Gerichtspsychiater sieht keine Tötung im Affekt

Aus gutachterlicher Sicht bestehen somit keine Anhaltspunkte für eine Schuldminderung in dem Mordprozess im Backnanger Seehofweg.

Gerichtspsychiater sagt vor Gericht aus. Symbolfoto: O. Akdeniz/Stock-Adobe

© okanakdeniz - stock.adobe.com

Gerichtspsychiater sagt vor Gericht aus. Symbolfoto: O. Akdeniz/Stock-Adobe

Von Heike Rommel

Backnang. Vor der Schwurgerichtskammer des Stuttgarter Landgerichts hat sich bezüglich der Tötung, die sich im Mai 2021 im Backnanger Seehofweg ereignete (wir berichteten), der Gerichtspsychiater Peter Winckler aus Tübingen geäußert. Als von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft beauftragter Gutachter findet er keine Anhaltspunkte für eine Tötung im Affekt, die der 29-jährige Angeklagte gestanden hat. Das Ergebnis der psychiatrischen Untersuchung spreche eher für geplanten Mord. Winckler hat den mutmaßlichen Mörder im Untersuchungsgefängnis Stuttgart-Stammheim besucht und im Prozess beobachtet.

Die Ausgangsfrage: Was ist am 4. Mai 2021, etwa zwischen 8 und 10 Uhr, in der Backnanger Wohnung passiert, bevor die Leiche der damals 25-jährigen Ehefrau des Angeklagten gefunden wurde? Dass es sich zwischen Täter und Opfer um eine konfliktreiche Beziehung handelte, steht für den Gutachter fest. Er konnte beim Angeklagten jedoch keine psychische Erkrankung erkennen, die dazu hätte führen können, dass er zum Mörder werde. Zudem habe der Angeklagte seine angeblichen Drogenprobleme in der Türkei längst nicht hinter sich gelassen. Hatte er also eine tief greifende Bewusstseinsstörung, die Anlass für eine mögliche Affekttat gewesen sein könnte? Eher nicht. Denn der Backnanger, so der Gutachter, habe das Ausbeinmesser am Morgen vor der Tat gekauft und sei damit wieder heimgekehrt, um seine Frau zu töten. So betrunken, dass er nicht mehr wusste, was er tat, könne der Angeschuldigte entgegen eigenen Angaben nicht gewesen sein.

„Hör endlich auf, sonst werde ich dich abstechen“, lautet im Gutachten der entscheidende Satz, der für einen geplanten Mord spricht und mit dem eine Affekttat nicht zu vereinbaren ist. Dem Täter zufolge beleidigte seine Frau ihn vor der Tat. Doch bei einer Affekttat, führte der Psychiater aus, könne der Täter vorher nicht auch noch eine Drohung aussprechen. Der Angeklagte habe beim Kauf des Messers schon „ein inneres Bild von der Tat im Kopf gehabt“. „Von der Schuldunfähigkeit sind wir weit, weit entfernt“, schloss Winckler.

Ein mögliches Tatmotiv könne sein, dass der Angeklagte seine Frau dafür bestrafen wollte, dass sie ihn angezeigt hatte, weil er sich – obwohl türkischer Staatsbürger – in Deutschland als syrischer Geflüchteter ausgegeben hatte. Davon war die Staatsanwaltschaft bereits in der Anklage ausgegangen.

Zu Haftbeginn habe der mutmaßliche Mörder noch als suizidgefährdet gegolten – bis der Anstaltspsychologe im Gefängniskrankenhaus Hohenasperg etwas anderes gesagt habe. Ihm selbst gegenüber habe der 29-Jährige geäußert, es sei ihm im Nachhinein unbegreiflich, wie er seine Frau habe töten können, sagt Winckler.

100 Euro habe er sich nach seiner Flucht aus der Backnanger Wohnung in Heilbronn von einem Bekannten holen wollen, um sich mit Drogen umzubringen, so der Angeklagte. Auch den Autounfall bei Großbottwar, der nach etwa vierstündiger Fahndung zu seiner Festnahme führte, habe er gebaut, um sich zu töten. Im Falle einer Verurteilung wegen Tötung im Affekt hofft der 29-Jährige, in die Türkei abgeschoben zu werden, sobald er die Hälfte seiner Strafe in Deutschland abgesessen hat.

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Erstellt:
11. Februar 2022, 06:00 Uhr

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