SPD

Esken zum Bürgergeld: „Missbrauch muss ganz klar sanktioniert werden“

Kann die SPD im Wahlkampf noch die Trendwende schaffen? Parteichefin Saskia Esken spricht im Interview vor dem Parteitag in Berlin über die Vorschläge der SPD zur Wirtschaftspolitik und den richtigen Umgang mit Donald Trump.

Saskia Esken steht seit 2019 an der Spitze der SPD.

© dpa/Carsten Koall

Saskia Esken steht seit 2019 an der Spitze der SPD.

Von Tobias Peter

Einen Kanzler mit Einarbeitungszeit könne sich das Land nicht leisten, warnt SPD-Chefin Saskia Esken.

Frau Esken, beim Parteitag am Samstag wird Olaf Scholz offiziell zum Kanzlerkandidaten gekürt. Viele hätten sich lieber Verteidigungsminister Boris Pistorius als Kandidaten gewünscht. Was bedeutet das für den Wahlkampf?

Wir haben mit dem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz im Jahr 2021 das Ruder herumgerissen und die Wahl gewonnen. Das wird uns auch in diesem Jahr gelingen. Ich bin überzeugt und der Parteitag wird es zeigen: Die SPD steht geschlossen hinter Olaf Scholz. Mit ihm und einem starken Programm starten wir sehr kämpferisch in den Wahlkampf.

Scholz konnte seine Regierung nicht zusammenhalten. Warum soll jetzt nicht ein anderer, Friedrich Merz, seine Chance bekommen, es besser zu machen?

Olaf Scholz hat drei Jahre lang in der Ampel Kompromisse geschmiedet. Er hat unser Land – auch als Partner internationaler Bündnisse – mit ruhiger Hand und sicher durch weltweite Krisen geführt. Als ehemaliger Arbeits- und Finanzminister, als Vizekanzler und jetzt als Kanzler bringt Olaf Scholz die Erfahrung mit, die unser Land braucht. Friedrich Merz hat nicht einen Tag Regierungserfahrung. Gerade in einer Zeit, in der Donald Trump neuer Präsident der USA wird, kann unser Land sich keinen Kanzler mit Einarbeitungszeit leisten.

Deutschland ist in der Rezession. Was ist der wichtigste Punkt, mit dem die SPD die Wirtschaft voranbringen möchte?

Neben wettbewerbsfähigen Energiepreisen und dem Abbau von unnötiger Bürokratie sind für uns vor allem Investitionsanreize für Unternehmen von zentraler Bedeutung. Mit dem „Made in Germany“-Bonus wollen wir diese Investitionen fördern. Firmen erhalten eine Steuergutschrift in Höhe von zehn Prozent der Anschaffungssumme, wenn sie hierzulande investieren und damit Arbeitsplätze sichern. Davon profitieren alle – nicht zuletzt auch die Maschinenbauer, die von der Krise der Autoindustrie schwer getroffen sind.

Warum senken Sie nicht die Unternehmenssteuern?

Pauschale Unternehmenssteuersenkungen mit der Gießkanne sind nicht zielgerichtet, weil damit nicht gewährleistet ist, dass die Mittel in Deutschland investiert werden. Genauso gut könnten sie als Dividenden ausgeschüttet oder im Ausland investiert werden. Das hilft dem Standort Deutschland nicht.

Als Deutschland Anfang der 2000er-Jahre als kranker Mann Europas galt, hat der SPD-Kanzler Gerhard Schröder sich mit der Agenda 2010 zu schmerzhaften Reformen durchgerungen. Was verlangen Sie den Menschen ab?

Es geht nicht darum, Schmerz zu verbreiten, sondern Probleme zu lösen. Deutschland hat viel zu lange zu wenig investiert. Das gilt für die Unternehmen, die wir mit dem „Made in Germany“- Bonus dazu anregen wollen. Das gilt aber auch für unsere Infrastruktur, für Schulen, Strom- und digitale Netze, für Brücken und die Schieneninfrastruktur, in die der Staat investieren muss. Wir legen einen Deutschlandfonds auf, wo auch privates Kapital rentierlich investiert werden kann. Und wir werden die Schuldenbremse reformieren, sodass sie keine Zukunftsbremse mehr darstellt.

Sie wollen nicht dem Einzelnen etwas abfordern, sondern mehr Schulden machen.

Wenn wir dadurch Investitionen in unsere Zukunft möglich machen. Es gibt aber auch Menschen, die einen größeren Beitrag zum Gemeinwohl leisten können. Wer über sehr hohe Vermögen verfügt, wer sehr große Erbschaften erhält, kann mehr einbringen. Wir wollen 95 Prozent der Einkommensteuerzahler entlasten. Die oberen ein bis zwei Prozent sollen mehr zahlen. Diese Menschen wurden in der Vergangenheit geschont. Die anderen brauchen, allein schon wegen der gestiegenen Preise, eine Entlastung.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat gesagt, er würde beim Bürgergeld in der nächsten Legislaturperiode noch mal nachsteuern. Warum haben Sie das nicht jetzt schon getan?

Wir sind immer in der Pflicht, zu schauen, dass die Steuergelder zielgerichtet eingesetzt und nicht missbraucht werden. Deshalb haben wir auch beim Bürgergeld bereits evaluiert und nachgesteuert. Und auch in einer kommenden Bundesregierung werden wir genau hinschauen. Missbrauch muss ganz klar sanktioniert werden. Wer beispielsweise Bürgergeld bezieht und nebenbei schwarzarbeitet, handelt kriminell. Den Kern der Reform werden wir aber nicht ändern.

Nämlich?

Wir wollen langzeitarbeitslose Menschen dauerhaft in gute Arbeit bringen und so befähigen, auf eigenen Beinen zu stehen. Dafür ist es notwendig, Menschen nicht nur in irgendeinen Job zu vermitteln – und drei Wochen später stehen sie wieder im Jobcenter. Wo Qualifikationen fehlen, muss das Vorrang haben.

Viele finden den Abstand zwischen denen, die arbeiten, und denen, die Sozialleistungen beziehen, nicht groß genug.

Auch deshalb muss der Mindestlohn steigen. Wir haben vor der vergangenen Wahl versprochen, den Mindestlohn per Gesetz auf zwölf Euro zu erhöhen. Das haben wir getan. In der Mindestlohnkommission haben die Arbeitgeber einseitig dafür gesorgt, dass folgende Erhöhungen viel zu gering ausgefallen sind. Der Mindestlohn muss jetzt zügig auf 15 Euro steigen. Darauf wird die SPD in der kommenden Bundesregierung bestehen.

Heben Sie den Mindestlohn also erneut politisch per Gesetz an?

Wenn das notwendig wird, ja. Das kann ja aber nicht immer wieder die Lösung sein. Und deshalb muss es uns auch gelingen, den Auftrag der Mindestlohnkommission per Gesetz so nachzuschärfen, dass Erhöhungen wieder im Konsens getroffen werden und dass sie künftig – auch mit Blick auf die europäische Mindestlohnrichtlinie – angemessen ausfallen.

Die SPD will die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel senken. Warum kommt Ihnen diese Idee erst im Wahlkampf?

Die FDP wollte keine Steuererhöhungen für Superreiche – dadurch war auch der Spielraum für Steuersenkungen beschränkt. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel wird Familien spürbar entlasten. Wir werden aber genau darauf schauen müssen, dass der Handel eine solche Steuersenkung auch weitergibt. Die Aufsichtsbehörden müssen einschreiten, falls es Preisabsprachen zuungunsten der Kunden gibt.

Ist die Reform der Schuldenbremse eine Bedingung für jede neue Regierung, in der die SPD mitmacht?

Eine Reform der Schuldenbremse ist eine Bedingung für jede Partei, die sich der Realität stellt. Die schwäbische Hausfrau – die da ja häufig als Kronzeugin herhalten muss – weiß, dass sie ihren Kühlschrank nicht auf Kredit füllen kann. Aber wenn es zum Dach reinregnet, nimmt sie für die Reparatur einen Kredit auf. Weil das Haus sonst dauerhaft Schaden nimmt und erheblich an Wert verliert. Und in Deutschland regnet es definitiv zum Dach rein. Fast alle sehen doch, dass wir in unsere Infrastruktur massiv investieren müssen.

Deutschland muss künftig deutlich mehr für die Bundeswehr ausgeben. Ist es nicht logisch, dass im Gegenzug anderswo gespart werden muss?

Deutschland hat viele Aufgaben zu stemmen. Wer dabei das eine gegen das andere ausspielt, beispielsweise die notwendigen Verteidigungsausgaben gegen die Rente, gegen die Bildung oder gegen die Infrastruktur, der zündet das Land an. So ein Entweder-oder ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen. Deshalb noch mal: Die Schuldenbremse muss reformiert werden und besonders starke Schultern müssen mehr beitragen. Fakt ist aber auch: Mit Olaf Scholz hat sich der Verteidigungsetat in den letzten sieben Jahren bereits mehr als verdoppelt. Wir erfüllen die Nato-Quote von derzeit zwei Prozent, investieren massiv in die Landes- und Bündnisverteidigungsfähigkeit unserer Bundeswehr. Und das werden wir auch weiterhin tun.

Der künftige US-Präsident Donald Trump fordert fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben. Viele Äußerungen Trumps, etwa zu Grönland, irritieren. Wie muss Deutschland damit umgehen?

Olaf Scholz hat, nach Absprache mit unseren europäischen Partnern und Freunden, sehr deutlich gemacht, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen ein Grundprinzip des Völkerrechts ist. Daran darf nicht gerüttelt werden. Ich bin froh, dass wir einen Kanzler haben, der innerhalb der EU schnell enge und verlässliche Absprachen treffen kann. Friedrich Merz schafft es nicht einmal zwischen CDU und CSU für Einigung zu sorgen, wie soll er es dann erst innerhalb der Europäischen Union schaffen.

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Erstellt:
10. Januar 2025, 00:10 Uhr

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