Fürs Leben gezeichnet

Angeklagter hatte Unbeteiligten durch Faustschlag schwer verletzt – 6000 Euro Schmerzensgeld für Opfer zugesprochen

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG/MURRHARDT. Dass Jugendliche mitunter Streitfragen durch Tätlichkeiten austragen, gilt vor Gericht als jugendtypisches Verhalten. Und im Falle eines Strafprozesses wird dann das Jugendstrafrecht angewandt. Ab dem 21. Lebensjahr gilt das Erwachsenenstrafrecht. Man nimmt an, dass ein Mensch bis dahin gelernt hat, Konflikte ohne Gewaltanwendung zu lösen.

Vor dem Amtsgericht Backnang hat sich ein 22-jähriger Arbeiter aus Murrhardt zu verantworten. Er war zur Tatzeit 20 Jahre und neun Monate alt. Der Vorwurf: vorsätzliche Körperverletzung. Im September 2017 war der Angeklagte zu nächtlicher Stunde Gast im Murrhardter Jugendzentrum gewesen. Zuerst leerte er zusammen mit zwei Freunden eine Flasche Whiskey, dann spülte er noch mit zwei Flaschen Bier hinterher.

Und dann gab es Streit. Aus einem nichtigen Anlass, wie in der Verhandlung gesagt wird. Woher das Gericht diese Erkenntnis hat, wird nicht ganz klar. Die Kontrahenten prügeln sich auf der Straße, der Angeklagte mittendrin. Andere wollen nur sehen, wie die Sache ausgeht. Einer ruft mäßigend dazwischen. Das wird Letzterem, einem 22-jährigen Elektriker, zum Verhängnis. Die Auseinandersetzung scheint gelaufen. Da will der Angeklagte einem an der Schlägerei Beteiligten offenbar noch einen Denkzettel verpassen. Und trifft den Falschen.

Der Elektriker wird von einem vehementen und gut platzierten Faustschlag im Gesicht getroffen, torkelt gegen ein geparktes Auto und geht zu Boden. Als er sich wieder aufrappelt, merkt er, dass seine Nase im Gesichtsfeld steht. Sie ist gebrochen. Mit dem Rettungswagen kommt er zur Beobachtung ins Krankenhaus. Verdacht auf Gehirnerschütterung. Als man sich am nächsten Tag seiner Nase annehmen will, wird die Operation abgebrochen, der Patient nach Stuttgart verlegt. Dort stellt sich heraus, dass auch Jochbein und Kieferhöhle gebrochen sind. Zur Wiederherstellung werden dem Patienten Titanplatten und ein Netz eingesetzt. Sieben Wochen lang ist der Verletzte arbeitsunfähig. Weil durch den Faustschlag Nerven in Mitleidenschaft gezogen wurden, bleiben dem Geschädigten ein Kälte- beziehungsweise Taubheitsgefühl an Zahnfleisch und Wange. Auch das betroffene Auge konnte er anfangs nicht mehr schließen. Aber das geht nun wieder. Über viele Wochen hinweg musste er Schmerzmittel einnehmen, sich in eine spezielle Schmerztherapie begeben. So wie es vorher war, wird es nie mehr sein.

Kurz nach seinem verhängnisvollen Fausthieb wurde dem Angeklagten auch bedeutet, dass er den Falschen getroffen hat. Er geht zu dem Elektriker hin und entschuldigt sich. Aber damit ist die Sache nicht aus der Welt geschafft. Auch in der Verhandlung vor dem Amtsgericht gesteht er alles ein. Als Zeuge wird vor allem der Geschädigte gehört.

Das ganze Ausmaß dieses einen Faustschlags wird deutlich. Weil der Angeklagte ahnte, dass die Sache heikel für ihn werden könnte, hat er vorweg an den Geschädigten 1000 Euro überwiesen. Die Staatsanwältin spricht in ihrem Plädoyer von einer jugendtypischen Verfehlung, weswegen das Jugendstrafrecht anzuwenden sei.

Sie würde es mit 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit und dem Besuch eines sozialen Trainingskurses bewenden lassen. Das ist der Rechtsanwältin des Geschädigten zu wenig. Sie fordert ein angemessenes Schmerzensgeld und die Erstattung ihrer Anwaltskosten. Der Verteidiger des Angeklagten will dies gelten lassen. Nur in einer noch auszuhandelnden Wiedergutmachung, nicht aber in abzuleistenden Arbeitsstunden sieht er Sinn. Der Angeklagte bedauert in seinem letzten Wort noch einmal den Vorfall.

Der Richter unterstreicht in seinem Urteilsspruch noch einmal die Anwendung des Jugendstrafrechts. Allerdings müsse auf den Angeklagten nicht durch eine Strafverhängung erzieherisch eingewirkt werden. Aber eine angemessene Wiedergutmachung habe der Angeklagte zu leisten. Der Richter legt diese auf 6000 Euro fest. Hinzu kommen die Anwaltskosten des Geschädigten und die Gerichtskosten.

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Erstellt:
27. September 2018, 06:00 Uhr

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