Flüchtlingsheime füllen sich wieder
Es verdichten sich erste Hinweise, dass die Kommunen wieder mehr Asylbewerber aufnehmen müssen. Obwohl viele Heime geschlossen wurden, sehen sich die Gemeinden und der Rems-Murr-Kreis gut gerüstet für einen leichten Anstieg.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Keiner möchte wieder Zustände wie im Jahr 2015, als die Flüchtlingswelle die Kommunen völlig unvorbereitet getroffen hat. Nachdem nun die ersten Anzeichen danach aussehen, dass die Flüchtlingszahlen wieder steigen könnten, wollen die Verantwortlichen sich keine Blöße geben. So haben Land und Landkreis frühzeitig die Kommunen informiert, dass demnächst wieder mehr Asylbewerber auf die Städte und Gemeinden verteilt werden könnten.
Rems-Murr-Landrat Richard Sigel hat vor einigen Tagen bereits darauf hingewiesen, dass sich die Zahl der Flüchtlinge, die im Rems-Murr-Kreis ankommen, zuletzt verdoppelt hat. Die Zunahme der Flüchtlingszahlen könnte auch deshalb zum Problem werden, weil das Land lange auf einen Abbau der Kapazitäten gedrängt hat. Müssen nun wieder Unterkünfte aufgebaut werden? In einem Brief an die Städte und Gemeinden schreibt Sigel: „Im Rems-Murr-Kreis stellen wir uns schon immer der humanitären Verpflichtung, die uns die weltpolitische Lage aufdrängt.“ Er betont, dass der Rems-Murr-Kreis aus der Flüchtlingskrise der Jahre 2015/2016 gelernt hat. „Wir setzen mit unserem Konzept zur Flüchtlingsunterbringung schon lange auf funktionierende Strukturen und stimmen uns dazu eng mit den Städten und Gemeinden ab“, betont Sigel.
Ein aktueller Brandbrief der für Justiz und Migration zuständigen Ministerin Marion Gentges lässt jedoch darauf schließen, dass das Land bei der Erstunterbringung von Flüchtlingen bald am Limit sein könnte und dann wieder schneller in die Fläche verteilt. Eine schnelle Weiterverteilung durch das Land könnte auch im Rems-Murr-Kreis zu Engpässen führen. Laut der Justizministerin müssen allerdings nun alle drei Ebenen wieder Kapazitäten aufbauen: das Land, die Kreise und die Kommunen.
Der Rems-Murr-Kreis nimmt das Land insoweit beim Wort und vertraut darauf, dass die entsprechenden Vorbereitungen auch in der Landeserstaufnahme schnellstmöglich getroffen werden. Ebenso fordert der Landrat eine dauerhafte Fortsetzung der Spitzabrechnung, also keine Pauschale pro Flüchtling, sondern die Erstattung der tatsächlich entstehenden Kosten.
Aktuell prüft das Landratsamt neben den langfristigen Lösungen auch Möglichkeiten, wie Flüchtlinge kurzfristig untergebracht werden könnten. Allerdings: Das Landratsamt kann derzeit keiner Kommune mitteilen, wie hoch die Anschlussunterbringungsquote für das Jahr 2022 ist, den Verwaltungen liegen derzeit keine Informationen vor.
In Backnang betreibt der Landkreis derzeit keine Gemeinschaftsunterkunft mehr. Zur Hochzeit war sogar die Sporthalle der Gewerblichen Schulen belegt. Zudem gab es im Industriegebiet Hummelbühl ein Gebäude, das aber nie komplett ausgebucht war. Die Stadt bekam zuletzt jährlich etwa 30 bis 50 Flüchtlinge zugewiesen. Bislang konnte für alle ein Platz gefunden werden, da viele Flüchtlinge früherer Jahre ihr Leben bereits selbst meistern und in privaten Wohnraum vermittelt werden konnten.
Im Gegensatz zum Land, Landkreis und vielen Kommunen hat Backnang laut Erstem Bürgermeister Siegfried Janocha die bisherigen Flüchtlingsunterkünfte nicht abgebaut. Für das Jahr 2021 konnten damit alle Verpflichtungen zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen erfüllt werden.
Die vier städtischen Anschlussunterkünfte (Stuttgarter Straße, Etzwiesenberg, Hohenheimer Straße und Gartenstraße) haben eine Gesamtkapazität von 262 Betten, wovon derzeit 36 Betten frei sind. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, über die Städtische Wohnbau Backnang GmbH und privaten Wohnraum weitere Kapazitäten zu schaffen. In den kommenden Wochen wird die Stadtverwaltung hierzu ein detailliertes Konzept im Gemeinderat vorstellen.
In der Gemeinde Allmersbach im Tal gibt es derzeit keine Gemeinschaftsunterkünfte, jedoch Unterkünfte für die sogenannte Anschlussunterbringung. Dort leben sowohl in gemeindlichen Obdachlosenunterkünften als auch in Privatwohnungen derzeit 53 Personen. Allmersbach hat die Nutzung der Flüchtlingsunterkünfte nicht grundsätzlich verändert. In den dafür vorgesehenen Gebäuden stehen derzeit Räumlichkeiten leer. Einzelne Räumlichkeiten wurden für andere Zwecke (Materiallager) umfunktioniert. In den gemeindeeigenen Räumlichkeiten gibt es derzeit ausreichend Kapazität, sodass Allmersbach auf steigende Zuweisung von Geflüchteten vorbereitet wäre. Die Gemeinde hat eine Kapazität von etwa 110 Plätzen unter Annahme der maximalen Belegungszahl pro Wohneinheit.
Aktuell sind in Althütte 48 Flüchtlinge untergebracht. Pascal Schwinger, der Leiter des Haupt- und Ordnungsamtes, bilanziert: „Für 2021 haben wir unser Aufnahme-Soll erfüllt. Für 2022 liegen uns noch keine konkreten Zahlen seitens des Landratsamtes vor, wir rechnen jedoch aus der Erfahrung heraus mit acht bis zehn Personen.“ Die Unterkünfte wurden bisher nicht aufgegeben, es wurden vielmehr zwei Gemeinschaftsunterkünfte des Landratsamtes in Anschlussunterbringungsunterkünfte umgewandelt. Dazu zählt das Flüchtlingsheim in der Daimlerstraße, das zur Hochzeit der Flüchtlingswelle vom Landratsamt gebaut wurde und sechs Wohneinheiten für 30 Menschen hat. Althütte könnte zudem dem Landratsamt ein kommunales Wohngebäude anbieten, das jedoch vorab ertüchtigt werden muss und das früher bereits als Flüchtlingsunterkunft genutzt wurde. Die eigenen Aufnahmekapazitäten sind nahezu erschöpft.
In Aspach betreibt der Kreis eine Gemeinschaftsunterkunft in der Marbacher Straße. Von den 62 Plätzen sind 41 belegt.
In Auenwald leben in Anschlussunterkünften und privaten Unterkünften etwa 90 Flüchtlinge. Die Quote in diesem Jahr wurde nahezu erfüllt; für das kommende Jahr rechnet die Gemeinde mit einer Zuweisung von 10 bis 15 Flüchtlingen. In Auenwald wurden keine Anschlussunterbringungsplätze und somit Obdachlosenunterbringungsplätze reduziert. Da die Gemeinde aktuell keine Kapazitäten mehr hat, müsste sie laut Bürgermeister Kai-Uwe Ernst im Fall von steigenden Flüchtlingszahlen über Containerlösungen nachdenken. Aktuell sind sämtliche Kapazitäten erschöpft.
In Burgstetten sind acht Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht und 24 in gemeindeeigenen Anschlussunterkünften. Nicht eingerechnet sind Flüchtlinge, die private Unterkünfte gefunden haben. Burgstetten hatte im Frühjahr dieses Jahres beschlossen, eine Unterkunft des Kreises zu erwerben, dadurch hat die Gemeinde ihre Kapazitäten erhöht und kann künftig flexibler reagieren. Die bisherigen Unterkünfte wurden beibehalten.
Großerlach beherbergt fünf Flüchtlinge in angemieteten Wohnungen. Einige Mietverträge wurden aufgrund des deutlichen Rückgangs der Aufnahmezahlen nach Ablauf nicht mehr verlängert. Die Gemeinde könnte noch acht Menschen aufnehmen.
Der Landkreis betreibt in Kirchberg an der Murr eine Gemeinschaftsunterkunft, die mit 62 Personen belegt ist. In den Anschlussunterkünften sind 15 Personen untergebracht. Die Gemeinschaftsunterkunft in Kirchberg ist für den Ort überproportional groß. Da es im Kreis ein Verrechnungssystem zwischen Gemeinschafts- und den Anschlussunterkünften gibt, ergeben sich aus dieser überproportionalen Größe für Kirchberg reduzierte Aufnahmeverpflichtungen in den Anschlussunterkünften. Aufgrund dessen rechnet die Gemeinde mittelfristig mit keiner zusätzlichen Aufnahme. Bei einem angemieteten Gebäude wurde der befristete Mietvertrag nicht verlängert. Mittelfristig sollen zwei weitere gemeindeeigene Wohnungen zur Flüchtlingsunterbringung genutzt werden. In einer Anschlussunterkunft stehen zehn freie Plätze zur Verfügung.
Insgesamt leben in Murrhardt 30 Personen in städtischen Anschlussunterkünften. Allerdings kommen noch 20 Personen dazu, die privaten Wohnraum im Ort gefunden haben. Aufgenommen werden müssen in nächster Zeit noch 22 Personen. Der Rückstand betrug zum Jahresende 2020 bereits 16 Personen. In diesem Jahr sind weitere 16 Geflüchtete aufzunehmen. Aufgenommen wurden hiervon bislang 10 Personen, eine vierköpfige und eine sechsköpfige Familie. Die bisherige Unterkunft in der Murrtalstraße ist veräußert worden. Die gemietete Unterkunft in Oberneustetten ist aktuell leer, soll aber akut nicht mehr belegt werden. Die Wohncontaineranlage in der Fritz-Schweizer-Straße wurde durch den Kreis erworben und der Pachtvertrag wurde befristet verlängert. Aktuell lebt niemand in der Wohncontaineranlage. Diese Unterkunft wird vermutlich wieder als Gemeinschaftsunterkunft durch den Kreis reaktiviert werden, wenn die Zahlen steigen. Der Standort war bisher wenig problematisch. Allerdings laufen Planungen für eine Weiterentwicklung des Schweizer-Areals in Murrhardt, sodass die Wohncontaineranlage irgendwann abgebaut werden muss. Für die Anschlussunterbringung hat die Stadt Wohnraum in ihren Gebäuden und Liegenschaften und wird in nächster Zeit der Aufnahmeverpflichtung weiter nachkommen. Die Wohncontaineranlage ist für 60 Personen geeignet und war in dieser Zahl bereits belegt.
Die Anschlussunterkunft in Oppenweiler ist mit 39 Flüchtlingen belegt, in den nächsten Wochen sollen noch 15 Personen dazukommen. Bisher wurde keine Unterkunft abgebaut oder abgestoßen. Da bisher auch keine weiteren Unterkünfte in Aussicht stehen, könnten noch acht Einzelpersonen im Ort untergebracht werden.
In Spiegelberg leben drei Asylbewerber. Reine Flüchtlingsunterkünfte gab es vonseiten der Gemeinde noch nie. Es handelte sich immer um Unterkünfte zur Unterbringung von Obdachlosen. Diese Unterkünfte sind nach wie vor vorhanden. Die Kapazitäten waren auch für die Spitzenzeiten nach 2015 ausreichend und werden dies auch auf absehbare Zeit sein. Die Gemeinde verfügt insgesamt über ungefähr 20 Plätze.
In Sulzbach an der Murr leben derzeit 81 Flüchtlinge, die Gemeinde soll in den nächsten Wochen noch 15 Flüchtlinge aufnehmen. Alle bisherigen Flüchtlingsunterkünfte sind derzeit belegt. Trotzdem hat Sulzbach, wenn die Zahlen wieder steigen, noch Kapazitäten für etwa zwölf Personen.
Derzeit leben in Weissach im Tal in der letzten verbliebenen Gemeinschaftsunterkunft in der Welzheimer Straße 26 Personen. Hierbei handelt es sich bei allen Personen um Spätaussiedler, die durch den Kreis untergebracht wurden. In der Anschlussunterbringung leben 124 Personen sowohl in gemeindeeigenen als auch in privaten Wohnungen. Zur Hochzeit der Flüchtlingskrise gab es drei Gemeinschaftsunterkünfte im Ort. Sämtliche Anschlussunterkünfte sind nach wie vor voll belegt. Die Geflüchteten aus den Jahren 2015 und nachfolgende sind größtenteils noch am Ort ansässig. Verhandlungen über neue Unterkünfte laufen.
„Wir setzen mit unserem Konzept zur Flüchtlingsunterbringung auf funktionierende Strukturen.“
Zuweisungen Im Gegensatz zum Sommer steigt aktuell die Zahl der Zuweisungen. Im Juni 2021 wurden dem Rems-Murr-Kreis noch rund 30 Personen zugewiesen. Im September hatte sie diese Zahl bereits auf knapp 60 Personen verdoppelt. Im Oktober waren es 80 und der Trend setzt sich im Moment weiter fort. Wie es weitergeht, ist laut Landratsamt schwer abzusehen.
Reserven Seit 2017 hat das Land den Landkreisen die Vorhaltereserven in der Flüchtlingsunterbringung kontinuierlich reduziert. Die Auslastung musste seit 2020 bei mindestens 80 Prozent liegen, sonst wäre der Landkreis auf den Kosten sitzen geblieben. Stattdessen würde das Land Kapazitäten als Puffer schaffen, so das Versprechen, das jetzt auf eine Bewährungsprobe gestellt sein könnte.
Kapazität Das Landratsamt hat derzeit (Stand 2. November) eine Gesamtkapazität von rund 1000 Plätzen. Diese verteilen sich auf 17 Unterkünfte im gesamten Kreis. Im Vergleich dazu der Höchststand an Unterkünften in der ersten Flüchtlingskrise: 71 Unterkünfte (Mai 2016).
Unterkünfte Die größten Unterkünfte befinden sich in Schorndorf, Waiblingen, Weinstadt, Kirchberg und Plüderhausen. Knapp 20 Prozent der 1000 Plätze sind frei. Nicht alle davon können aber belegt werden. Belegt etwa eine fünfköpfige Familie eine Sechs-Bett-Wohnung, so fällt das sechste Bett als freie Kapazität weg.
Aktuelle Standorte Im Raum Backnang unterhält der Kreis Gemeinschaftsunterkünfte in Aspach, Burgstetten, Kirchberg an der Murr und Weissach im Tal. Andere Standorte im Landkreis sind Leutenbach, Plüderhausen (2 Unterkünfte), Rudersberg, Waiblingen (2), Weinstadt (2), Welzheim, Winterbach, Schorndorf und Schwaikheim.