Hagelflieger haben in der Region Stuttgart schon 22 Einsätze absolviert
Dennoch ist dieses Jahr trotz vieler Gewitter in den vergangenen Wochen bisher nicht ungewöhnlich.

© Pressefotografie Alexander Beche
Der Hagelflieger steht im Sommer allzeit bereit. Foto: Alexander Becher
Von Lorena Greppo
Rems-Murr. Mitten im Hochsommer waren die Straßen plötzlich weiß: Anfang des Monats hat ein Gewitter Starkregen und Hagel nach Reutlingen gebracht. Der Niederschlag blieb auf den Straßen liegen, die Innenstadt sah dadurch zeitweise eher winterlich aus. Die ein bis zwei Zentimeter großen Hagelkörner wurden mit Radladern und Muldenfahrzeugen abgetragen. Ein Bild, das hier auch möglich wäre? Schließlich sind in den vergangenen Wochen nicht gerade wenige Gewitterzellen über die Region gezogen. Dennoch muss die Frage mit einem Nein beantwortet werden.
Denn der Rems-Murr-Kreis gehört zum Schutzgebiet der Hagelabwehr Region Stuttgart. Dieses umfasst mit rund 2700 Quadratkilometern neben dem Rems-Murr-Kreis auch den Kreis Ludwigsburg, die Stadt Stuttgart sowie Teile der Landkreise Heilbronn, Esslingen und Böblingen. Etwa zwei Millionen Menschen leben im Schutzgebiet.
In dieser Region sind zwei Flugzeuge unterwegs, welche eine Lösung aus Silberiodid und Aceton mit sich führen. Sobald sie sich unterhalb einer Gewitterwolke befinden, wird dieses Gemisch verbrannt, der Aufwind trägt die Silberpartikel dann in die Wolken. In der Folge können sich nicht mehr so große Hagelkörner bilden, heißt es.
Hagelabwehrsaison dauert noch bis 15. Oktober
In der bisherigen Hagelabwehrsaison 2023 hatten die Hagelflieger der Region Stuttgart insgesamt 22 Einsatzflüge, teilt das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises auf Anfrage mit. Allerdings sei zu beachten, dass die Hagelabwehrsaison noch bis zum 15. Oktober andauere und daher die Zahlen noch nicht abschließend vergleichbar sind. Stand jetzt ist die Zahl der Einsatzflüge allerdings noch völlig in der Norm.
Zum Vergleich: Im Jahr 2018 absolvierten die Hagelflieger insgesamt 35 Flüge (an 15 Einsatztagen), 2020 wurde mit lediglich 16 Einsätzen (an sieben Einsatztagen) der Tiefstwert der vergangenen sechs Jahre erreicht. „Da je nach Wetterlage entweder nur eines oder beide Hagelflugzeuge zum Einsatz kommen und je nach Entwicklung der Gewitter die Flugzeuge auch mehrmals am Tag zur Bekämpfung verschiedener Gewitterzellen zu verschiedenen Uhrzeiten starten, ist die Anzahl der Einsatzflüge höher als die Zahl der Einsatztage“, teilt das Landratsamt mit.
Erfasst werden neben den tatsächlichen Einsätzen auch die Tage, an welchen die Piloten in Bereitschaft sind. Das ist dann der Fall, wenn die Wahrscheinlichkeit für Gewitter mit Hagelpotenzial an diesem Tag gegeben ist. Angeordnet wird die Bereitschaft durch den meteorologischen Dienst, der von der Hagelabwehr Region Stuttgart beauftragt ist und die Wetterprognosen und Radarauswertungen vornimmt. Sehen die Verantwortlichen eine Gefahr, so finden die Piloten sich am Flughafen Stuttgart bei ihren Flugzeugen ein und sind in Einsatzbereitschaft. Bereitschaftstage gab es in dieser Saison bislang 19. Auch diesbezüglich hatte das Jahr 2018 die Höchstmarke (36) geliefert, 2020 waren es lediglich 20. Wo die Hagelflieger konkret zum Einsatz kommen, hängt von den jeweiligen Entwicklungen der Gewitterzellen ab. Diese werden durch die Meteorologen anhand von Radarbildern beobachtet; die Piloten werden gezielt zu den Einsatzpunkten geschickt. Die Kommunikation zwischen meteorologischer Betreuung und Hagelflieger erfolgt dabei mittels Funkverbindung und Messengerdienst.
Schadensverhütung Die Hagelabwehr im Rems-Murr-Kreis gibt es seit 1980 und verbessert die Schadensverhütung und Planungssicherheit für die landwirtschaftlichen Betriebe. Mit erheblichem finanziellem Aufwand wird für die landwirtschaftlichen Kulturen im Obst- und Weinbau Vorsorge getroffen. Darüber hinaus schützt die Hagelabwehr laut Landratsamt auch im gewerblichen und privaten Bereich: Jeder Autofahrer und Kleingartenbesitzer profitiert davon.
Funktionsweise Ein Kleinflugzeug steigt auf und verbrennt eine Silberiodidverbindung im Bereich der Aufwinde von hagelträchtigen Wolken. Die dabei freigesetzten Kondensationskerne fördern die Bildung von kleineren und verhindern so die Bildung von großen Hagelkörnern. Das Hagelabwehrprojekt wird von Hermann Gysi von der Radarinfo in Karlsruhe wissenschaftlich begleitet.
Private Mithilfe Für die Qualitätskontrolle und -verbesserung ist es nötig, den Hagelschlag in der Region genau zu protokollieren. Hierfür sind die Organisatoren auf möglichst viele Meldungen von Hagelereignissen auch von Privatleuten, die keine Schäden erlitten haben, angewiesen. Das Formular ist zu finden unter https://t1p.de/Hagelabwehr.