Hintergrund
„Erst das Leben, nun den Namen geraubt“
Die gestohlenen Bronzetafeln vom Backnanger Stadtfriedhof werden ersetzt – Neue Erinnerung an die Weltkriegsgefallenen
Ein frevelhafter und verabscheuungswürdiger Diebstahl hat Ende Mai für Empörung gesorgt. Unbekannte hatten auf dem Backnanger Stadtfriedhof die zwölf Bronzetafeln, auf denen die Namen der Gefallenen des Ersten Weltkriegs standen, aus ihren Verankerungen gerissen und gestohlen. Dass Ersatz dafür geschaffen wird, steht außer Frage. Der Grafiker Hellmut G. Bomm arbeitet derzeit an der gestalterischen Umsetzung.

© Jörg Fiedler
Roland Idler ist immer noch fassungslos, mit welch brachialer Gewalt die Tafeln aus der Wand gerissen wurden. Die neuen Platten sollen wieder vor der Aussegnungshalle angebracht werden. Die Arkaden zu beiden Seiten haben keinen anderen Zweck und eignen sich ausgezeichnet. Foto: J. Fiedler
Von Matthias Nothstein
BACKNANG. Vielerorts wird am morgigen Volkstrauertag der Gefallenen der Weltkriege gedacht. Bei der Veranstaltung auf dem Backnanger Stadtfriedhof – sie findet bereits heute statt – mischt sich in die Trauer über den großen Blutzoll der beiden Katastrophen des 20. Jahrhunderts auch eine gehörige Portion Wut. Wut über die Diebe, die in verabscheuungswürdiger Art und Weise mehrere Bronzetafeln auf dem Stadtfriedhof gestohlen haben, mittels derer viele Jahre den Gefallenen gedacht wurde. Für Roland Idler vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge kommt der Diebstahl der Bronzetafeln einer Grabschändung gleich. Die Soldaten haben nicht nur auf dem Schlachtfeld ihr Leben verloren, „man hat ihnen nach dem Tod nun auch noch den Namen geraubt“. Idler: „Das ist verabscheuungswürdig. Die Täter haben keinerlei Achtung vor dem Gedenken an die Gefallenen. Darüber kann man nur entsetzt sein.“
Soweit der Blick zurück. Inzwischen wird mit Hochdruck daran gearbeitet, die schmerzliche Lücke zu schließen und Ersatz für die Tafeln zu bekommen. Hiermit beauftragt wurde der renommierte Backnanger Grafiker Hellmut G. Bomm. Er verfolgt zurzeit die ersten konzeptionellen und gestalterischen Überlegungen. Was von vornherein klar ist: Exakte Kopien der bisherigen Tafeln werden es nicht werden, das verbietet alleine schon das Denkmalamt. Es vertritt den Standpunkt, dass Kunstwerke jeglicher Art, sind sie einmal zerstört, nicht eins zu eins nachgebildet werden sollten.
Insofern hat Bomm völlig freie Hand. Zumindest aus künstlerischer Sicht. Was das Material angeht, hat die Stadtverwaltung jedoch einem weiteren Diebstahl schon vorgebaut, der Künstler möge bitte kein Bronze oder ein anderes kostbares Material wie Messing verwenden. Denn eines hat der Frevel gezeigt: Egal, wie massiv die Platten verankert sind, wenn mit brachialer Gewalt vorgegangen wird, ist nichts sicher. Schließlich haben die Täter sogar hydraulische Pressen benützt, um die Tafeln aus ihren Halterungen zu lösen.
Und so grübelte Bomm zunächst über Varianten. Er sagt: „Ich habe eine Idee, aber im Moment hakt es noch an der technischen Umsetzung.“ Vorstellen kann er sich zum Beispiel Platten aus Edelstahl, brüniertem Stahl oder eloxiertes Aluminium. Aber irgendwo hakt es immer. Entweder es gibt nicht die Breite, die Bomm vorschwebt – die Tafeln sollten bei 1,70 Meter Länge mindestens 70 Zentimeter breit sein. Oder die Beschriftung bereitet Probleme. So ist ein einfacher Aufdruck nicht auf jedem Material dauerhaft haltbar. Ist Sandstrahlen eine Lösung? Oder Fräsen? Bomm ist mit etlichen Firmen derzeit in Verhandlungen. Fakt ist nur: Die Schrift von Hand zu erledigen, ist in heutiger Zeit nicht mehr finanzierbar. Bei den Originalen war dies noch der Fall. Bomm erkennt dies daran, dass zuweilen der gleiche Buchstabe unterschiedlich ausfällt. Inzwischen verworfen ist der Gedanke, die Platten aus Stein zu fertigen. Hier bereitet die technische Umsetzung zu große Probleme.
Die Auswahl der Schrift ist ein weiterer Schwerpunkt von Bomms Überlegungen. Er schwärmt von der Originalschrift, die mit erhabenen Buchstaben eine dreidimensionale Wirkung erzielte und eine Art Jugendstilcharakter hat. Die Herausforderung für Bomm ist nun, die Art und Weise der Schriftform wieder aufzunehmen, allerdings ohne die unbezahlbare Lösung der erhabenen Buchstaben. „Das macht heute keiner mehr.“
Ferner stellt sich die Frage, was alles auf die Tafeln geschrieben werden soll. Das beginnt schon mit den Kopfzeilen der verschiedenen Tafeln. Formulierungen wie „sie wehrten Tausend Feinden“ passen laut Bomm nicht mehr in die heutige Zeit. Auch bei den Namen der Gefallenen gibt es Handlungsbedarf. Stadtarchivar Bernhard Trefz hat über die Jahre hinweg weitere 50 Namen gefallener Soldaten recherchiert, die bislang nicht genannt waren, und die nun auch Platz auf den neuen Tafeln finden können. Zudem nutzt Bomm die Chance, einige falsch geschrieben Namen zu korrigieren. So wurde zum Beispiel bei all den Namen kein ß verwendet.
Die weitere Zeitplanung sowie die Kosten hängen von der Wahl des Materials ab und sind – da noch keine Entscheidung getroffen wurde – zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht bekannt. Fakt ist jedoch, dass die Kosten von der Stadt Backnang getragen werden. Ob und inwieweit sich Dritte an diesen Kosten beteiligen, steht zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht fest.
Bomm hofft, dass die Erinnerungsstätte zumindest bis zum nächsten Volkstrauertag 2019 wiederhergestellt ist. „Wenn ich den Gremien, die die Entscheidung zu treffen haben, ein Muster auf den Tisch legen kann, dann geht alles sehr schnell.“
Die Gedenkfeiern zum Volkstrauertag: Heute, 16 Uhr, Feierstunde am Mahnmal auf dem Stadtfriedhof Backnang mit Städtischem Blasorchester und Liedertafel Backnang. Ansprache: Siegfried Janocha. Sonntag, 18. November, 10 Uhr auf dem Friedhof Waldrems; 11.30 Uhr auf dem Friedhof Maubach; 11.15 Uhr bei der Aussegnungshalle Strümpfelbach. Totensonntag, 25. November, 9 Uhr Gottesdienst in der Stephanuskirche Steinbach, ab 10 Uhr auf dem Friedhof Steinbach.
Von Matthias Nothstein
Es ist erschütternd, dass gewissenlose Banden wegen weniger Silberlinge ein Kulturgut zerstören und so die Erinnerung an Verstorbene mit Füßen treten. Der Erlös, den die Kriminellen dabei erzielen, steht in keinem Verhältnis zu dem ideellen Wert, den die Bronzetafeln für viele Menschen hatten. Es ist eine Barbarei und Kulturvergessenheit, die seinesgleichen sucht. Erfreulich ist, dass die Ersatzbeschaffung nie infrage stand. Die Erinnerung an die Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts muss uns dies wert sein. m.nothstein@bkz.de