Grillkäseforschung: Uni will weg vom Frontalunterricht

dpa/lsw Stuttgart. Früh an Projekten forschen statt nur Vorlesungen lauschen - Studenten der Universität Hohenheim können das. Der Aufwand macht sich bezahlt, sagt die Hochschule. Aber es fordert ein Umdenken.

Die Studentinnen Felicitas Ow-Wachendorf (l) und Jana Steddin arbeiten für Forschungszwecke an einem Pilz-Substrat. Foto: Christoph Schmidt

Die Studentinnen Felicitas Ow-Wachendorf (l) und Jana Steddin arbeiten für Forschungszwecke an einem Pilz-Substrat. Foto: Christoph Schmidt

Bereits Bachelor-Studenten können vom Forschen profitieren - davon sind Wissenschaftler an der Universität Hohenheim in Stuttgart überzeugt und fordern die Abkehr von Frontalunterricht und Pauken. Den Anstoß gab das Pilotprojekt „Humboldt reloaded“, das es seit 2011 an der Stuttgarter Hochschule gibt. „Die Teilnehmer haben sich in der Recherchekompetenz verbessert, dann haben sie sich in der Fachkompetenz, also was ihr Studium angeht, verbessert“, erklärte Johanna Sand, die Selbsteinschätzungen von Hunderten Studenten auswertete.

Bei „Humboldt reloaded“ arbeiten Bachelor-Studenten im zweiten Studienjahr in einer kleinen Gruppe ein Semester lang an einem Forschungsprojekt - Lebensmittelwissenschaftler entwickelten etwa einen Grillkäse. Auch in Sachen Sozialkompetenz schätzten sich die Befragten nach dem Semester besser ein, so Sand - während Nicht-Teilnehmer keinen Unterschied bei sich selbst wahrnahmen. „Es geht auch um die sogenannten "soft skills". Das ist für zukünftige Arbeitgeber interessant.“

„Humboldt reloaded“-Gründer Martin Blum will ein Umdenken und die Abkehr von klassischen Vorlesungen. „Das kann’s nicht sein, dass wir die Studierenden nur im Hörsaal beschallen und ihnen Dinge erzählen, die sie sowieso, wenn sie wollen, mit einem Klick haben“, sagte er. Die Kompetenzvermittlung müsse in den Vordergrund rücken, nicht die Wissensvermittlung. „Forschendes Lernen ist eine Methode. Sicherlich nicht die einzige, aber es ist eine, von der wir wissen, dass sie wirkt.“

Die 21-jährige Felicitas Ow-Wachendorf hat sich im vergangenen Semester den Kaffeesatz aus der Hohenheimer Cafeteria genauer angeschaut. „Wir wollten wissen, ob man mit recycelten Produkten Lebensmittel kultivieren kann“, erläuterte die Agrarwissenschaftlerin. Etwa ein bis zwei Stunden habe ihre Gruppe jede Woche investiert - genau könne sie das nicht mehr sagen: „Das war nicht unbedingt Arbeiten, das hat Spaß gemacht.“ Allerdings wuchsen die Pilzkulturen nicht so gut auf dem Kaffee wie erhofft. Daher züchtet die Studentin in diesem Semester - im Nachfolgeprojekt - nun Austernpilze auf einer Mischung, die zu drei Vierteln aus Sägespänen besteht und nur zu einem Viertel aus Kaffeesatz.

Auch Rückschläge helfen den Studenten, ist Cornelia Frank von der Universität Hohenheim überzeugt. „Das ist ganz wichtig: Die Studierenden können auch den Umgang mit emotionalen Herausforderungen lernen. Wie motiviere ich mich, wenn die Datenerhebung beim ersten Versuch nicht geklappt hat? Wie schaue ich dann noch ein zweites, drittes Mal, um dann am Ende erfolgreich zu sein.“

Philipp Polenz von der Universität Magdeburg betonte, sowohl Wirtschaft als auch Gesellschaft profitierten von der Umstellung auf forschendes Lernen: „Wir leben in einer Welt, die von steigender Komplexität gekennzeichnet ist und die von Fragestellungen beherrscht wird, die nicht durch einzelne Disziplinen lösbar sind - Stichwort Klimawandel.“ Forschendes Lernen helfe den Studenten, verschiedene Perspektiven einzunehmen.

Doch diese Art der Lehre kostet. 1,9 Millionen Euro flossen nach Angaben der Uni jedes Jahr in „Humboldt reloaded“ - es handelte sich um eine einmalige Förderung von Bund und Ländern. 500 Studenten nahmen jedes Jahr an dem Projekt Teil. Die Betreuung ist bei diesem Modell, wo eine Handvoll Studenten in kleinen Gruppen unter Anleitung etwa von Doktoranden forschen, ungleich höher, als wenn ein Professor vor Hunderten Zuhörern gleichzeitig doziert. Die Projektbeteiligten hoffen künftig auf eine stetige Förderung - ob es die allerdings geben wird, sei unklar.

Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) teilte mit: „Wir unterstützen die Hochschulen im Land mit 100 Millionen Euro im Rahmen unseres "Fonds Erfolgreich studieren in Baden-Württemberg" dabei, das Studium flexibler zu gestalten und den Studienerfolg zu verbessern.“

Die Projektbeteiligten sind sich einig: Sie würden gerne daran festhalten - und das Modell flächendeckend in ganz Deutschland sehen. Wenn es nach Leiter Martin Blum geht, gehören Vorlesungssäle irgendwann ganz der Vergangenheit an. Prorektorin Korinna Huber räumte ein, dass manche Fächer wie die Naturwissenschaften für das forschende Lernen geeigneter seien als andere. Und dass ganz zu Beginn des Studiums unbedingt Grundlagen gelehrt werden sollten.

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Erstellt:
7. Juni 2019, 16:53 Uhr

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