Harter Rock war das Markenzeichen der Pinte
Nachtleben in alten Zeiten (10) Für eine ganze Generation junger Leute war die Pinte der Treffpunkt schlechthin. „Es war eine gemütliche Bierkneipe, eine Studentenkneipe“, beschreibt Vassilios Artzoglou sein einstiges Lokal. „In den Semesterferien haben sie mir die Bude eingerannt.“
Von Armin Fechter
Backnang. Wasili, wie der Grieche allgemein genannt wird, übernahm die Pinte 1982 und behielt sie bis zu ihrem Aus 1999. Dann wurde das Gebäude in der Gerberstraße 47, in dem über dem Lokal auch noch drei Wohnungen waren, abgerissen, damit die damalige ANT Nachrichtentechnik Platz für einen Erweiterungsbau hatte.
Die Pinte war allerdings nicht die erste Unterhaltungsstätte an dem Ort, wie Wasili erzählt: Vorher gab es dort, gleich neben der einstigen Bäckerei Michelfelder, schon die Discotheken Blue Up und danach Old Dad. Ein neuer Betreiber wandelte die Tanzbar 1979 in eine Kneipe um und taufte sie „Pinte“. Wasili wiederum war 1964, als vierjähriger Junge, mit seinen Eltern und Geschwistern nach Deutschland gekommen. 1979 nahm er zunächst einen Job als Barmann in der Alten Grube an, danach arbeitete er in großen Klubs in Aalen und Heilbronn, ehe er sich in Backnang mit der Pinte selbstständig machte.
Das Lokal führte Wasili – immer mit der Familie im Rücken – nach dem gleichen Konzept weiter, wie es schon der Vorgänger betrieben hatte: Er übernahm die Einrichtung mit der großen Theke aus Holz unverändert, ebenso die Holztische, damit der urige Charakter das Raums erhalten blieb. Nebenan gab es noch einen weiteren Raum mit einem Poolbillardtisch, zwei Flipperautomaten und einem Dartspiel.
Gute geile Musik als Erfolgsrezept
Und was war das Erfolgsrezept? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Gute geile Musik.“ Die rockige Beschallung kam aus einer Anlage mit zwei Plattenspielern. Wenn Bands spielten, was laut Wasili etwa einmal im Monat der Fall war, wurden die ersten drei Tische auf dem schmalen Podest weggeräumt, damit eine Art Bühne entstand. Von dort konnten Tonkünstler wie die Bad Boyz oder Udo Hauenstein mit Band dem Publikum einheizen.
Rockröhre Marina Heidrich – heute bekannt durch ihre Band Geddess – erinnert sich noch bestens an die Zeit: „In der Pinte trafen sich Anfang/Mitte der 80er fast alle Musiker aus Backnang und der Umgebung, die mit Rockmusik zu tun hatten. Klassische Hardrockbands wie Marnie – meine erste Backnanger Band! –, Bad Boyz oder Hard Foundation wurden sogar irgendwann dort gegründet. Viele Bandprojekte entstanden am berühmten runden Tisch in der Pinte, der ziemlich zentral stand.“
Auch das Ambiente war speziell, wie Marina Heidrich erzählt: „Wenn du die Pinte betreten hast, musstest du erst durch einen dicken Vorhang vor dem Eingang. Dann sah man als Erstes – fast nix. Denn es herrschte genau das richtige Schummerlicht, um eine ganz besondere Atmosphäre zu schaffen.“ Besuchern präsentierte sich dann eine „seltsame Mischung aus Bauernstube, Landkneipe, guter Stube mit viel dunklem Holz und einer sensationellen Mischung aus Dutzenden von Gemälden aller Größen“. Ganz im Kontrast dazu die Gäste: „Vor den Wänden, wo buchstäblich fast jeder Zentimeter mit runden, ovalen und rechteckigen Landschaftsbildern und Stillleben mit verschnörkelten, vergoldeten oder einfach nur glatten Rahmen dekoriert war, einschließlich röhrender Hirsche, saßen langhaarige Jungs in Lederjacken, Mädels in engen Jeans mit auftoupiertem Vokuhila und leicht punkigem Make-up. Im Hintergrund liefen Def Leppard, Whitesnake und Victory.“ Die Bilder seien bei allem Kitsch „echt der Hammer“ gewesen. Heidrich: „Ein gewollter Stilbruch, perfekt inszenierte Ironie – und man musste automatisch grinsen, wenn Wasili mal wieder eine neue Errungenschaft an die Wand hängte: großäugige Kätzchen in einer Obstschale.“
Bevorzugte Getränke – neben Bier – waren laut Heidrich Mischungen mit Jack Daniels: Jackie Cola oder Jackie Orange. Punkten konnte Wasili auch mit seinen kleinen Speisen, insbesondere mit seiner Paprikawurst zu Brot. „Manchmal hat er uns auch einfach ein paar Spiegeleier gebraten.“ Am Billardtisch im Hinterzimmer spielten den ganzen Abend langhaarige Bartträger, ohne sich miteinander zu unterhalten. Wer mitspielen wollte, stellte sich einfach dazu.
Kein Platz für eine Bühnenshow
Die Livemusik war, wie Marina Heidrich noch weiß, „höllisch laut und elektrisch“. In dem nicht sehr großen und relativ niedrigen Lokal spielten die Bands voll verstärkt. Auf dem Podest standen die Musiker eng aneinandergedrängt: „Für eine Bühnenshow war kein Platz – allerdings konnte auch keiner von uns umfallen.“ An Silvester gab es immer ein Konzert, danach brannte Wasili vor der Tür ein Feuerwerk ab.
Auch Zeitungsleser Rainer Siegler hat beste Erinnerungen an die Pinte. Wasili habe sich häufig in seinem zweiten Lokal, der Discothek Life, aufgehalten, sein Mann vor Ort sei Costa gewesen – „immer gut gelaunt, immer zu einem Spaß zu haben, er war die gute Seele der Pinte“. Wie Marina Heidrich, so bestätigt auch Siegler die Zugkraft des Lokals in seiner Generation: „Gefunden hat man immer jemanden aus dem Freundeskreis.“ Die Handballer der TSG beispielsweise waren „nach dem Training dienstags bei Werner Lutz im Löwen, donnerstags im Vereinsheim auf dem Hagenbach bei Mathias Christ, davor, dazwischen und danach in der Pinte“.
Eines Tages ging für den langjährigen Stammgast ein Traum in Erfüllung. Siegler hatte schon immer mal wieder als DJ ausgeholfen – aber als der Pinte-Kult-DJ „Schnulli“ („der meinen musikalischen Horizont dermaßen erweitert hat“) aufhörte, kam seine Chance: „Ich fragte Costa, ob ich am Wochenende auflegen dürfe, und er sagte Ja! 100 Mark und freie Getränke, ich war im Paradies angekommen.“ Eine Zeit lang sei Friesengeist das In-Getränk gewesen, ein 56-prozentiger Kräuterlikör aus Friesland, der brennend serviert wird: „Man konnte davon ausgehen, dass sich mindestens einer in der Runde die Lippen verbrannte oder die Tischdecke in Flammen aufging. Costa hatte einen Riesenspaß.“
Frauen wurden nie blöd angemacht
Besonders in Erinnerung hat Marina Heidrich, dass es für eine Frau oder ein Mädchen „überhaupt keine Probleme“ gab, „du wurdest nie blöd angemacht oder gar belästigt“ – das hätten Wasili, seine Servicecrew und vor allem die Stammgäste nie toleriert. Und wenn mal ein Gast einen über den Durst getrunken hatte, fand sich immer jemand, der ihn nach Hause fuhr. Heidrich: „Wir sind teilweise zu Leuten ins Auto gestiegen, die wir nur vom Sehen kannten. Aber vom Sehen aus der Pinte – das war ein gewaltiger Vertrauensvorschuss.“
Wasili, der heute das Gerberstüble in der Maubacher Straße hat, setzt stolz drauf: Aus allen, die zu ihm in die Pinte kamen, sei etwas geworden – Doktoren, Professoren und, und, und. Wie zum Beweis nennt er seine Hausärztin, die einst immer mit vielen Aufschrieben und Büchern am Tisch dagesessen und Limo getrunken habe.