Händler im Bohnenviertel fürchten um Existenz
Wegen der Baustelle des Mobilty-Hubs auf dem Gelände des ehemaligen Breuninger-Parkhauses bleibt die Kundschaft aus.
Von Alexander Müller
Stuttgart - Wenn Waltraud Glaser über die Zukunft ihres Café Königx spricht, schießen der 75-Jährigen die Tränen in die Augen. Der Umsatz sei in den vergangenen Monaten so stark zurückgegangen, dass sie ihre Mitarbeiter entlassen musste. Konnte sie nach der Corona-Zwangspause noch alle ihre Fixkosten bezahlen, so „reicht auch das nicht mehr“, erklärt die Wirtin mit Leib und Seele in den liebevoll eingerichteten Räumen in der Wagnerstraße. „Alleine die Stammgäste reichen nicht aus, um zu überleben.“ Vor allem die Laufkundschaft fehlt. Nach 40 Jahren denkt Glaser daher über ein Ende des beliebten Treffpunkts nach. „Es macht einfach keinen Spaß mehr“, betont Glaser. „Vor allem, wenn die Stadt offenbar kein Interesse an uns hat.“ Wie ihr geht es vielen Einzelhändlern im Bohnenviertel.
Seit Anfang des Jahres laufen die Arbeiten am ehemaligen Breuninger-Parkhaus im Bohnenviertel. In den nächsten zwei Jahren sollen auf dem 3000 Quadratmeter großen Areal zwischen Esslinger und Hauptstätter Straße (B 14) im Schatten der Leonhardskirche ein neuer Mobility-Hub und das Haus für Film und Medien entstehen. Dafür muss die B-14-Rampe zum Charlottenplatz für den Verkehr gesperrt werden. Die Umleitung verläuft über die schmale Esslinger Straße. Eine enorme Belastung für die Einzelhändler.
Nicht einmal so sehr der Verkehr, sondern vielmehr die Enge sowie Lärm und Schutt bedrohen die teils alteingesessenen Geschäfte. „Wir fühlen uns abgeschnitten und im Stich gelassen“, macht Susanne Graf, Mitinhaberin des Geschäfts Wau Miau, deutlich. Wo sich sonst Hunde- und Katzenliebhaber die geschmückten Schaufenster anschauen, ist heute kein Platz mehr. Der blickdichte Zaun der Baustelle tue ein Übriges. „Wir werden überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Die Menschen denken, hier haben alle Geschäfte geschlossen“, so Graf. Da helfe auch das Angebot von Breuninger nichts, die Läden aus dem Bohnenviertel mögen den Pop-up-Store Leo & Bones im Dorotheen-Quartier beziehen. Zum einen müsse man dafür auch Pacht bezahlen, zum anderen wird der bereits Ende des Jahres wieder geschlossen. Und auch die Ansage der Kaufhauskette, für die Einzelhändler während der Bauzeit Werbung zu machen, sei eine Luftnummer. „Nur wer dafür bezahlt, wird berücksichtigt“, sagt Graf, die über einen Standortwechsel nachdenkt, sollte sich die Lage nicht verbessern.
So weit will Heinz Rittberger von Seifen Lenz nicht gehen. Schließlich gibt es das traditionsreiche Haus bereits seit 240 Jahren, seit 211 Jahren am heutigen Standort in der Esslinger Straße. Dennoch: „Der Lärm und der Dreck sind mehr als belastend“, sagt der Seniorchef. Er will das Weihnachtsgeschäft abwarten, bevor er sich endgültig entscheidet. Angst und bange könne einem aus Sicht des erfahrenen Einzelhändlers werden, wenn vom kommenden Jahr an, wie von der Bauleitung angekündigt, die Breuninger-Unterführung in Richtung Marktplatz für die noch ausstehende Bauzeit geschlossen werden muss. Denn auf der Fläche der bisherigen Rotunde soll dann das neue Haus für Film und Medien entstehen. „Dann kommt gar niemand mehr ins Bohnenviertel“, sagt Rittberger und wirft die Idee eines Stegs über die Hauptstätter Straße als Verbindung zur Innenstadt in den Raum, die bereits im Bezirksbeirat Mitte und auch im Gemeinderat diskutiert wurde.
„Die Stadt kann nicht traditionsreiche, inhabergeführte Geschäfte sehenden Auges in den Ruin treiben lassen“, sagt Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte. Angesichts einer Baustelle von mehreren Jahren sorgt sie sich um den Einzelhandel im Bohnenviertel und sieht die Stadt in der Pflicht. Unter anderem solle das Versprechen von versenkbaren Pollern im Boden umgesetzt werden. Zudem kann sie sich vorstellen, dass Autos komplett aus der Esslinger Straße genommen und nur noch die Busse mit maximal 20 Stundenkilometern durch den verkehrsberuhigten Bereich geleitet werden. Grundsätzlich müsse die Attraktivität gesteigert und eine Zugänglichkeit von der Innenstadt gesichert werden.