linienführung am Boden. „Die Leute waren darauf eingestellt. Nur wenige wissen gar nicht, wo sie hinmüssen“, bestätigte ein Mitarbeiter der S-Bahn Stuttgart, der den Verpflegungsstand vor dem Bahnhofsgebäude koordinierte. „Soweit wir es hier mitbekommen, sind auch die Fahrgäste überwiegend entspannt.“
Stresstest für das Personal
Dieser Eindruck traf für den späteren Vormittag sicherlich zu, wohingegen zu den morgendlichen Stoßzeiten vor allem in Richtung Stuttgart Gedränge am Bussteig und in den Fahrzeugen die Gemüter erhitzte. Trotz des abgesagten Streiks fuhren die S-Bahnen im VVS-Netz nämlich nur stündlich, dementsprechend voll wurde es am Bussteig, wenn eine von ihnen Waiblingen erreichte. Weil sich zudem in dieser Zeit der Berufsverkehr am Kappelbergtunnel und in der Stadt staute, konnte die Fünfminuten-Taktung zwischen 8 und 9 Uhr zumindest phasenweise nicht eingehalten werden. Auch oftmals fehlende Deutsch- und vor allem Ortskenntnisse der Fahrer, die überwiegend nicht aus der Region Stuttgart kommen, brachten Tücken mit sich. So wurde am Montagmorgen genau wie auch schon am Wochenende des Öfteren der Halt in Fellbach schlicht vergessen.
Im Laufe des Vormittags entschärft sich die Situation merklich
Eine kleine Traube Wartegäste bildete sich an der Haltestelle für den Bus nach Bad Cannstatt mit Zwischenhalten an den S-Bahn-Stationen Fellbach und Nürnberger Straße. Unter ihnen war Benjamin Swistum, der sich auf dem Weg zur Schule befand: „Ich habe das Gefühl, dass das Personal hier teilweise selbst nicht so richtig durchblickt“, sagte er schmunzelnd. „Gerade ist der Eindruck schon Chaos und Verwirrung. Aber ich nehme es gelassen, ich wusste ja, was auf mich zukommt.“
Im Lauf des Vormittags entschärfte sich die Situation zusehends, bisweilen schienen sich dann sogar zu viele Busse in Waiblingen zu tummeln. Immer wieder hielten diese mangels freier Stellflächen am falschen Bussteig, was angesichts dreier verschiedener Buslinien (Expressbus zum Hauptbahnhof, Expressbus nach Bad Cannstatt und Bus nach Bad Cannstatt mit Zwischenhalten) zu Verwirrung nicht nur bei den Fahrgästen, sondern auch beim Personal selbst führte. „Katastrophe“, rief wiederholt der zuständige Einweiser für die Busse. Bisweilen schlug sich die Hektik in einem rauen Ton nieder. Als eine sichtlich gestresste Busfahrerin ihr Fahrzeug zu früh zum Stehen brachte, wurde sie von ihrem aufgebrachten Vorgesetzten lautstark zum Weiterfahren aufgefordert, welcher daraufhin wiederum mit dem Einweiser in Streit über die Weisungsbefugnis geriet.
Immerhin: Die Fahrgäste bekamen von diesen internen Reibungen nicht allzu viel mit, denn die Busse standen zumeist trotzdem parat oder ließen nicht lange auf sich warten. Passanten, welche aus Richtung Stuttgart kamen und in Waiblingen ausstiegen, berichteten von einem reibungslosen Ablauf und einer angenehmen Fahrt. „Es muss sich natürlich noch etwas einspielen“, sagte eine Frau, die ihren Rollkoffer in Richtung S-Bahn schob. „Aber es funktioniert doch schon ganz gut.“
Taxis und andere Alternativen
So gut sogar, dass die Taxifahrer am Waiblinger Bahnhof beinahe ein wenig zerknirscht wirkten. „Es nehmen sich nicht mehr Leute ein Taxi als sonst, die Busse fahren ja alle fünf Minuten“, berichtete Yavuz Cansiz. „Vielleicht ein paar Einzelne, die es eilig haben oder keine Lust auf den Schienenersatzverkehr, aber das fällt kaum ins Gewicht.“ Am Wochenende sei etwas mehr los gewesen, pflichtete ihm sein Kollege bei, aber so langsam gewöhnten sich die Leute eben an die Umstände. Auf den Straßen seien die Busse hingegen sehr wohl zu spüren, ergänzte Yavuz Cansiz: „Wenn da drei oder vier Gelenkbusse hintereinander stehen, ist die Straße voll.“
Wie aussagekräftig dieser erste, alles in allem zufriedenstellend verlaufene Montag mit Schienenersatzverkehr war, wird sich allerdings wohl erst in den kommenden Wochen zeigen. Es ist zumindest anzunehmen, dass sich viele Menschen vorläufig für das Homeoffice entschieden haben, um die ersten Tage aus der Ferne zu beobachten. Reisenden aus Backnang bietet sich außerdem die Möglichkeit, per Regionalexpress über Marbach am Neckar und Ludwigsburg direkt nach Stuttgart zu reisen. Außerdem hatten sich einige Pendler dazu entschieden, mit dem Auto nach Fellbach zu fahren, um dort auf die U-Bahn umzusteigen und eine Busfahrt so zu vermeiden.
Auch auf der Schiene passieren Fehler
Allerdings birgt auch das Umgehen des Schienenersatzverkehrs Risiken, wie der langjährige Bahnpendler Eberhard Rieber feststellen musste. Laut Ersatzfahrplan sollte der von ihm gewählte Regionalzug RE90, welcher Backnang um 6.05 Uhr verlässt, über Ludwigsburg direkt zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahren. Offenbar aufgrund einer falsch gestellten Weiche nahm der Zug jedoch seine übliche Route über die Murrbahn, hielt in Winnenden und endete schließlich in Neustadt. Der mangelhafte Umgang mit dem Fehler ärgert Eberhard Rieber besonders: „Die Lokführerin hätte es schon bei der Ausfahrt Backnang merken müssen, fuhr aber einfach weiter“, moniert er. „In Hohenacker fiel die nachfolgende S-Bahn dann wegen des abgesagten Streiks aus. Der Expressbus des Ersatzverkehrs brauchte dann natürlich wegen Stau 45 statt 30 Minuten. Da nützt mir auch der Kaffee in Waiblingen nichts.“