Getränke und Medizin im Vorbeifahren

Autoschalter gibt es schon lange nicht nur bei Schnellrestaurants. In Backnang und Umgebung bieten Geschäfte unterschiedlicher Branchen den bequemen Service des Drive-in an. Die Coronapandemie hat teilweise wie ein Katalysator gewirkt. Das Konzept ist immer mehr im Kommen.

Gehört unter den Getränkemärkten zu den Vorreitern in Sachen Drive-in: Seit rund zehn Jahren können Kunden im Backnanger Getränke- und Saftladen von Streker-Mitarbeitern wie Francesco Fontana ihren Kofferraum mit Getränkekisten ent- und beladen lassen. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Gehört unter den Getränkemärkten zu den Vorreitern in Sachen Drive-in: Seit rund zehn Jahren können Kunden im Backnanger Getränke- und Saftladen von Streker-Mitarbeitern wie Francesco Fontana ihren Kofferraum mit Getränkekisten ent- und beladen lassen. Foto: A. Becher

Von Nicola Scharpf

Backnang. Bequem, einfach, schnell: Die Idee, Dienstleistungen anzubieten, ohne dass ein Kunde dafür sein Auto verlassen muss, stammt aus den USA und hat sich auch hierzulande längst etabliert. Der Klassiker ist die Schnellrestaurantkette, die ihre Gäste im Drive-in mit Speisen versorgt. Ein weiterer Klassiker, das Autokino, hat durch Corona vielerorts eine Renaissance erfahren – auch in abgewandelter Form als Autobühne, auf der nicht nur Filme zu sehen waren. Durch die Pandemie neu entstanden sind vorübergehende Drive-ins, zum Beispiel Coronateststellen wie etwa in Winnenden auf dem Schotterparkplatz am Wunnebad oder auch der temporäre Autoschalter des Backnanger Unternehmens Berufskleidung und Arbeitsschutz Lochmann, das seine Produkte ab Ende April 2020 vorübergehend auch via Drive-in unter dem Motto „Drive in and masked out“ vertrieben hat. Darüber hinaus gab und gibt es im Backnanger Raum unterschiedlichste Betriebe aus verschiedenen Branchen, die ihre Kunden an Autoschaltern bedienen.

Die Brücken-Apotheke in der Sulzbacher Straße gehört zu jenen Geschäften, die einen Drive-in-Schalter eröffnet hat, lange bevor über pandemiebedingte Kontaktreduzierungen überhaupt nachgedacht wurde. Seit 2017 können Kunden ihre Medikamente am Autoschalter kaufen, ohne den Verkaufsraum betreten und Wartezeit in der Apotheke verbringen zu müssen. Die Parkplatzsituation hat den damaligen Inhaber der Brücken-Apotheke, Peter Himken, zu diesem Serviceangebot veranlasst. Domenico La Regina, seit Januar 2021 Inhaber der Apotheke, sagt: „Der Drive-in wird sehr gut angenommen. Es ist immer mehr im Kommen. Auch für den Apothekennotdienst ist es sehr gut geeignet.“ Für die Kunden sieht er den Vorteil in der Bequemlichkeit, der Einfachheit. Sei es bei Regenwetter oder in der Pandemie oder bei Menschen, die nicht gut zu Fuß sind: Die Leute müssen nicht aus dem Auto aussteigen. Sie fahren an das Fenster heran, klingeln, legen ihr Rezept in eine Schublade. Ein Apothekenmitarbeiter kommt zum Bedienen. „Das ist für die Mitarbeiter zur Routine geworden und für uns ganz normal. Es ist kein Aufwand für uns. Wir sind immer darauf vorbereitet. Es spielt keine Rolle, ob in der Apotheke drei Kassen geöffnet haben oder ob es zwei in der Apotheke sind und die dritte Kasse der Autoschalter ist.“

Zu den hiesigen Pionieren des Drive-in-Gedankens gehört auch Stefan Wahl, der für seine Murrhardter Vitalwelt-Apotheke am Römerbad den Drive-in von Anfang an eingeplant hat. Seit 2012 profitieren die Kunden von dieser Möglichkeit. „Damals war das sehr selten bei Apotheken“, sagt Wahl. „Wir wollten ein Alleinstellungsmerkmal und den Kunden den bestmöglichen Komfort bieten.“ An Ältere oder auch junge Mütter, für die der Gang zur Apotheke womöglich umständlich ist, habe man damals ursprünglich gedacht. Inzwischen ist die Zielgruppe, die den Schalter nutzt, wesentlich heterogener. „Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat...“ Corona habe für das Konzept des Drive-in wie ein Katalysator gewirkt, der Autoschalter sei seitdem noch stärker frequentiert als zuvor.

Der Aufwand für das Unternehmen ist höher und Impulskäufe entfallen

Ein weiterer örtlicher Vorreiter – aus der Branche der Getränkemärkte – ist der Streker Getränke- und Saftladen. „Ich will das mal probieren“, hat sich Verkaufsleiter Thomas Heeb gedacht und vor rund zehn Jahren eine Drive-in-Spur an der Backnanger Filiale geschaffen. Damals wurde eigens das Gebäude aufgeschnitten, um einen Zugang zu schaffen. Ausreichend Platz, um den Kunden den Service des Nichtaussteigens anbieten zu können, war vorhanden. „Mittlerweile ist das eine eingespielte Sache.“ Die Kunden fahren in die Spur bis zum markierten Haltepunkt, mittels Radarmelder wird im Markt ein Signal ausgelöst, dass Kundschaft im Drive-in wartet. An der Rampe mit Rolltor wird dann der Kauf abgewickelt. „Wir machen damit keine Riesensprünge vom Umsatz her. Und wir haben auch einen erhöhten Aufwand, schließlich müssen wir im Personalbereich mindestens zu zweit sein. Der Markt kann sich ja nicht selbst überlassen werden, während ein Kunde am Drive-in-Schalter bedient wird.“ Auch würden Impulskäufe wegfallen, wenn die Kunden am Autoschalter einkaufen. Dennoch nimmt Streker diese „Nebeneffekte“, so Heeb, in Kauf. „Wir sind ja froh, wenn Leute ihre Getränke bei uns kaufen.“ Vor allem ältere Menschen und Gehandicapte hatte er damals im Blick, als er den Autoschalter etablierte. Leergut aus dem Kofferraum laden, schwere, volle Getränkekisten auf dem Wagen durch den Markt rangieren und wieder ins Auto einladen: „Ältere tun sich da schwer.“ Sei es die einzelne Kiste, die im Kleinstwagen untergebracht wird, oder die große Familienkutsche, die bis unters Dach mit Getränken beladen vom Hof rollt: Beides und vieles dazwischen kommt am Autoschalter vor.

Neu ins Drive-in-Geschäft steigt die Aspacher Bäckerei Übele ein und folgt damit einem Trend, der auch in der Branche der Bäcker festzustellen ist. Bei der Firmenzentrale im Großaspacher Gewerbegebiet Forstboden entsteht am Autobahnzubringer eine neue Filiale mit Cafébetrieb und angeschlossener Autospur, die an sieben Tagen in der Woche bis abends geöffnet haben wird. Nach aktuellem Zeitplan soll der Neubau den bisherigen, kleinen Backshop im Stammhaus ab Mitte/Ende Oktober ersetzen. Anna Übele von der Geschäftsführung sagt, verschiedene Faktoren hätten zur Entscheidung für einen Autoschalter geführt: Zunächst wurde die benötigte Fläche dafür frei. „Und die Menschheit wird immer bequemer. Corona hat dann das Letzte dazugegeben.“ Der Drive-in sei nicht nur für die Kunden etwas Neues. Das Unternehmen habe sich von seinem erfahrenen Ladenbauer beraten lassen, werde in Sachen Marketing am Autoschalter ein vollkommen neues Konzept umsetzen und müsse auch das Personal für die Verkaufsabwicklung am Drive-in entsprechend schulen. „Das Marketing ist komplett anders. Die Kunden können die Verkaufstheke ja nicht sehen, es wird am Schalter nur eine kleine Snackauslage geben. Daher werden wir mehr mit Plakaten und Außenmonitoren arbeiten, um die Produkte zu präsentieren, was im Verkaufsraum selbst so nicht nötig ist.“

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Erstellt:
10. August 2021, 06:00 Uhr

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