„Es ist eine sinnstiftende Tätigkeit“

Das Interview 15 Jahre lang leitete Ian Schölzel die Geschicke der Gemeinde Weissach im Tal. Seit 17. März ist er Erster Bürgermeister der Stadt Waiblingen. Im Gespräch mit unserer Zeitung blickt er auf seine Zeit als Rathauschef der Tälesgemeinde zurück.

Fast zwei Amtsperioden lang war das Rathaus in Unterweissach Ian Schölzels Arbeitsplatz. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Fast zwei Amtsperioden lang war das Rathaus in Unterweissach Ian Schölzels Arbeitsplatz. Foto: A. Becher

Weissach im Tal. Erst die Finanzkrise, dann die Flüchtlingskrise, zuletzt die Coronapandemie: Die Amtszeit von Ian Schölzel war von Herausforderungen gezeichnet. Mit dem, was er in der Tälesgemeinde erreicht hat, ist der ehemalige Bürgermeister von Weissach im Tal aber durchaus zufrieden.

Herr Schölzel, weshalb haben Sie sich 2007 in Weissach im Tal beworben?

Damals war ich Hauptamtsleiter in Wiernsheim. Mein Wunsch war es, Bürgermeister zu werden. Weissach im Tal hat insofern gut gepasst, als meine Frau und ich beide aus der Gegend kommen und Weissach als sehr attraktive Gemeinde kannten, die für einen Bürgermeister viele Gestaltungsmöglichkeiten versprach und wo wir uns auch vorstellen konnten, heimisch zu werden.

Haben Sie Ihren Wahlsieg erwartet?

Das hatte ich gar nicht erwartet, weil mein Mitbewerber (Anm. d. Red.: Achim Grockenberger, zu der Zeit stellvertretender Leiter des Haupt- und Ordnungsamts in Urbach) ja ein absoluter Fachmann war und von Teilen des Gemeinderats unterstützt wurde. Von dem her war ich natürlich überglücklich, mit einem sehr, sehr starken Ergebnis aus der Wahl herauszukommen.

Mit Ihrer Bestätigung im Amt 2015
haben Sie aber schon gerechnet?

Bei Wahlen sagt man ja immer: Eine Sau kann man schätzen, eine Wahl nicht (lacht). Natürlich, wenn man alleiniger Bewerber ist, hat man zumindest einmal die große Hoffnung, dass es etwas werden könnte. Aber ich denke, das war wirklich der Arbeit zu verdanken, dass letztlich keiner den Mut hatte, dagegen zu kandidieren. Dass die Wahlbeteiligung am Ende bei fast 40 Prozent lag – was für eine Einzelbewerbung schon fulminant ist – war eine sehr schöne Bestätigung und Wertschätzung im Amt.

Wie waren Ihre Anfänge als Schultes?

Damals hat eine große Euphorie vorgeherrscht. Obwohl mein Vorgänger nach der Wahl noch eine Zeit lang im Amt war, sind die Bürger direkt auf mich zugekommen. Ich hatte es also von Anfang an mit verschiedenen Projekten zu tun.

Welche Projekte waren das?

Damals gab es diesen Streit um das Ochsenareal. Heute denkt da kein Mensch mehr dran. Man wollte ein betreutes Seniorenwohnheim bauen in der Ortsmitte. Dagegen hatte sich eine Bürgerinitiative gegründet. Es ging relativ heftig zur Sache. Meine Herausforderung war es, den Ortsfrieden zu bewahren und einen Kompromiss hinzubekommen. Was mir dann auch gelungen ist. Aber es war schon eine große Hausnummer.

Kein leichter Einstieg.

Ja. Und parallel dazu stand die Diskussion im Raum: Wie kann man den Schulstandort Oberweissach erhalten? Die Schülerzahlen gingen damals rapide herunter. Relativ schnell haben wir den Ganztagsbetrieb mit eigener Küche als eigenes Profil auserkoren. Das war damals eine Neuerung. Dadurch hat sich der Schulstandort gefestigt. Dazu kam die Rombold-Brache, zu der Zeit eine der größten Industriebrachen, die es zu entwickeln galt. Kurz danach hat uns schon die Finanz- und Wirtschaftskrise eingeholt.

Auf was sind Sie selbst besonders stolz?

Das, was gut gelungen ist, trotz aller Krisen, war es, vor Ort ein gutes Miteinander und Wirgefühl aufrechtzuerhalten. Und ich war, glaube ich, ein Schultes zum Anfassen, jemand, bei dem die Türen immer offen standen, der sich im Prinzip um fast alles gekümmert hat. Sicher ist es mir nicht gelungen, alle Probleme zu lösen. Aber ich habe mein Möglichstes getan.

Was macht den Beruf für Sie attraktiv?

Für mich ist der Bürgermeisterberuf einer der schönsten Berufe im öffentlichen Bereich, weil man selbst gestalten kann, weil man etwas bewegen und beeinflussen, kreativ sein kann. Und weil man sieht – selbst wenn es nur im Kleinen oder im persönlichen Bereich ist –, dass man etwas bewirken kann. Es ist eine sinnstiftende Tätigkeit.

Was war Ihre größte Herausforderung?

Eine der größten Herausforderungen war der Brandanschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft 2015. Unsere Gemeinde war sechs bis acht Wochen bundesweit in den Schlagzeilen. Ich sah meine Aufgabe darin, das wahre Gesicht Weissachs nach außen zu kommunizieren. Ich denke, das ist mir ganz gut gelungen, aber das war nicht immer vergnügungssteuerpflichtig. Weissach ist wirklich bunt und tolerant. Klar gibt es auch bei uns den einen oder anderen ewig Gestrigen, aber das ist sicher nicht das Bild, das man von Weissach haben darf. Da als Bürgermeister Kante zu zeigen, war, glaube ich, wichtig und richtig. Aber es war zum Teil sehr belastend.

Wie hat sich Weissach im Tal in den vergangenen 15 Jahren entwickelt?

Wir haben mittlerweile eine gute Infrastruktur. Man kriegt vor Ort fast alles, was man für den täglichen Bedarf braucht. Natürlich fehlen bestimmte Läden und man muss noch manche Brachflächen entwickeln. Aber insgesamt hat die Gemeinde unheimlich viel zu bieten. Gerade was Schul- und Bildungsstätten angeht, sind wir landkreisweit spitze, würde ich behaupten.

Welches Projekt hätten Sie gerne noch angestoßen oder zu Ende geführt?

Was mich tatsächlich gereizt hat, ist diese PV-Freiflächenanlage am Rand von Unterweissach. Sicher, da steckt noch Diskussion drin, es gibt ein Für und Wider. Aber ich finde das ein spannendes Projekt, weil es dadurch gelingen kann, Weissach als eine der ersten Gemeinden im Kreis in Richtung Klimaneutralität zu führen. Daneben gibt es natürlich noch viele andere Projekte, zum Beispiel die alte Kelter in Bruch, die Pumptrackanlage oder auch den Auenpark.

Im März 2021 haben Sie sich als Erster Bürgermeister in Bietigheim-Bissingen beworben, aber einen Rückzieher gemacht. Jetzt sind Sie Erster Bürgermeister in Waiblingen. Wie kam es dazu?

Ich habe immer wieder Anfragen bekommen, ob ich mich nicht hier oder dort bewerben möchte. Das war für mich nie ein Thema, weil ich mit ganzem Herzen in Weissach war. Bei Bietigheim war der wunde Punkt, dass ich dort schon einmal gelebt habe, familiären Bezug habe. Als die Anfrage kam, habe ich mich darauf eingelassen. Aber dann war klar, dass in beiden Nachbargemeinden die Verwaltungsspitze neu besetzt werden würde. Und dann haben auch die Weissacher ganz eifrig um mich gekämpft. Deshalb konnte ich den letzten Schritt nicht gehen. Auf der anderen Seite habe ich mir dann doch Gedanken gemacht: Jetzt bin ich 45 – kommt da noch etwas anderes? Da kam die Anfrage von Waiblingen.

Ihr neues Amt haben Sie schon angetreten. Wie sehen Ihre Tage jetzt aus?

Ich bin quasi noch halb-halb beschäftigt (lacht). Jeden Tag kriege ich Anrufe aus Weissach – was mich aber freut. Ich habe kein offizielles Mandat mehr, aber ich bin sozusagen in der Rolle des Beraters. Ich denke, das wird wahrscheinlich so lange der Fall sein, bis eben die Neue oder der Neue im Amt ist. Gleichzeitig bin ich natürlich auch in Waiblingen gefordert. Ein wichtiges Thema ist momentan zum Beispiel die Unterbringung der ukrainischen Geflüchteten.

Ist es Ihnen leichtgefallen, das Zepter in Weissach abzugeben?

Nein, das tut schon weh. Aber ich bin froh, dass die Weissacher am Sonntag eine gute Auswahl haben. Natürlich wird der- oder diejenige ganz andere Akzente setzen. Das ist ja auch richtig so. Aber ich habe das Gefühl, dass es dann auch wirklich gut weitergeht. Und das ist mir persönlich ganz arg wichtig. Wenn man den Schlüssel sinnbildlich übergibt, möchte man ja auch ein gutes Gefühl dabei haben.

Und privat? Bleiben Sie in Weissach oder ziehen Sie bald nach Waiblingen?

Nein, meine Frau und ich sind absolut integriert in Weissach. Unsere Kinder gehen hier in die Schulen und wir fühlen uns sehr wohl. Auf der anderen Seite sind wir natürlich nicht an Beton gebunden. Das heißt, wenn sich in x Jahren eine Möglichkeit auftut, würden wir das nicht ausschließen. Aber das hat jetzt keine Priorität für uns.

Das Gespräch führte Melanie Maier.

Ian Schölzel

Werdegang Ian Schölzel wurde 1976 in Backnang geboren. Er wuchs in Kirchberg an der Murr auf. Sein Abitur absolvierte er am Max-Born-Gymnasium in Backnang, den Zivildienst leistete er in der Schwerstbehindertenbetreuung und im Mobilen Dienst bei der Arbeiterwohlfahrt. Anschließend studierte Schölzel gehobenen Verwaltungsdienst an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg.

Karriere Der Diplom-Verwaltungswirt war Leiter des Haupt- und Ordnungsamts in Walheim (Kreis Ludwigsburg) sowie in Wiernsheim (Enzkreis), bevor er 2007 zum Bürgermeister von Weissach im Tal gewählt wurde. 2015 wurde er im Amt bestätigt.

Privates Mit seiner Frau Martina hat Ian Schölzel drei Kinder: Greta (elf Jahre), Jakob (acht Jahre) und Carlotta (drei Jahre).

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Erstellt:
25. März 2022, 06:00 Uhr

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