Gaststätte Zur Uhr wird 30 Jahre alt

Dimitros „Mitsos“ und Despina Siasiakis sind zu Recht stolz auf ihr Kultlokal auf dem Ölberg in Backnang. Nach dem Aus der Weinstube Kunberger, die das griechische Ehepaar zuvor 17 Jahre lang geführt hatte, kämpften fast 800 Bürger per Anzeige für ein Stück Mittelmeer in Backnang.

Stammgäste von Mitsos sagen, er hätte den schönsten Biergarten Backnangs zu bieten. Befreit, fast nackt sieht die Fassade seines Lokals Zur Uhr aus. Wilder Wein bedeckte jahrzehntelang das Haus von außen. Mitsos hatte ihn in der Coronazeit entfernen lassen. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Stammgäste von Mitsos sagen, er hätte den schönsten Biergarten Backnangs zu bieten. Befreit, fast nackt sieht die Fassade seines Lokals Zur Uhr aus. Wilder Wein bedeckte jahrzehntelang das Haus von außen. Mitsos hatte ihn in der Coronazeit entfernen lassen. Fotos: Alexander Becher

Von Florian Muhl

Backnang. Mitsos kann sich noch genau erinnern, als wäre es gestern. Dabei liegt die aufregende Zeit der Eröffnung seiner Gaststätte Zur Uhr schon 30 Jahre zurück. „Am 5. Juni hab ich für die Handwerker aufgemacht, am 6. Juni war dann die offizielle Eröffnung.“ Eine riesige Fangemeinde atmete damals auf. Denn ein knappes Jahr zuvor hatte das griechische Wirtsehepaar Dimitros Siasiakis, der nur „Mitsos“ genannt wird, und seine Frau Despina ihre Weinstube Kunberger nach 17 Jahren aus finanziellen Gründen schließen müssen, weil die Pacht verdoppelt werden sollte, wie sich der Wirt heute erinnert.

Die beiden heute 84- und 85-Jährigen waren damals schon zu einer Art Institution geworden. Den Abschied von ihrem Lokal in der Marktstraße, das von den meisten Backnangern „Das Mitzu“ genannt wurde – eine Anspielung sowohl auf den Namen des Griechen als auch auf den Ruhetag am Mittwoch – feierten die Eheleute mit einem großen Fest am 31. August 1991. Damals trauerten viele Stammgäste dem Lokal mit den beliebten Pächtern nach (siehe auch Infokasten unten).

„Ich bin hier und doch am Mittelmeer“

Riesig war die Freude, als Mitsos und Despina ihre Gäste wieder bedienen konnten, unter anderem mit der legendären kleinen und großen Beilage der Wirtin, nun am neuen Standort gegenüber des Stadtturms oben auf dem Ölberg in Backnang. In den vergangenen 30 Jahren haben die beiden unendlich viel erlebt. An die zahlreichen schönen Momente und Erlebnisse erinnern sie sich sehr gern, wie beispielsweise an Thomas Freitag. „Verdammt, was bin ich froh, dass es euch gibt“, textete der Backnanger Kabarettist für sein Lied „Mein Viertel“, in dem auch der griechische Wirt vorkommt: „Mitsos macht zwei Ouzo und setzt sich zu mir her. Ich stürz’ mich auf die Fritten. Ich bin hier und doch am Mittelmeer.“

Aber bis zur Eröffnung der Gaststätte Zur Uhr war es ein langer, holpriger Weg. Das Vorhaben stand seinerzeit über Wochen und Monate hinweg mehr als auf der Kippe. Wenn Mitsos davon erzählt, hört sich das an wie ein Krimi. Vor 31 Jahren stand das Haus mit der Adresse „Ölberg 16“ zum Verkauf. Als reines Wohnhaus wurde es zu dieser Zeit genutzt. Dass da mal eine Gaststätte drin war, erfuhr Mitsos vom Backnanger Künstler Ernst Hövelborn. Diese war von einem gewissen David Beil im August 1877 eröffnet und bis zum Jahr 1929 betrieben worden (siehe Infokasten).

„Ich hab erfahren, das ist zu verkaufen. Aber die Stadt hatte auch Interesse und hatte das Vorkaufsrecht“, erinnert sich Mitsos. „Ich aber wollte die Wirtschaft wieder lebendig machen“, so der 84-Jährige weiter. Dann sei er zufällig bei einer Geburtstagsfeier im Juze mit dem damaligen Oberbürgermeister Hannes Rieckhoff zusammen gekommen, den er persönlich kannte. Der OB begrüßte das Vorhaben des Griechen. „Er hat zu mir gesagt: Ja, ok, gibst du 10000 Mark mehr, wir drehen zurück“, erinnert sich Mitsos. Der OB hatte aber auch eingeräumt, dass es seitens des Gemeinderats erhebliche Vorbehalte und Einwände gebe, besonders hinsichtlich der Parkplatznot und der benachbarten Schule und Kirche. Doch der OB machte ihm Mut und sagte: Wir schaffen das. Ein Signal für Mitsos, er unterschrieb den Kaufvertrag.

Der Wirt in spe besuchte jede Gemeinderatssitzung. Eine Niederlage in der ersten Sitzung: „13 waren dafür und 17 oder 18 dagegen“, erinnert er sich. Um seinerseits ein Signal zu setzen, ließ er alle Fenster der „Uhr“ erneuern. „Aber auch bei der der nächsten Sitzung war das Klima nicht so gut“, sagt Mitsos. Dann machte Rieckhoff eine Pause. 20 Minuten, Zigaretten rauchen, Kaffee trinken, dann ging es weiter. Was dann geschah, erzählt Mitsos mit seinen Worten: „Rieckhoff hat gefragt, wer hat Argumente, warum das nicht gebaut oder gemacht werden soll. Haben sich nur ein paar Leute gemeldet. Dann sagt er am Schluss: Ich bin dafür, machen wir Feierabend, wer ist dafür? Wer ist dagegen? Dann waren 31 dafür und zwei dagegen.“ Der Grieche muss lachen, als er von der Abstimmung berichtet. „Ich weiß bis heute nicht, was in dieser Pause passiert ist.“

Die „Uhr“ ist jetzt in dem Alter, in dem ein gepflegtes Fahrzeug zum Oldtimer wird. „Alles original“, heißt es dann. Auch in der Gaststube hat sich fast nichts verändert, die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Ein Teil der Holzvertäfelung stammt noch aus dem Jahr 1678, in dem das Haus gebaut wurde. Zur niedrigen Decke mit den Holzbalken passen die massiven Holzmöbel. „Das Haus hat Geschichte“, sagt Mitsos, der zusammen mit seiner Frau in den oberen Stockwerken zu Hause ist. Während der Coronapandemie haben Mitsos und Despina die Küche geschlossen. Das bleibt sie auch. Die Arbeit am Herd ist den beiden zu viel. Trotzdem wird am Pfingstmontag, 6.Juni, gefeiert, in kleinem Kreis im Rahmen einer weiteren privaten Geburtstagsfeier.

Ein Foto aus dem Jahr 2018: Nachdem Rostocker Fans nach einem Fußballspiel gegen die SG Sonnenhof in die „Uhr“ eingefallen sind und sich selbst bedient haben, ohne ihre Rechnung zu begleichen, besucht SG-Sonnenhof-Präsident Werner Benignus die Gaststätte und drückt Despina Siasiakis sein Mitgefühl aus. Er kündigt an, für den Schaden aufzukommen.

© Pressefotografie Alexander Beche

Ein Foto aus dem Jahr 2018: Nachdem Rostocker Fans nach einem Fußballspiel gegen die SG Sonnenhof in die „Uhr“ eingefallen sind und sich selbst bedient haben, ohne ihre Rechnung zu begleichen, besucht SG-Sonnenhof-Präsident Werner Benignus die Gaststätte und drückt Despina Siasiakis sein Mitgefühl aus. Er kündigt an, für den Schaden aufzukommen.

Trauerbekundung und Eröffnungsanzeige im Murrtalboten und in der BKZ

Trauer „Wir trauern um unsere Stammkneipe.“ Unter diesem Motto haben knapp 700 Personen am 29. Juni 1991 eine großformatige Anzeige in der BKZ geschaltet. Der Anzeigentext lautete wie folgt: „Bittere Umstände und für Mitsou unerfüllbare Forderungen führen zum Ende einer Ära in der Backnanger Kneipenkultur. Drei Generationen Jugendlicher und Junggebliebener wurden 17 Jahre von unseren griechischen Freunden Despina, Mitsou, Christos, Atanasi und anderen herzlichst bewirtet. Dies soll nun abrupt vorbei sein. Wir wünschen uns, daß ,das Mitsou‘, dieses Stück Mittelmeer in Backnang, eine neue Bleibe findet und unser Anliegen von vielen Seiten tatkräftig unterstützt wird. Die Freunde und Besucher der Weinstube Kunberger.“

Eröffnung In der Gaststätte „Zur Uhr“ hatte bereits ein gewisser David Beil im August 1877 ein Lokal eröffnet. Im „Murrtal-Boten“ (Vorgängerzeitung der Backnanger Kreiszeitung) hatte er folgenden Anzeigentext veröffentlicht: „Wirtschafts-Eröffnung. Erlaube die ergebene Anzeige zu machen, daß ich von heute an meine Wirtschaft z. Uhr in Betrieb genommen habe. Indem ich die geehrte Einwohnerschaft von Stadt und Umgegend zu zahlreichem Zuspruch einlade, wird es mein eifrigstes Bestreben sein, meine Gäste mit guten Getränken aufs Beste zu bedienen. Hochachtungsvoll David Beil.“ Der Gastbetrieb im Erdgeschoss existierte bis zum Jahr 1929, danach wurden die Räume, wie auch der Rest des Hauses, als Wohnraum genutzt.

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Erstellt:
4. Juni 2022, 06:00 Uhr

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