Expertin: „Stillen hat schützendes Potenzial“

dpa Karlsruhe. Schon im Mutterleib wird die Basis dafür gelegt, was einem später schmeckt - ob man eher zu Gemüse oder zum Burger greift. Das noch junge Institut für Kinderernährung hat bei der Arbeit zur Nationalen Stillstrategie eine bestimmte Gruppe Mütter besonders im Blick.

Zum Schutz ihrer Kinder sollten Mütter nach Angaben einer Expertin Babys möglichst ein halbes Jahr lang ausschließlich stillen. Gerade übergewichtige Frauen mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 25 hätten Studien zufolge aber häufig Probleme dabei, erklärte Regina Ensenauer, Leiterin des Instituts für Kinderernährung in Karlsruhe. Über die Langzeitfolgen - auch für den Nachwuchs - wisse man noch viel zu wenig. Dabei sei das Risiko, schon im Vorschulalter übergewichtig zu werden, bei diesen Kindern um das mindestens Zwei- bis Vierfache erhöht. „Und dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man später normalgewichtig wird, verschwindend gering.“

In Deutschland haben Ensenauer zufolge nahezu 40 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter einen BMI von 25 aufwärts. In den USA seien es fast zwei Drittel. „Diese Zahlen wachsen stetig, stetig, stetig“, sagte die Ärztin. „Corona hat das nicht besser gemacht.“ Während der Lockdowns hätten sich viele zum Beispiel nicht ausreichend bewegt.

Das Institut für Kinderernährung am Max Rubner-Institut wurde 2019 eröffnet. Neben Forschungen zur frühen Entstehung ernährungsmitbedingter Erkrankungen koordiniert es die Nationale Strategie zur Stillförderung, die das Bundesernährungsministerium im Sommer vorgestellt hat. Gesucht werden Wege, um Deutschland „stillfreundlicher“ zu machen. „Stillen als solches hat schützendes Potenzial“, sagte Ensenauer. Selbst einer Fehlprägung während der Schwangerschaft scheine man mit Stillen gegensteuern zu können.

Schon im Mutterleib werden ihren Angaben nach die Grundlagen dafür gelegt, was einem später schmeckt. Ab der 10. bis 14. Schwangerschaftswoche seien die Geschmacksknospen voll funktionsfähig. Über das Fruchtwasser nehme der Fötus Stoffe aus der Ernährung der Mutter auf. „Biologisch ist das sinnvoll: Das Baby soll bei der Geburt vorbereitet sein auf seine Umwelt und sich darin zurechtfinden“, sagte Ensenauer. „Dabei spielt Ernährung eine exorbitant wichtige Rolle. Wenn wir sie nicht so gestalten, dass der Fötus optimal vorbereitet ist, gibt es Probleme.“

In der Stillphase entwickelten sich dann Geschmacks- und Geruchssinn weiter. „Die ersten tausend Tage der Ernährung sind prägend“, sagte die Medizinerin. Gemeint sei in etwa der Zeitraum von der Befruchtung bis zum Ende des zweiten Lebensjahres. Wichtig seien eine ausgewogene und vielfältige Ernährung: vollwertig, Salat, Gemüse, Obst und wenig Fastfood und stark verarbeitete Lebensmittel. „Damit wird die Basis gelegt“, sagte die Institutsleiterin.

Sie verglich das mit einem Haus: Wenn das nicht auf einem festen Fundament stehe und solide Mauern habe, breche es bei Sturm schneller zusammen. Mit Blick auf die Entwicklung früh im Leben heiße das: Wenn der Fötus nur einseitig ernährt werde, habe er auch eine weniger stabile Ausgangsbasis und könne anfälliger sein. Schon Kinder könnten dann an Diabetes Typ 2 erkranken oder weitere Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen entwickeln wie einen erhöhten Blutdruck, überdurchschnittlich hohe Fettwerte, einen größeren Bauchumfang. „Es drohen später massive Folgeschäden“, warnte Ensenauer.

Übergewichtige Frauen haben übrigens auch ein höheres Risiko für Schwangerschaftsdiabetes. In Studien seien sie aber bislang nicht immer gesondert betrachtet worden. Mit eigenen großen Studien untersuchen Ensenauer und ihr Team, welche Folgen sich auch für die Kinder ergeben und ob spezielle, individuell zugeschnittene Beratungsangebote die Mütter beim Stillen unterstützen können. Ergebnisse werden in etwa zwei Jahren erwartet.

Die Expertin forderte zudem mehr Aufklärungsarbeit. Dafür müssten gleichermaßen Mediziner entsprechend geschult werden. Gerade Schwangere und junge Mütter besuchten regelmäßig Gynäkologen und Kinderärzte. Im Medizinstudium spiele der Aspekt Ernährung in der Regel aber keine Rolle, kritisierte Ensenauer. „Dabei sollte man deutlich häufiger und auch pränatal schon übers Stillen reden.“

© dpa-infocom, dpa:211106-99-888703/2

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Erstellt:
6. November 2021, 09:03 Uhr

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