Frische Luft für Weissach im Tal

Die Umweltbilanz für Weissach im Tal hat schon über 30 Jahre auf dem Buckel. Aber sie stellt nach wie vor eine wichtige Planungsgrundlage dar. Sie sei ein grundlegendes Standardwerk, sagen die Fachleute. Ein zentraler Punkt betrifft den Zustrom an frischer Luft für Unterweissach.

Über die Weißach-Aue gelangt Frischluft von den Hängen zwischen Unterweissach und Aichholzhof bis in die Ortsmitte. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Über die Weißach-Aue gelangt Frischluft von den Hängen zwischen Unterweissach und Aichholzhof bis in die Ortsmitte. Foto: Alexander Becher

Von Armin Fechter

Weissach im Tal. Der Landschaftsarchitekt Jochen Roos, Chef des Backnanger Büros Roosplan, schätzt die Bedeutung der Umweltbilanz für Weissach im Tal – ihm zufolge eine „sehr, sehr grundlegende Arbeit“ – als hoch ein. Nach seinen Worten passen die in dem Werk zusammengetragenen Daten und Fakten noch zu fast 100 Prozent. Die Erkenntnisse über Frisch- und Kaltluftströme beispielsweise könne man heute nach wie vor gelten lassen, sagt Roos, der aktuell an einem Landschaftsplan für den Raum Backnang arbeitet und dafür Ökodaten sammelt.

Geballte Kompetenz im Einsatz

Das hat vor 35 Jahren auch Rainer Heitzmann getan, der Verfasser der über 200 Seiten starken Umweltbilanz mit mehreren Karten und Plänen. Der Ökologe und Landschaftsarchitekt, der in Unterweissach das Vorgängerbüro von Roosplan gegründet hatte, präsentierte sein Werk im Jahr 1990. Vorausgegangen waren umfassende Untersuchungen, an denen auch eine ganze Reihe weiterer Experten beteiligt war, so der damalige Leiter des Staatlichen Forstamts Backnang, Helm-Eckart Hink, der das Thema Wald bearbeitete, oder das Chemische Untersuchungslabor Dr. Lörcher, Ludwigsburg, das Bodenanalysen fertigte. Geballte Kompetenz also im Einsatz für die Weissacher Umwelt.

Ferkelgeld statt Schweinegeld

Als Auftraggeber profitierte die Gemeinde davon, dass Heitzmann auch für die Stadt Backnang gerade ein entsprechendes Gutachten erstellen sollte. Bürgermeister Rainer Deuschle erkannte die günstige Gelegenheit und hängte sich an. Allerdings hatte der sparsame Rathauschef Sorge, dass die Expertise die finanziellen Möglichkeiten Weissachs sprengen könnte. Vorsichtig klopfte er deshalb mit der Frage bei Heitzmann an, was das Ganze kosten würde – etwa „ein Schweinegeld“? Der Planer konterte schlagfertig: „Ein Ferkelgeld.“ So konnte er, wie er rückblickend schmunzelnd erzählt, die monetären Zweifel des Gemeindeoberhaupts ausräumen.

Verkehrsaufkommen in der Ortsmitte ist nicht zurückgegangen

Als Vorteil erwies sich beispielsweise, dass Heitzmann die Messungen zur Luftqualität, die er für Backnang in Gang setzte, um einen Standort in Unterweissach ergänzen konnte. Die Messstelle befand sich am Marktplatz, genau dort, wo damals rund 13000 Fahrzeuge täglich vorbeirauschten. Und das Ergebnis: Die Luft war dort, was Stickoxide und andere Schadstoffe angeht, so schlecht wie in der Grabenstraße in Backnang, wo zu der Zeit – im Gegensatz zur heutigen, stark beruhigten Verkehrsfrequenz – ebenfalls noch dichter Straßenverkehr herrschte. In Weissach hat es seit damals zwar auch Entlastungen gegeben. So wurde die Querspange – Lommatzscher Straße – gebaut, die einen Teil der Blechlawine abfängt, und auch die Autos selbst sind dank Katalysatoren und Rußfiltern ein gutes Stück sauberer geworden. Aber das Verkehrsaufkommen in der Ortsmitte von Unterweissach ist, wie Roos und Heitzmann erläutern, nicht zurückgegangen: Neue Baugebiete, etwa in der Nachbargemeinde Auenwald, und eine zunehmende motorisierte Mobilität sorgen dafür, dass die Luftqualität leidet.

Die Umweltbilanz legt großen Wert auf innerörtliche Freiflächen und Begrünung an möglichst vielen Stellen

Freiflächen In der Umweltbilanz formulierte der Verfasser Rainer Heitzmann einige planerische Vorgaben. Kategorisch forderte er: „Die bisherigen innerörtlichen Freiflächen müssen zur besseren Durchlüftung von Bebauung frei bleiben.“ Und weiter: „Die Haupt-Frischluft-Entstehungsgebiete und die für den Frischluftstrom wichtigen Tallagen müssen als Freiflächen erhalten bleiben.“

Begrünung Außerdem riet Heitzmann, Flachdächer und Fassaden zu begrünen und großkronige Laubbäume an Straßen-, Hof- und großen Gebäudeflächen zu pflanzen. Gärten und Freiräume in der Ortsmitte sollten, so Heitzmann weiter, nicht als Baulücken behandelt, sondern als wichtige, erhaltenswürdige Freiflächen eingestuft werden, da sie flankierende ökologische Funktionen wahrnehmen.

Umweltfahrplan Zur Präsentation der Umweltbilanz gab es im Herbst 1990 eine viel beachtete Ausstellung im Unterweissacher Bürgerhaus. Bei der Eröffnung bezeichnete Bürgermeister Rainer Deuschle das Werk als „Umweltfahrplan ins Jahr 2000“. Die Gemeinde Weissach im Tal nehme damit eine Vorreiterrolle unter Gemeinden ihrer Größenordnung ein. Die Umweltbilanz solle aber „nicht das Evangelium sein, an dem unveränderbar und unverrückbar festgehalten wird“, schränkte der Pragmatiker ein, der tragfähige Kompromisse nicht ausschließen wollte. Folglich behandelte Deuschle die Expertise zwar „nicht dogmatisch“, aber „sehr stringent“, wie Rudolf Scharer sagt, der ab 1992 als Ordnungsamtsleiter und Umweltbeauftragter im Weissacher Rathaus tätig war. „Die Umweltbilanz war ein Meilenstein“, hält der 63-Jährige fest, der heute als Klimamanager im Rudersberger Rathaus und als Ortsvorsteher von Schlechtbach arbeitet und immer wieder Erstaunen auslöst, wenn er über die frühen Weissacher Umweltaktivitäten berichtet und dazu noch die in der Folge entwickelten Förderprogramme aus den 90ern, etwa zur CO2-Reduktion und damit zum Klimaschutz, erwähnt.

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Erstellt:
12. Juli 2022, 06:00 Uhr

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