Alligatoren von Wien
Forscher entdecken jüngstes Urzeit-Krokodil Europas
Krokodile gibt es seit rund 200 Millionen Jahren. Mit den Vögeln sind die Panzerechsen die letzten noch lebenden Vertreter der Archosaurier, zu denen auch die Dinosaurier gehörten. Jetzt haben Forscher den letzten Vertreter aus der Urzeit in Europa entdeckt.

© © NHM Wien und 7reasons
Rekonstruktion von Diplocynodon an der Küste von Hernals (heute Wien) vor 12,2 Millionen Jahre.
Von Markus Brauer
Die Sammlungen des Naturhistorischen Museums in Wien sind großartige Archive der Natur. Allein die Geologisch-Paläontologische Abteilung bewahrt mehr als 5,6 Millionen Objekte.
Immer wieder finden sich bei Revisionen von historischem Material unerwartete Objekte, die von früheren Wissenschaftler falsch zugeordnet wurden oder deren Bedeutung erst durch den wissenschaftlichen Fortschritt neu bewertet werden kann.
Fossile Wirbeltiere aus den Tongruben von Hernals
Eine besonders wertvolle Sammlung sind die Knochen und Zähne fossiler Wirbeltiere aus den ehemaligen Tongruben von Hernals im 17. Wiener Bezirk gefunden wurden. Heute längst unter der Stadt verschwunden, waren die Ziegelgruben bis ins frühe 20. Jahrhundert im Stadtbild allgegenwärtig.
Vor 12,2 Millionen Jahren lag das Gebiet nahe der Küste eines warmen Meeres. Robben und Delfine lebten im fischreichen Flachmeer. Ihre Knochen bildeten in den Tongruben eine dünne Schicht, die im 19. Jahrhundert intensiv besammelt wurden.
Hunderte dieser ansonsten sehr seltenen Fossilien liegen in den Laden des Naturhistorischen Museums Wien und werden bis heute von Forschern aus aller Welt studiert. Zusätzlich war diese Schicht reich an Panzerteilen und Knochen von Weichschildkröten.
Hautplatte eines Alligators
Bei einer neuerlichen Untersuchung dieser Reste bemerkte Ursula Göhlich, die Wirbeltier-Paläontologin des Wiener Museums, dass eine der Platten falsch zugeordnet war. Der rechteckige Umriss und die durch tiefe Gruben strukturierte Oberfläche passten überhaupt nicht zu Panzerplatten von Schildkröten. „Da war klar, dass es sich um eine Hautplatte eines Alligators handeln muss“, erklärt Ursula Göhlich.
The Oldest Cerapodan Bone from the Middle Jurassic of Morocco? To be noted, features seen on it are also shared with Minimocursorhttps://t.co/JzUtEalzbhpic.twitter.com/w5dTIcwuhG — Dactylioceras (@Dinoh555) March 12, 2025
Bestätigt wurde die Vermutung von Martin Gross, vom Universalmuseum Joanneum Graz, der das Wiener Fossil mit der umfangreichen Sammlung fossiler Krokodile der Steiermark verglich. „Die steirischen Alligatoren sind fast 4 Millionen Jahre älter als das Wiener Reptil und gehörten zu einer anderen Art. Die Hautschuppen zeigen aber, dass beide eng miteinander verwandt sind,“ erläutert Martin Gross.
Alligator der Gattung Diplocynodon
Doch konnte das überhaupt sein? Alligatoren lebten über Millionen von Jahren in Europa. Ihre Blütezeit endete allmählich vor 13,6 Millionen Jahren. Als Ursache vermutete man eine globale Abkühlung, die zum Beispiel dafür sorgte, dass die Korallenriffe rund um das Leithagebirge abstarben.
Bisher ging man daher davon aus, dass die letzten Alligatoren etwa eine Million Jahre früher aus Mitteleuropa verschwunden waren als das Hernalser Fossil belegt.
Das Fossil ist aber eindeutig. Es stammt von einem kleinen Alligator der Gattung Diplocynodon. Die Tiere waren etwa zwei Meter lang und lebten in den Sümpfen und Flusslandschaften im Hinterland des Meeres. Wie ihre modernen Verwandten erbeutete sie wahrscheinlich Fische, Vögel, Schildkröten und kleinere Säugetiere. Nur sehr selten gelangten Kadaver dieser Süßwassertiere durch Flüsse bis ins Meer.
Letztes bekanntes Krokodil in Mitteleuropa
Der Hernalser Alligator ist das letzte bekannte Krokodil in Mitteleuropa. Erst vor rund 6 Millionen Jahren erreichten auch echte Krokodile aus Afrika kommend Süditalien. Sie konnten sich aber nicht weiter nach Norden ausbreiten und starben bald wieder aus.
Für das Verschwinden von Diplocynodon haben die Forscher eine neue Hypothese aufgestellt: Es dürfte weniger die Abkühlung gewesen, sein, die die Alligatoren vertrieb, denn der moderne Mississippi Alligator kann sogar in gefrorenen Tümpeln überleben. Vielmehr dürfte eine Phase ungewöhnlicher Trockenheit vor etwa 12 Millionen Jahren die Lebensräume der Alligatoren bedroht haben.