Haftstrafe für digitalen sexuellen Kindesmissbrauch

Wegen der langen Verfahrensdauer bekommt der Verurteilte vier Monate von seinen insgesamt drei Jahren Haft abgezogen.

Das Stuttgarter Landgericht hat das Urteil gefällt. Symbolfoto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Das Stuttgarter Landgericht hat das Urteil gefällt. Symbolfoto: Alexander Becher

Von Heike Rommel

Fellbach. Das Stuttgarter Landgericht hat im Fellbacher Fall des digitalen sexuellen Missbrauchs von Kindern ein Urteil gesprochen: Drei Jahre Gefängnis verhängte die zweite Strafkammer gegen den 59-Jährigen. Sein Strafverfahren (wir berichteten) dauerte rund sieben Jahre, weswegen der nach einer Wohnungsdurchsuchung aus Fellbach verzogene und bislang unbescholtene Bahnbeamte vier Monate Abzug von seiner Haft bekommt.

Von der Tatzeit im September 2014 bis zur Sicherstellung der elektronischen Geräte des Ex-Fellbachers dauerte es etwas mehr als zwei Jahre. Bei den aufwendigen Ermittlungen der Waiblinger Kriminalpolizei, die auch in Zusammenarbeit mit der Kripo in Niedersachsen geschahen, stellte sich heraus, dass der Verurteilte sechs Mädchen im Alter von elf bis 14 Jahren über das Internet wiederholt sexuell missbraucht hatte. Dazu kam ein Mädchen, das sich auch noch zu einem persönlichen Treffen abholen lassen sollte, bevor dem Beschuldigten der Prozess gemacht wurde.

Fünfeinhalb Jahre Gefängnis forderte in diesem Fall der Staatsanwalt, der eine gewisse Steigerung in der Vorgehensweise des 59-Jährigen erkannte, welcher nach seiner Wohnungsdurchsuchung zu seiner Ehefrau ins Jagsttal verzogen ist. Der kinderlose Mann gab unter anderem als Tatmotiv an, das Sexualleben mit erwachsenen Frauen hätte seine sexuellen Bedürfnisse nicht befriedigt, außerdem sei er zu der Tatzeit sexsüchtig gewesen.

Skypen möge laut den Nutzungsbedingungen zwar erst ab 18 Jahren erlaubt sein, sagte der Staatsanwalt, doch die Behauptung, nicht gewusst zu haben, wie alt die von ihm kontaktierten Kinder seien, kaufe er dem 59-Jährigen schlicht nicht ab. Auf den Bildern und Videos sei eindeutig zu sehen, dass es sich um Kinder handle.

Sämtliche Mädchen hätten beim Livechatten mit dem Mann, der sich als Gleichaltriger ausgab, überdies ihr Alter genannt. Via Internet hatte er sie, unter Androhung der Veröffentlichung von Videoaufnahmen, zur Vornahme sexueller Handlungen bis hin zum Einführen von Gegenständen in den Körper gezwungen.

Verteidiger fordert Bewährung

Mit dem Strafantrag auf eine bewährungsfähige Strafe ging der Verteidiger in sein Plädoyer – begründet damit, dass sein Mandant ein frühzeitiges Geständnis abgegeben und den heute erwachsenen Opfern damit eine Aussage vor dem Stuttgarter Landgericht erspart hätte. Sexuelle Interessen seien nicht nur seitens seines Mandanten vorhanden gewesen, sondern auch seitens der Kinder. Darüber hinaus sei nur von einer der Betroffenen Strafanzeige erstattet worden und Folgeschäden hätten die erwachsenen Opfer ebenfalls keine geltend gemacht. Außerdem habe sich der 59-Jährige zu der Tatzeit in einer Lebenskrise befunden und mittlerweile eine Therapie hinter sich gebracht.

An eine bewährungsfähige Strafe sei für die Kammer überhaupt nicht zu denken gewesen, berichtete der Vorsitzende Richter Matthias Merz aus der Urteilsfindung, vor welcher sich die Kammer durch viele Hundert Seiten von Chatprotokollen habe quälen müssen. „Das war keine angenehme Lektüre, das können Sie mir glauben“, betonte der Richter. Taten, wie sie der 59-Jährige begangen habe, missbillige die Rechtsgemeinschaft aufs Höchste.

„Was geht in einem Angeklagten vor, der in einer derartigen Weise mit anderen Menschen kommuniziert?“ Diese Frage stelle sich das Gericht bis heute und es hätten im Urteil auch die vom Staatsanwalt geforderten fünfeinhalb Jahre Gefängnis für den Verurteilten herauskommen können, wenn da nicht die lange Verfahrensdauer gewesen wäre, blickte Richter Merz auf die Beweisaufnahme zurück.

Kammer attestiert dem Angeklagten eine hohe kriminelle Energie

Ob die Rückfallgefahr für Wiederholungstaten wirklich so gering ist, wie sich der 59-Jährige von einem Therapeuten hat bescheinigen lassen, ließ das Gericht dahingestellt. Was Richter Merz klar sah, war, dass der 59-Jährige den digital missbrauchten Kindern möglicherweise auch noch persönlich an den Körper gegangen wäre, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Am Ende des Prozesses zeigte sich die Kammer schwer erschüttert über die hohe kriminelle Energie und die „listige Vorgehensweise“ des Verurteilten. Er filmte die Opfer mit einem speziell dafür installierten Aufnahmeprogramm heimlich und drohte mit Veröffentlichung, falls sie nicht weiterhin das machen sollten, was er von ihnen wollte.

Nach solchen Straftaten weiterhin Bahnbeamter zu sein und in den Genuss von Beamtenbezügen zu kommen, kann sich der Ex-Fellbacher nun so gut wie abschminken. Und mehr als vier Monate Strafrabatt, weil sich die Ermittlungsbehörden auch über die Coronapandemie hinweg mit ihm beschäftigen mussten, war im Gegenzug dazu, dass er ungefähr sieben Jahre lang unter dem Verfahrensdruck habe leiden müssen, auch nicht drin. In Untersuchungshaft war der Mann nicht, weil keine Fluchtgefahr bestand, aber er bekommt jetzt eine Ladung zum Strafantritt.

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Erstellt:
30. September 2023, 16:30 Uhr

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