Es holpert bei der Barrierefreiheit im Rems-Murr-Kreis
Beim Herstellen der Barrierefreiheit tut man sich im Rems-Murr-Kreis schwer. Vielerorten – auch in Backnang – kommt es zu Verzögerungen. Der überarbeitete Maßnahmenplan des Kreises mit weniger Projekten stößt auf Kritik des Sozialverbands VdK.
Von Lorena Greppo
Rems-Murr. Der barrierefreie Ausbau der insgesamt 1526 öffentlichen Bushaltestellen im Rems-Murr-Kreis geht schleppend voran. Das gilt für die 1295 Haltestellen in der Baulast der Städte und Gemeinden genauso wie für die 101 Haltestellen in der Baulast des Rems-Murr-Kreises. Eigentlich hatte sich die Kreisverwaltung vorgenommen, 46 Haltestellen im eigenen Zuständigkeitsbereich bis zum 1. Januar 2022 entsprechend umzubauen. „Dieses ambitionierte Ziel konnte mit den im Straßenbauamt vorhandenen Personalkapazitäten nicht erreicht werden“, hieß es in den Unterlagen der jüngsten Sitzung des Umwelt- und Verkehrsausschusses des Kreistags. Tatsächlich war zu jenem Zeitpunkt noch keine einzige der Haltestellen in Baulast des Kreises umgebaut.
Die Ausbauplanung sei deshalb in Abstimmung zwischen dem Amt für Öffentlichen Personennahverkehr und dem Straßenbauamt neu geordnet und langfristig ausgerichtet worden. „In der nächsten Fortschreibung des Nahverkehrsplans wird diese neue Betrachtung Beachtung finden.“ Aufgrund der aktuell zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel für den Straßenbau würde pro Jahr der Umbau von vier bis sechs Haltestellen angestrebt. Mit der Umsetzung der Maßnahmenliste soll in diesem Jahr begonnen werden.
Inzwischen, teilte der Leiter des technischen Dezernats Stefan Hein mit, seien fünf Bushaltestellen umgebaut worden, darunter jene in Großerlach-Grab an der Kreisstraße 1902 (Richtung Trauzenbach). Der neue Maßnahmenplan sieht statt der genannten 46 Haltestellen nur 30 vor, die bis 2029 fertiggestellt werden sollen. Darunter finden sich aus dem Verbreitungsgebiet unserer Zeitung Haltestellen in Aspach (Hohrot, Röhrach und Marbacher Straße, jeweils beide Seiten), in Murrhardt (Robert-Franck-Straße beidseitig, Sauerhöfle und Jugendherberge), in Großerlach (Erlach und Hohenbrach, jeweils beidseitig) sowie in Weissach (Bruch Kelter, beidseitig).
Fahrgastzahlen haben das größte Gewicht
Die 30 Vorhaben haben laut Kreisverwaltung die höchste Priorität. Als Kriterien für deren Ermittlung habe man die Fahrgastzahlen mit einer Gewichtung von 45 Prozent herangezogen, die Verkehrsbedeutung mit 35 Prozent und örtliche Besonderheiten mit 20 Prozent. Örtliche Besonderheiten seien beispielsweise Alten- oder Pflegeheime in unmittelbarerer Nähe. Stefan Hein veranschaulichte auch anhand des Beispiels der Bushaltestelle in Alfdorf-Kapf (Abzweigung zum Greuthof), warum ein barrierefreier Ausbau nicht überall Sinn mache: „Es gibt Haltestellen, die schon gar nicht barrierefrei zugänglich sind“, so Hein.
Die Kreisräte betonten den Stellenwert der Barrierefreiheit im ÖPNV. Willy Härtner (Grüne) berichtete, dass er öfter mit seiner Fraktionskollegin Juliana Eusebi unterwegs sei. Eusebi sitzt im Rollstuhl, „zusammen mit ihr fallen einem viele Unzulänglichkeiten überhaupt erst auf“. Er könne die Kreisverwaltung daher nur dazu ermutigen, weiterzumachen. „Es ist unwahrscheinlich wichtig, den Ausbau so schnell wie möglich umzusetzen.“ Auch Nadine Gothe (Grüne) betonte: „Barrierefreiheit darf kein Luxus sein, sondern sollte Standard werden.“ Philip Köngeter (Linke/ÖDP) fand es bedauerlich, dass der Ausbau länger dauert als zuerst gedacht.
Sozialverband findet die Verzögerung „inakzeptabel“
Kritik und Sorge äußerte zum Thema auch der kommissarische Kreisvorsitzende des Sozialverbands VdK Udo Rauhut. In einem offenen Brief an den Landrat und die Kreistagsfraktionen bemängelte er, dass der Maßnahmenplan für den barrierefreien Umbau der Bushaltestellen einen Zeitrahmen von bis zu 20 Jahren vorsieht. „Diese Verzögerung ist für uns inakzeptabel, da es sich um eine äußerst wichtige und drängende Angelegenheit handelt“, schreibt Rauhut. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen seien täglich auf die Funktionalität und Barrierefreiheit von Bushaltestellen angewiesen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. „Eine solch langfristige Planung und Umsetzung lassen diese Gruppe von Mitbürgerinnen und Mitbürgern unnötig lange im Unklaren über die Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen.“
Der VdK appelliere daher an den Kreistag und die Verwaltung, sich für eine Beschleunigung des Maßnahmenplans einzusetzen. Udo Rauhut schreibt weiter: „Es ist uns bewusst, dass die Umsetzung solcher Projekte Zeit in Anspruch nehmen kann. Jedoch sind 20 Jahre eine zu lange Zeitspanne, besonders wenn es um die grundlegenden Bedürfnisse von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen geht.“
Auch in Backnang ist noch viel zu tun
Dass die Nutzung des ÖPNV für Menschen mit Behinderung in Backnang „sicherlich noch nicht optimal“ ist, erkennt auch die Stadtverwaltung an, das teilt Pressesprecher Christian Nathan mit. Die vollständige Barrierefreiheit werde aufgrund äußerer Einflussfaktoren wie der Topografie, der teilweise engen Straßenräume und der komplizierten Eigentumsverhältnisse „auch nicht absehbar an allen Haltestellen herstellbar sein“, fügt er an. Allerdings sei die Stadt Backnang beim laufenden Ausbauprogramm auf einem guten Weg – unter anderem durch den begonnenen Umbau des Bahnhofs und die Installation der digitalen Fahrgastinformation.
Von den 152 Bushaltestellen in der Baulast der Stadt sind aktuell 13 vollständig barrierefrei ausgebaut, zwei weitere befinden sich in der Umsetzung. Planmäßig sollen im Zeitraum der Jahre 2022 bis 2026 insgesamt 18 Bushaltestellen umgebaut werden – drei davon sind das inzwischen. Basis dessen ist ein Förderantrag nach dem Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Christian Nathan räumt jedoch ein: „Aufgrund der Kostensteigerung gegenüber der Programmaufnahme und der Deckelung der Fördersumme werden allerdings nicht alle 18 Bushaltestellen im Rahmen des Programms umgesetzt werden können.“ Diese würden dann entweder in einen weiteren Antrag einbezogen (ab 2027) oder im Zusammenhang mit anderen Baumaßnahmen geplant. Bei ohnehin anstehenden Straßenbaumaßnahmen sei auch ein Austausch gegen andere Standorte möglich, um so Synergien zu nutzen.
Ein komplexer Prozess
Warum ein Umbau einer Bushaltestelle so aufwendig ist, schilderte Stefan Hein in der Ausschusssitzung ebenfalls. „Da sind viele Elemente zu berücksichtigen“, so Hein. Das beginne schon bei der Aufnahme des Bestands und der Grundstücksgrenzen. Die Wahl der Haltestellenart (Busbucht oder Buskap) müsse abhängig von der Örtlichkeit getroffen werden, Anträge für Förderprogramme müssten erstellt und eingereicht werden. Und dann gilt es noch, die Ausführungsplanung zu machen sowie Ausschreibung und Vergabe vorzubereiten.
Dennoch: Das Personenbeförderungsgesetz (Fassung ab 2013) besagt: „Der Nahverkehrsplan (NVP) hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen.“