Gelebte Geschichte am Limesmarkt in Großerlach-Grab
Die lagernden Gruppen vermitteln den Marktbesuchern vier Tage lang Eindrücke von historischem Handwerk, Alltagsleben und Militärwesen. Die Darsteller brennen für die jeweilige geschichtliche Phase, die sie interpretieren, und haben teilweise ihr Hobby zum Beruf gemacht.
Von Nicola Scharpf
Großerlach. „Was mache ich, um mein Hobby zum Beruf zu machen?“ Diese Frage hat sich nicht nur Nick Eminger bereits als junger Erwachsener gestellt. Der studierte Militärhistoriker aus Basel hat sich spezialisiert auf das römische Militär. Beim vierten historischen Limesmarkt am Ortsrand von Großerlach-Grab gehört er zur vierköpfigen Gruppe romani ad rhenum und ist einer von vielen unter den Lagernden, die ihr Faible für Geschichte leben, sprudelnd, ausgiebig und detailreich aus ihrem Wissensschatz erzählen. „Wenn eine Familie hier ins Lager reinläuft und etwas mitnimmt, dann haben wir schon etwas erreicht“, benennt die Sippe Bjørnson ihr Ziel. Sie interpretiert das Leben einer Gruppe aus dem schwedischen Wikingerdorf Birka im neunten Jahrhundert und teilt sich ihr Lager mit der Wikinger-Sippe Hjortr. Wissen weitergeben: Das steht hier und in vielen anderen Lagern beim Limesmarkt vier Tage lang im Mittelpunkt. Es ist das, was den Limesmarkt ausmacht, dass er vornehmlich keinen kommerziellen Charakter hat, dass es auch nicht nur um Spaß an der Freud oder eine Spielerei geht.
Ihre komplette Freizeit verwenden die Mitglieder der Sippen Bjørnson aus Freudenstadt und Hjortr aus Lahr darauf, sich mit der Wikingerzeit des neunten und zehnten Jahrhunderts zu beschäftigen. Und ihren Jahresurlaub verwenden sie darauf, sich an Lagern zu beteiligen. „Man arbeitet für das Hobby“, schildert ein Sippenmitglied und die anderen nicken. Schließlich haben allein die Zelte, die sie beim Limesmarkt aufgeschlagen haben, einen Wert im fünfstelligen Bereich. Gewänder, Schmuck sind noch nicht eingerechnet. Manche sind 25 Jahre und länger in der Szene. 60 Prozent der Zeit, die sie in ihr Hobby investieren, fließt in Belegrecherche und Quellenstudium. „Wir haben eine große Bibliothek daheim“, sagt einer. 30 Prozent der Zeit gehört dem Machen – zum Beispiel Näharbeiten. Die übrigen zehn Prozent sind zum Zeigen auf Märkten und Veranstaltungen da. „Es muss ein bisschen so in die Zeit reinpassen“, sagt ein Bjørnson-Mitglied über das Motto, als die Gruppe als Freundesverband vor vielen Jahren startete. Längst sind die Ansprüche an das eigene Tun gestiegen. Es geht um möglichst exakte, belegbare Interpretationen der damaligen Zeit. „Das, was wir wissen, wollen wir weitergeben.“
Zum Beispiel Jens, den die Sippen Bjørnson und Hjortr für die Zeit des Limesmarkts aufgenommen haben: Er bezeichnet sich selbst als einen lebenden Grabfund der frühen Hallstattkultur und darf sicherlich auch als wandelndes Lexikon in Sachen Feuer und Holzbearbeitung betitelt werden. Zuhörer scharen sich um ihn, als er am Lagerzaun stehend beginnt, von den Anfängen des Feuermachens im mitteleuropäischen Raum zu erzählen; und von Markasit-Staub, der 5000 Jahre vor Christus in Ötzis Tasche zu finden war; und vom Feuerbohren; und von Zunderdosen und Stabkerzen in der Zeit der Siedler; und von Inuit, die ihr Feuermaterial in der zweiten Kleidungsschicht unter der Achsel tragen. „Feuer? Da kann ich euch tagelang mit füllen“, verspricht der Spezialist den Gästen.
Viele brennen für ihr Thema und vermitteln Wissen mit Leidenschaft
Weitere Themen
Wie er brennen auch andere für ihr Thema: Christopher Eger, Steinbildhauer aus der Nähe von Pforzheim, und Kevin Frank, Darsteller vorindustriellen Handwerks aus Waldenburg, haben sich zur Gruppe Manufactum Historicum zusammengeschlossen. Eger ist Berufsdarsteller, Frank hat sein Hobby zur Nebenprofession gemacht. In der Szene sind die beiden bekannt und gelten als zwei der besten Living-History-Darsteller. Sie wollen den Menschen Handwerk von der Steinzeit bis hinein ins Mittelalter näherbringen, wie es in verschiedenen Epochen ausgeführt wurde und wie es sich entwickelte. Dazu geben sie Vorführungen bei Museumsveranstaltungen und Märkten, geben Kurse in verschiedenen Handwerken, stellen Repliken von Waffen, Rüstungen, Werkzeugen und Schmuck her. Seit Kurzem produzieren sie auch Podcasts, insbesondere um Neulinge in der Szene vor Stolpersteinen wie etwa teuren Fehlkäufen zu bewahren. Kevin Frank, hauptberuflich Experte für Informationssicherheit, sitzt auf einem niedrigen Schemel und prägt Münzen. Dazu erklärt er anschaulich, wie sehr die vorindustriellen Handwerksberufe spezialisiert und aufeinander abgestimmt waren, wie kompliziert die Zusammenhänge waren. „Wir machen gerne den Wissenstransfer und wollen herrschende Vorurteile, die es über die Epochen gibt, klarstellen. Mit der Bronzezeit beschäftigen sich nicht viele Darsteller, darüber wissen die Leute nicht so viel.“
Franks Interesse galt zunächst dem historischen Kampf und er hat sich ein Schwert gekauft. „Heute fesselt mich das Handwerk. Es ist erst Leidenschaft, wenn’s Leiden schafft.“ Er hält demonstrativ einen Zierknopf aus 0,3 Millimeter Kupferblech in die Höhe. In Feinstarbeit hat er ihn filigran verziert – ein aufwendiges Tun in vielen Arbeitsschritten. Christopher Eger, immer schon interessiert an Geschichte, kam im Kloster Lorch vor ungefähr 20 Jahren erstmals mit einem historischen Markt in Berührung und ist seitdem „infiziert“.
Abends kehren die Living-History- Darsteller in die Neuzeit zurück
Sei es der römische Centurion, der sich als Offizier in der Schreibstube dem Schreiben und Übermitteln von Nachrichten mit Gallustinte, Schilfrohr, versiegelter Papyrusrolle und Siegelkapsel widmet oder sei es die alemannische Weberin Alvina, die beim Brettchenweben Gürtel und Leinen herstellt: Sie alle betreiben ihre Tätigkeit mit großer Ernsthaftigkeit. „Es sind grandiose Gruppen hier“, lobt Christopher Eger. Beim Aufbau am vergangenen Donnerstag und am Freitag bei widrigsten Wetterbedingungen hätten alle Gruppen zusammen geholfen, Solidarität untereinander und mit dem Veranstalter bewiesen. „Das Interesse am Historischen verbindet“, findet Nick Eminger, der römische Militärexperte, und schildert weiter: Abends am Lagerfeuer, wenn die Besucher den Markt verlassen, kehren auch die passionierten Geschichtsinterpreten in die Neuzeit zurück. Fachsimpeln über Historisches sei da meist kein Thema mehr.
Historischer Handwerkermarkt am Limes
Über 50 verschiedene Gruppen in historischen Uniformen und Gewandungen stellten sich am Pfingstwochenende beim vierten Handwerkermarkt am Limes vor. Dazu bekamen die Besucher Informationen an den Lagern, bei einer Modenschau und bei Schaukämpfen. Alle Epochen angefangen bei der Bronzezeit über die Römer bis hin zu den Bauernkriegen waren beim Markt vertreten.