Gelebte Inklusion
Lars Hoos ist einer von bislang zwei „Segenswerk“-Mitarbeitern mit Handicap – Hemmschwelle bei Einstellung meistens groß
In Stellenbeschreibung steht oft etwas wie „Schwerbehinderte und Gleichgestellte werden bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt“. Klingt gut, aber in der freien Wirtschaft gibt es nur wenige Firmen und Betriebe, die Menschen mit Behinderung einstellen. Doch Lars Hoos hatte Glück: Der 27-Jährige arbeitet seit November im Restaurant „Segenswerk“. Und er ist dort nicht der einzige Mitarbeiter mit Handicap.

© Pressefotografie Alexander Beche
Lars Hoos ist angekommen: Im „Segenswerk“ ist er glücklich, arbeitet fleißig und motiviert, wird von den Kollegen akzeptiert und hat viel Spaß in der Küche. Foto: A. Becher
Von Silke Latzel
BACKNANG. Seit Ende November arbeitet Lars Hoos im Restaurant „Segenswerk“ als Beikoch. Das ist an und für sich noch nichts Besonderes. Weiß man aber, dass der 27-jährige Hoos einen Grad der Behinderung von 100 hat und die Ärzte seiner Mutter in seiner Kindheit wenig Hoffnung darauf gemacht haben, dass ihr Sohn jemals laufen oder sprechen kann, ist seine Festanstellung im Restaurant beeindruckend.
Als Hoos geboren wird, stellen die Ärzte ein Loch in seinem Herzen fest. Die Hälfte seines Lebens verbringt er im Krankenhaus, seine Entwicklung – sowohl geistig als auch körperlich – verzögert sich, später macht ihm ein Sprachfehler die Kommunikation schwer. Doch er kämpft. „Und auch meine Mutter hat immer an mich geglaubt, hat mich dann nicht auf eine Schule für Behinderte geschickt, sondern auf eine Förderschule.“ Hoos verbringt seine Schulzeit in mehreren Internaten, entdeckt dort seine Lust am Kochen. „Ich war bei uns der Pfannkuchenspezialist“, sagt er lachend. Für ihn ist klar: Später möchte er in einer Küche arbeiten.
„Für uns alle eine echte Bereicherung“
Im Berufsbildungswerk Waiblingen beginnt Hoos eine Ausbildung zum Beikoch. Beikoch – das bedeutet, er arbeitet dem Koch zu, schneidet beispielsweise Gemüse und putzt Salat. Als er ausgelernt ist, macht er verschiedene Praktika, arbeitet in Hotels und Restaurants, für einige Zeit sogar in einem Krankenhaus. Über seine Mutter erfährt er, dass im „Segenswerk“ explizit Menschen mit Behinderung gesucht werden. Hoos bewirbt sich, wird von Geschäftsführer Markus Kübler zum Vorstellungsgespräch und danach zu einem vierwöchigen Praktikum eingeladen. Es läuft gut, die beiden verstehen sich und am Ende des Praktikums bekommt Hoos einen Vertrag als Beikoch – unbefristet. Für Markus Kübler selbstverständlich: „Keiner meiner Mitarbeiter ist befristet eingestellt.“
Lars Hoos ist nicht der einzige Mitarbeiter mit Handicap, erzählt Kübler: „Wir haben zum Beispiel noch unseren Bülent, der im Service tätig ist. Und zusätzlich hilft er beim Spülen und bei Reinigungsarbeiten.“ Kübler ist begeistert über die Zusammenarbeit mit den beiden jungen Männern. „Pünktlich, engagiert und absolut motiviert“, beschreibt er sie. „Die beiden sind für uns alle eine echte Bereicherung“, sagt er. Ein Blick zu Lars Hoos reicht und man weiß: Kübler sagt das nicht nur, er meint das auch wirklich ernst – die beiden duzen sich, lachen gemeinsam, necken sich auch hin und wieder. Und als sein Beikoch vor einigen Wochen seinen Geburtstag im „Segenswerk“ gefeiert hat, hat Kübler sich alleine an den Herd gestellt und 25 Gerichte à la carte für die Freunde und Familie von Hoos gekocht.
Dass im „Segenswerk“ echte Inklusion gelebt wird, bestätigt auch Annette zu Jeddeloh von der Paulinenpflege Winnenden. Die stellvertretende Leiterin der Backnanger Werkstätten in Murrhardt hat ihren Schützling Bülent an das Restaurant vermittelt. Er arbeitet dort an einem sogenannten betriebsintegrierten Arbeitsplatz. Das bedeutet: Bülent ist nach wie vor bei den Werkstätten angestellt, arbeitet aber auf dem „normalen“ Arbeitsmarkt. „Für ihn und den Betrieb ist das einfach auch eine Absicherung. Für den Fall, dass etwas nicht läuft oder es Probleme gibt und der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beenden will, steht der Mitarbeiter nicht einfach auf der Straße, sondern kann wieder zurück in die Werkstätten.“ Doch davon kann bei Bülent keine Rede sein. Im Gegenteil: Es läuft im „Segenswerk“ so gut, dass demnächst eine weitere potenzielle Mitarbeiterin ihr Praktikum beginnt – und sie kommt ebenfalls von den Backnanger Werkstätten. „Wir möchten unsere Zusammenarbeit auf jeden Fall noch weiter ausbauen“, sind sich Kübler und zu Jeddeloh einig.
Für zu Jeddeloh ist ein Betrieb wie das „Segenswerk“ ein Glücksfall. „Es gibt viel zu wenig Firmen, die behinderten Menschen eine Chance geben, vor allem nicht, wenn sie geistig behindert sind. Das wollen leider die wenigsten, auch wenn diese Menschen qualifiziert und fleißig sind.“ Zu groß ist immer noch die Hemmschwelle und „vieles, was wir hören, sind nur Lippenbekenntnisse, die in der Praxis aber nicht umgesetzt werden“.
Anleitung, Entgegenkommen und Verständnis sind wichtig
Natürlich sei es nicht immer einfach, so zu Jeddeloh, und man müsse sich sehr auf die Bedürfnisse der Behinderten einlassen. „Nicht nur der Chef, sondern auch die anderen Mitarbeiter.“ Kübler ergänzt: „Ich lasse Bülent und Lars viele Freiheiten, begegne ihnen mit großer Wertschätzung.“ So weiß Kübler zum Beispiel mittlerweile, dass er Hoos nur eine Aufgabe nach der anderen geben darf und ihn nicht mit zu vielen Anweisungen gleichzeitig überfordert. Für Chef, Kollegen und den Mitarbeiter mit Handicap ein Prozess, der sich erst entwickelt und an dem alle wachsen.
Wer sich darauf einlässt, bekommt „einen Mitarbeiter, der zu 100 Prozent loyal ist, der sich so sehr mit seinem Betrieb identifiziert wie kaum ein ,normaler‘ Mensch und für den die Tatsache, dass er einen Arbeitsplatz hat, sehr viel mehr wert ist, als alles Geld der Welt“, so zu Jeddeloh. Damit die Menschen mit Handicap trotzdem nicht ausgebeutet werden, werden die Betriebe, in die die Backnanger Werkstätten ihre Schützlinge vermitteln, vorab genauestens unter die Lupe genommen. „Uns ist wichtig, dass das Umfeld stimmt, dass man ihnen Anleitungen gibt, Hilfe anbietet und auf sie zugeht.“ Deshalb wird im „Segenswerk“ auch kein Alkohol ausgeschenkt. „Das ist in der Gastronomie selten und ein zusätzlicher Schutz, denn es gibt eben auch Behinderte, die ein Alkoholproblem haben oder die Medikamente nehmen müssen, die sich mit Alkohol nicht vertragen. Und so werden sie erst gar nicht in Versuchung geführt“, sagt zu Jeddeloh.
Für Lars Hoos hätte es kaum besser laufen können, er ist sehr glücklich im „Segenswerk“ und sagt: „Ich arbeite sehr gerne hier, komme mit allen Kollegen zurecht und werde von ihnen akzeptiert. Ich freue mich wirklich, dass mein Arbeitgeber auch tatsächlich mit Behinderten arbeiten möchte, das gibt es nämlich leider nicht allzu oft.“