Erst teuer, dann gewinnbringend
Mit ihrem neuen Koalitionsvertrag zeigt die grün-schwarze Regierung: Sie will Ernst machen mit dem Klimaschutz. Ein Baustein dazu soll die Solarenergie sein. Vertreter von Wohnbauunternehmen und Politiker aus dem Raum Backnang äußern sich dazu.

Egal ob Flach- oder Steildach: Fast überall ist die Anbringung von Photovoltaikanlagen möglich. Foto: Kuhnle&Knödler/Photovoltaik-Netzwerk BW
Von Melanie Maier
BACKNANG. Noch ist nichts beschlossen. Doch wenn alles so erfolgt, wie im neuen Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Regierung festgehalten, könnte bereits Ende des Jahres eine gesetzliche Solarpflicht für private Neubauten und für grundlegende Dachsanierungen gelten. Zusätzlich zu der Pflicht für Neubauten bei Nichtwohngebäuden, die von 2022 an besteht. Zudem soll geprüft werden, ob die Errichtung von Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) auf denkmalgeschützten Häusern erleichtert werden kann.
Für Häuslebauer könnte das neue Heim also bald noch teurer werden. Je nach Art und Größe der PV-Anlage muss laut dem Internetportal Solarangabenportal (www.solaranlagen-portal.com), das die Marktpreise vergleicht, mit Kosten von 5400 bis 13300 Euro gerechnet werden. Florian Jentsch, Geschäftsführer des Landesinnungsverbands des Dachdeckerhandwerks Baden-Württemberg, rechnet für eine PV-Anlage für einen vierköpfigen Haushalt (mit vier Kilowatt Peak Stromverbrauch) sogar mit mindestens 10000 Euro, plus 3000 bis 5000 Euro für einen zusätzlichen Stromspeicher.
Generell begrüßt Jentsch es, dass mehr Solaranlagen errichtet beziehungsweise mitgebaut werden sollen. „Aus Sicht des Dachdeckerhandwerks ist es längst überfällig, dass Dach- und Außenwandflächen endlich stärker zur erneuerbaren Energieerzeugung genutzt werden“, sagt er. Nichtsdestotrotz sei „höchste Verhältnismäßigkeit des Gesetzgebers“ gefragt: „Die Entscheidungshoheit, ob die Realisierung im Einzelfall aus ökologischen und ökonomischen Gründen sinnvoll ist, muss bei den ausführenden beziehungsweise planenden Fachpartnern liegen“, sagt Florian Jentsch. „Denn niemand kennt Kunden, örtliche Gegebenheiten sowie fachtechnische und praktische Anforderungen besser als unsere Betriebe.“
Innerhalb von elf bis 14 Jahren amortisieren sich die Solaranlagen.
Jentsch setzt auf eine Pflicht zur Wirtschaftlichkeitsprüfung und fordert dazu flankierende Investitionsanreize und Steuererleichterungen. Nachhaltigkeit, sagt er, müsse sich jeder leisten können, „sonst kommt die geplante Pflicht in der Praxis gewaltig ins Stocken“. Langfristig werden die Anlagen aber in jedem Fall einen entsprechenden Gewinn abwerfen, erklärt der Experte: „Durchschnittlich amortisieren sich die Anlagen innerhalb von elf bis 14 Jahren.“ Zum einen, indem der Strom, der nicht selbst verbraucht wird, gegen eine Vergütung ins Netz eingespeist wird (die Eigentümer nutzen durchschnittlich nur etwa 30 Prozent), zum anderen, weil der Kauf von teurem Netzstrom (derzeit rund 16 Cent netto pro Kilowattstunde) unnötig wird.
Dennoch: Die Neuanschaffung muss erst einmal geschultert werden. „Für manche Leute, die ohnehin schon sparen müssen, wird es schwieriger, sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen“, sagt Adrian Grüb, Bauzeichner bei Talbau Haus in Weissach im Tal. Er hält es für „gut und wichtig“, mehr Solaranlagen auf Neubauten anzubringen. Von einer Verpflichtung ist er jedoch nicht angetan. Genauso wenig wie Friedrich Baliet, der Geschäftsführer der Firma Komfort Wohnbau aus Backnang. „PV-Anlagen gehören seit Jahren zu unserer Standardausstattung“, sagt Baliet. Das komme gut an bei den Kunden, da die Nebenkosten für Strom und Wärme durch den Solarstrom heruntergefahren werden können. „Man profitiert definitiv davon“, betont Baliet. Die Verpflichtung findet er aber „nicht optimal“. „Wenn der Staat das vorschreibt und die Nachfrage dadurch steigt, werden die Hersteller die Preise anpassen“, meint er.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Gernot Gruber aus Backnang spricht sich mit Blick auf diejenigen, für die der Kauf einer PV-Anlage aus finanziellen Gründen schwierig wäre, für innovative Lösungen aus. Er kann sich zum Beispiel vorstellen, dass Hauseigentümer ihre Dachfläche an die zuständige Stadt- oder Gemeindeverwaltung verpachten. „Das wäre eine Erleichterung für diejenigen, die finanziell am Limit sind“, sagt er und verweist auf Tübingen, wo Oberbürgermeister Boris Palmer dies in Neubaugebieten bereits erfolgreich umgesetzt habe. Seine Idee hat Gruber schon im Umweltausschuss des Landtags ins Gespräch gebracht.
Er selbst hat seit 2001 eine Solaranlage auf dem Dach. Insgesamt habe die sich wirtschaftlich zwar nicht großartig gelohnt, aber trotzdem einen Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Mittlerweile seien die Anlagen aber so preisgünstig geworden, dass sie sich viel schneller amortisieren würden, sagt er. Außerdem gebe es für den Kauf einen Strauß an Förderprogrammen von Bund und Land.
Die Solarpflicht hält der SPDler „grundsätzlich für richtig und wichtig“, weil die Anbringung von PV-Anlagen bei Neubauten technisch am einfachsten umzusetzen ist. Es werde aber sicher Ausnahmen von der Pflicht geben, „wenn es wirtschaftlich nicht verträglich oder die Umsetzung nicht sinnvoll ist“.
Die Solarpflicht sei nur ein Baustein im Kampf gegen den Klimawandel, sagt er. „Wenn wir die Energiewende schaffen möchten, ist es mindestens genauso wichtig, mehr Energie einzusparen und sie effizienter zu nutzen.“
Auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Ralf Nentwich aus Murrhardt hält die neue Solarpflicht für einen wichtigen Baustein der Energiepolitik der Landesregierung. Allein in seiner Heimatstadt wären theoretisch etwa 90 Prozent aller Flächen und Häuser gut oder sehr gut für PV-Anlagen geeignet, wie eine Karte der Landesanstalt für Umwelt zeigt (www.energieatlas-bw.de).
Auf seinem eigenen Dach hat er seit 2,5 Jahren eine Solaranlage. Obwohl diese ihm zufolge „in nicht ganz optimaler Lage“ angebracht ist, spart die Familie Nentwich jährlich zirka sieben Tonnen CO2 ein – keine kleine Menge, wenn man bedenkt, dass dem Umweltbundesamt zufolge jeder Deutsche rund 11,6 Tonnen CO2 pro Jahr verbraucht. „An sonnigen Tagen haben wir eine Strom-Autarkiequote von 99 bis 100 Prozent“, freut sich der neu gewählte Landtagsabgeordnete. Mithilfe einer App hat er seinen Stromverbrauch täglich im Blick und kann ihn optimal steuern: Zu welcher Uhrzeit ist es am günstigsten, Wäsche zu waschen? „Das spornt einen wirklich an“, sagt er.
Für diejenigen, die finanzielle Unterstützung benötigen, brauche es natürlich Förderprogramme, sagt er. Dennoch ist die Solarpflicht ein logischer Schritt für ihn. Die Anlage zahle sich über die Jahre selbst, außerdem steigere sich der Wert eines Hauses mit einer PV-Anlage. „Das investierte Geld ist ja nicht weg“, sagt er.
Die Solarenergie hält Nentwich für den Gamechanger in der Klimastrategie. Noch mehr als auf die Häuslebauer setzt er auf die zwei Prozent Landesfläche, die künftig für Windkraft und PV-Anlagen zur Verfügung gestellt werden. Großes Potenzial sieht er außerdem beim der Agri-Photovoltaik, der gleichzeitigen Nutzung von Flächen für die Landwirtschaft und die PV-Stromproduktion. „Da sind viele Synergieeffekte möglich!“
Mit Photovoltaikmodulen auf 15 Quadratmeter Dach- oder Carportfläche lässt sich etwa so viel Solarstrom erzeugen, um mit einem E-Auto ein Jahr über die Straßen zu rollen, teilt das Photovoltaik-Netzwerk Region Stuttgart mit. „Das senkt die Kosten fürs Autofahren und macht es nachhaltiger“, so Michael Schaaf von dem Netzwerk.
Mehr günstiger und klimafreundlicher Solarstrom kommt mit einer Photovoltaik-kompatiblen Wallbox ins E-Auto. Sie kann den Ladestrom stufenlos steuern; bei einer höheren Solarstromerzeugung wird mehr geladen, bei einer geringeren weniger.
Einen Zuschuss von 900 Euro gibt es für einige Wallboxen bis elf Kilowatt Leistung in Verbindung mit Photovoltaik oder Ökostrom für private Stellplätze. Dieser kann bei der KfW-Förderbank beantragt werden.
Weitere Infos erhalten Interessierte kostenfrei bei den Expertinnen und Experten des Photovoltaik-Netzwerks Region Stuttgart oder unter www.photovoltaik-bw.de.