„Für mich ist der Duft wie eine Umarmung“
Das Interview: Der Duftdesigner Ulrich Lang mit einem eigenen Label in New York hat die Coronazeit bisher weitgehend in seiner Heimatstadt Backnang verbracht. In den vergangenen Monaten kreierte er ein neues Parfüm und ein Handdesinfektionsgel.

Für Ulrich Lang verändert sich sehr vieles durch das Coronavirus. Nicht nur Social Distance in Manhattan ist neu. Lang reist zu Beginn der Pandemie aus New York ab, wo er seinen Firmensitz hat, und arbeitet von Backnang aus. Statt ständig zu reisen, erledigt er vieles via Zoom-Meetings. Foto: privat
Von Ingrid Knack
Viele Menschen arbeiten aktuell im Homeoffice. Trägt man im Homeoffice Parfüm?
Absolut. Gepflegte Haut und Make-up bei Zoom-Calls sind ja schon länger ein Thema, und Zoom-Calls gehören mittlerweile zum Arbeitsalltag. Insofern kann ein Parfüm schon das Gefühl unterstreichen, das Sie bei Ihrem Zoom-Meeting haben wollen. Der Duft kann verstärken, wenn Sie Selbstbewusstsein oder Energie rüberbringen möchten. Bei Zoom-Meetings in der Familie denke ich eher an Wohlfühldüfte, und für Zoom-Partys kann man gerne etwas Extravagantes aufsprühen.
Es sieht so aus, als hätten Sie mit Ihrem neuen Duft „Lethe“ auf die veränderte Lebensrealität vieler reagiert...
Das stimmt. Es fehlen ja aktuell Treffen, menschliche Beziehungen, Berührungen. „Lethe“ enthält Lavendel und Moschus, zwei Inhaltsstoffe, die beruhigend und wohltuend wirken. Für mich ist der Duft wie eine Umarmung, weich und warm. Wie Dinge, nach denen wir uns aktuell sehnen.
„Lethe“ ist in der griechischen Mythologie der Fluss der Unterwelt und steht für Vergessen. Welche Gedanken hatten Sie bei der Suche nach einem Produktnamen?
Der Fluss Lethe war dafür bekannt, dass man mit einem Schluck seines Wassers alles sofort vergisst. In Zeiten von Instabilität versuchen wir, der Welt zu entkommen und uns auf die Behaglichkeit und Wärme der Liebe zu konzentrieren. Und so verhält es sich auch bei „Lethe“, dem Duft: Ein Spritzer genügt, um Sie in einen Zustand zu versetzen, in dem Sie alles um sich herum vergessen werden.
Für „Lethe“ werben Sie mit einer Fotografie des polnischen Künstlers Lukasz Wierzbowski. Schon immer gingen bei Ihnen Kunst und Duft Hand in Hand. Weil jetzt Präsentationsplattformen für die Kunst fehlen, bekommt diese Verbindung nun noch eine neue Dimension?
Ich arbeite von Anfang an mit Künstlern, die die Außenverpackung der Parfüms visuell gestalten. Das Foto für „Lethe“ zeigt eine Umarmung und weist auf die Wärme und Ausgeglichenheit der Komposition hin. Da auch fast alle meine Einzelhändler weltweit in der Pandemie geschlossen waren, war das Internet oft die einzige Möglichkeit, den künstlerischen Aspekt zu zeigen. Ähnlich wie bei der Kunst brauche ich aber auch den physischen Ort, die Parfümerie, um das Kunstwerk Parfüm erfahren zu können.
Was hat sich für Sie durch die Coronapandemie auf einen Schlag verändert?
Alles. Zu 9/11 oder Hurrikan Sandy war ich wie in der alles verändernden Märzwoche 2020 ebenfalls in New York. Als Donald Trump im amerikanischen Fernsehen am 11. März 2020 die Schließung der Grenzen ankündigte, wusste ich, dass dieses Ereignis nicht nach ein paar Tagen vorbei sein würde. Ich flog am 12. März noch nach Deutschland, was sich als richtige Entscheidung herausstellen sollte. Seit meiner Schulzeit war ich nicht mehr so lange an einem Stück in Backnang gewesen.
Wie haben Sie die Zeit in Backnang erlebt?
Die erste Zeit – wie sicherlich viele von uns – als Mischung aus Trauma und Nicht-wahrhaben-Wollen. Langsam habe ich dann meinen Tag strukturiert und herausgefunden, dass mein Leben interessanterweise auch einfacher wurde. Weniger Deadlines, keine Messen, keine Flüge in weit entfernte Städte. Ich entdeckte die kurzen Wege in der Kleinstadt, lernte wieder Auto zu fahren und mehr selbst zu kochen. Die Krise hat viele Dinge in meinem Leben verbessert. Ich bin vor der Pandemie viel zu viel gereist und habe gelernt, dass fast alles auch in Zoom-Meetings geht – wenn man Europa als Basis hat, ist es einfacher mit Asien zu kommunizieren, da ist der Zeitunterschied weitaus kleiner als von New York City aus.
Wie liefen die Entwicklung und Lancierung von „Lethe“ und Ihres „apsu Scented Hand Sanitizers“ in Zeiten der Pandemie ab?
Am 6. April 2020 hatte ich mit Mattias Mussler ein Zoom-Meeting. Mattias und ich kennen uns schon lange durch seine Parfümeriekette Mussler in Stuttgart. Nachdem er sein Unternehmen vor ein paar Jahren verkauft hatte, wurde er Geschäftsführer bei Basler Beauty in Bietigheim-Bissingen, einem Hersteller von kosmetischen Produkten. Im Gespräch hatten wir die Idee, ein Handdesinfektionsgel mit dem Duft meines Bestsellers Apsu zu entwickeln. Am 5. Mai 2020 hatte ich das erste Muster mit einer tollen Formel in der Hand und wir beschlossen, in Produktion zu gehen.
Und „Lethe“?
„Lethe“ dauerte etwas länger – der Duft wurde im Herbst 2020 finalisiert und Anfang 2021 in New York produziert. Dieser Tage wird er in Deutschland ausgeliefert – auch das nicht ganz so einfach, weil viele meiner Händler international noch immer geschlossen sind. Allerdings merkt man spürbar, dass viele Konsumenten mittlerweile online bestellen und viele Parfümerien ihr Online-Angebot ausgebaut haben.
Woran arbeiten Sie derzeit?
An einem Duft für die Goldenen Zwanziger. Großkonzerne wie L’Oréal erwarten, dass die Konsumenten nach der Pandemie viel mehr ausgehen werden, sich schick machen werden, Make-up und Parfüm wieder stark nachgefragt sind. Ich sehe das neue Jahrzehnt weniger hedonistisch und glaube, dass Authentizität und Qualität wichtige Merkmale nach Corona sein werden. Der Konsument will weniger, aber bessere Produkte in diesem neuen Jahrzehnt.
Wann waren Sie nun das erste Mal wieder in New York?
Am 6. März flog ich zum ersten Mal nach fast einem Jahr „im Ländle“ wieder von Frankfurt nach New York zurück, inklusive Schnelltests auf beiden Seiten des Atlantiks. Im Flieger waren gefühlt 30 Passagiere, ganze Reihen waren leer – ich besitze eine Greencard, daher kann ich auch aktuell in die USA problemlos einreisen. Mitte März flog ich wieder nach Deutschland zurück. Sobald ich geimpft bin, werde ich wieder für längere Zeit in den USA sein.
Wie ist die Atmosphäre momentan in New York?
Es herrscht eine heitere, positive Stimmung – auch wenn man erkennen kann, dass New York sehr, sehr hart von Corona getroffen war. Viele meiner Lieblingsshops und Restaurants mussten für immer schließen. Aber die New Yorker sind ja sehr resilient. Mit einer „Can do“-Mentalität wird an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden am Tag geimpft, und die Stadt rappelt sich wieder zusammen. Es entsteht viel Neues und Kreativität ist überall sichtbar. Hoffnung ist das Wort der Stunde.

Ulrich Lang
Ulrich Lang verbrachte seine Kindheit im Friseursalon seiner Großmutter Klara Boss in Backnang, wo er schon früh mit Kosmetikprodukten und Wohlgerüchen in Verbindung kam. Als Teenager konnte er Düfte, die er an Menschen roch, mit Namen benennen. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Passau und Praktika bei Estée Lauder in London zog er 1994 nach New York, wo ein Praktikum zu einer Festanstellung im Verlag des von Andy Warhol gegründeten Magazins „Interview“ führte.
Nach Stationen bei L’Oréal in Düsseldorf und dem Kunstportal artnet.com in New York gründete er 2003 das Duftlabel „Ulrich Lang New York“.
Ulrich Lang gilt als Pionier unter den Duftdesignern sogenannter Nischendüfte, die vor allem im vergangenen Jahrzehnt als das am schnellstwachsende Segment im Duftbereich gelten. Die Linie ist im selektiven Einzelhandel in den USA, Europa, im Mittleren Osten und Asien distribuiert.
„Ulrich Lang New York“ war bislang mit vier seiner Kreationen für die Duftstars, den Deutschen Duftpreis, nominiert.
Langs jüngste Kreationen sind der Duft „Lethe“ und das Apsu-Handdesinfektionsgel. Weitere Infos gibt es auf der Homepage: www.ulrichlangnewyork.com