Fehlendes Ersatzteil bringt Bahn aus dem Takt

Probleme mit Zugausfällen und Verspätungen auf der Murrtalstrecke – SPD-Abgeordneter Gruber kritisiert Minister Hermann

Fehlendes Ersatzteil bringt Bahn aus dem Takt

© Pressefotografie Alexander Beche

Von Armin Fechter

BACKNANG. Fährt der Zug oder fährt er nicht? Und wenn er fährt: Wie pünktlich ist er dann? Immer häufiger wird das Bahnfahren auf der Murrtalstrecke zwischen Hall und Stuttgart zur Lotterie. Von Zugausfällen und Verspätungen betroffen sind sowohl die Regionalzüge als auch die S-Bahnen. Und dann fällt auch noch ein Reservezug für Monate aus, weil ein Ersatzteil nicht zu kriegen ist.

Dass die Probleme im vergangenen Jahr wieder zugenommen haben, musste das Verkehrsministerium jetzt einräumen. Anlass war eine Anfrage des Backnanger SPD-Landtagsabgeordneten Gernot Gruber, der zu dem Ergebnis kommt: „2018 war unterm Strich kein gutes Jahr für Murrbahnfahrer. Und das, obwohl die Regionalzüge inzwischen alle halbe Stunde fahren und die S-Bahn ihren Viertelstundentakt ausgeweitet hat.“

Wie Verkehrsminister Winfried Hermann erklärt, sind im Zeitraum von Januar bis Oktober vergangenen Jahres zwischen Stuttgart und Hessental insgesamt 668 Züge ganz oder teilweise ausgefallen. Das sind 3,7 Prozent des gesamten Regionalverkehrs. Ein Schwerpunkt mit 208 Ausfällen lag im August, als die Strecke wegen eines schweren Oberleitungsschadens mehrere Tage lang gesperrt war. Zu den ausgefallenen S-Bahnen trifft Hermann keine Aussage: Erfasst werde lediglich, wie viele Zugkilometer im gesamten Netz ausfallen, nicht auf einzelnen Linien. Aufgabenträger sei im Übrigen der Verband Region Stuttgart.

Zu wünschen übrig lässt auch die Pünktlichkeit der Regionalzüge – wobei die Pünktlichkeitsgrenze bei 5:59 Minuten liegt, das heißt, erst ab sechs Minuten Verspätung gilt ein Zug als unpünktlich. Bis 2016 ergab sich unter dieser Prämisse übers Jahr gerechnet meist, dass um die 95 Prozent der Züge im Zeitrahmen lagen. 2017 waren es im Schnitt noch 91,4 Prozent, während der Wert im Jahr 2018 von 92,3 Prozent im Januar auf 84,8 Prozent im Oktober zurückgegangen ist.

Zu diesen Zahlen merkt der Minister an: „Die Entwicklung der Pünktlichkeit im Jahr 2018 ist sehr unbefriedigend.“ Das Problem werde regelmäßig gegenüber der DB Regio thematisiert. Zugleich verweist Hermann auf die deutschlandweite Kritik an der Bahn: „Hier ist der Eigentümer der DB besonders gefordert.“

Pünktlichkeit der S3 sackt im Oktober drastisch ab

Probleme zeigen sich auch bei der S-Bahn, allerdings weniger auf der S4 als vielmehr auf der S3. So weist die S4 seit ihrer Inbetriebnahme Ende 2012 stets relativ hohe Pünktlichkeitswerte aus, nämlich jeweils zwischen 96,2 und 97,7 Prozent. Im vergangenen Jahr bis Oktober waren es immerhin 97,5 Prozent. Die S3 dagegen liegt im Vergleichszeitraum zwischen 94,0 und im günstigsten Fall 96,2 Prozent. Markant aber die Entwicklung im vergangenen Jahr, als der Wert von 95,5 Prozent im Januar auf 88,2 Prozent im Oktober absackte.

Um Zugausfälle auffangen zu können, müssen Reservefahrzeuge bereitstehen. Im Netz 3b Gäu–Murr, das die Strecke Crailsheim–Stuttgart sowie Stuttgart–Konstanz beziehungsweise Freudenstadt umfasst, sind es mindestens drei. Davon muss ein Zug sofort und ein zweiter binnen sechs Stunden verfügbar sein. Im Netz 3a Stuttgart–Nürnberg, das ab Dezember 2019 von Go Ahead betrieben wird, sind zwei Triebzüge als Reserve vorgegeben, davon einer sofort verfügbar. Zurzeit gilt aber noch ein Übergangsvertrag, in dem zwar eine Instandhaltungsreserve von zehn Prozent vorgegeben ist, aber keine sofort einsetzbare Zuggarnitur. Das Ministerium bewertet die Reservequoten als überdurchschnittlich hoch. Aber: Im Netz 3b ist eines der Fahrzeuge wegen eines Schadens seit Monaten nicht im Einsatz. Und das benötigte Ersatzteil müsse erst nachproduziert werden.

Schadensersatz für die Fahrgäste der Murrbahn, die von Ausfällen und Verspätungen betroffen waren, hält Hermann allerdings nicht für nötig. Denn die Murrtalroute sei von Qualitätsproblemen „niemals so stark betroffen“ gewesen wie die Fils-, Rems-, Bodenseegürtel- oder Hochrheinbahn. Und: „Zugausfälle und Pünktlichkeit stellen hier kein massives Problem dar, das Entschädigungen rechtfertigen würde.“ Vertragsstrafen, die von der Bahn eingeholt werden, sollen stattdessen in Kapazitätsverstärkungen an Werktagen fließen, sichert der Minister zu. Des Weiteren werde der stark nachgefragte RE17511 zwischen Stuttgart und Hall verstärkt, und zwar für die gesamte Vertragslaufzeit bis Ende 2025.

Gruber spricht dagegen von einer fatalen Situation für Bahnfahrer, die auf einen Anschluss an einen lokalen Bus oder an den Fernverkehr in Stuttgart angewiesen sind. „Das sind pro Werktag zwei bis drei Ausfälle“, verdeutlicht er die Lage im Regionalverkehr. Immerhin sei auf eine gewisse Entlastung zu hoffen, wenn aus den Strafzahlungen der Bahn mehr Züge in Doppeltraktion – also zwei aneinandergekoppelte Züge – mit doppeltem Sitzplatzangebot fahren.

Damit sind aber die grundlegenden Probleme auf der Murrbahn nicht aus der Welt geschafft. Um dauerhaft eine hohe Verlässlichkeit zu erzielen, müsste laut Gruber erheblich in die Infrastruktur der Murrbahn investiert werden: „Die Instandhaltung der Züge, Gleise, Weichen, Leitungen oder Stellwerke muss besser werden“, sagt Gruber. Ihm ist auch unerklärlich, wie die Fertigung eines Ersatzteils, das einen Zug effektiv stilllegt, Monate dauern kann: „Ein verantwortungsvolles Unternehmen würde für solche Fälle größere Sicherheitspuffer einbauen.“ Das gelte auch für den Bund, der Eigentümer der Bahn ist. Dem Land wirft er unterdessen vor, versäumt zu haben, im Übergangsvertrag zum Betrieb der Linie bis Nürnberg sofort einsetzbare Reservezüge zu verankern.

Gruber hegt ferner die Hoffnung, dass ein ausgewogeneres Bild der S-Bahn-Verspätungen zu gewinnen ist, wenn alle 23 Stationen in die Betrachtung einfließen und nicht mehr nur ausgewählte. Wie viele S-Bahnen auf der Murrschiene aber 2018 weniger als drei Minuten Verspätung in der Hauptverkehrszeit hatten, ist noch unklar. Regionaldirektor Jürgen Wurmthaler vertröstete Gruber auf April.

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Erstellt:
26. Januar 2019, 06:00 Uhr

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