Hauptbelastungszeuge tischt Ungereimtheiten auf
Erpresserischer Menschenraub: Vier Angeklagte vor dem Schöffengericht in Backnang

© Romolo Tavani
Von Hans-Christoph Werner
BACKNANG. Das Verfahren ist für Backnang ungewöhnlich. Vier Angeklagte sind es, zwei Männer und zwei Frauen. Der Vorwurf lautet auf erpresserischem Menschenraub. Pünktlich haben die Richterin und die beiden Schöffen den Saal betreten. Aber die anderen Herrschaften sind noch nicht so weit. Die Sitzordnung gibt Probleme auf. Wer sitzt wo? Und vor allem: Wo soll die Dolmetscherin, die für zwei Angeklagte geladen ist, sitzen. Die sommerliche Nachmittagshitze ist ein anderes Thema. Eigenhändig setzt die Richterin ein kleines Kühlgerät in Gang. Die Fenster nun schließen? Nach Murren verschiedener Zuhörer bleiben die Fenster offen. Alle fächeln und wedeln mit irgendwelchen Unterlagen. Mit einer knapp viertelstündigen Verspätung kann die Verhandlung beginnen.
Der Fall beginnt damit, dass eines Nachts im Januar diesen Jahres ein jungen Mann beim Polizeiposten der Klett-Passage in Stuttgart vorstellig wird und vermeldet, dass er in einer Backnanger Wohnung festgehalten, gefesselt, bedroht und beraubt worden sei. Er wirkt verängstigt, kann leichte Schürfwunden an den Handgelenken vorweisen. Er wird wegen seiner Wunden ins Krankenhaus gebracht, kann somit erst Stunden später vernommen werden. Bei allem, was er den Beamten auftischt, ergeben sich auch Ungereimtheiten. Er sei Journalist, sagt er, von Frankreich her eingereist. Vom Einreisedatum gibt es allerdings zwei Versionen. In einer Tüte, die dem Geschädigten zugeordnet wird, finden sich Arbeitsklamotten der Bundesbahn.
Nach dem Geschehen in Backnang sei er mit zweien seiner Peiniger in die S-Bahn gestiegen. Einen Fluchtversuch bei passender Gelegenheit unternimmt er nicht. Das alles ergibt sich aus den Vernehmungsprotokollen der Polizei, auf die die Richterin bei Vernehmung der Zeugen immer wieder zurückgreift. Selber kann der Geschädigte nicht anwesend sein. Er hat sich offenbar in sein Heimatland nach Afrika abgesetzt. Und bedauert in einer Email sehr, dass er kein Visum für Deutschland erhalte. Die Richterin teilte ihm vorweg zwar Gegenteiliges mit, aber es bleibt dabei: Der Geschädigte ist nicht anwesend.
Die Einlassungen der Angeklagten hören sich anders an. An einem Januar-Tag diesen Jahres gibt es ein Stelldichein aller Beteiligten bei einer 44-jährigen Gärtnerin in Backnang. Letztere, Yvonne (Name geändert), auch angeklagt wegen Beihilfe, ist mit dem 28-jährigen Simba (Name geändert) verlobt. Simba bringt an diesem Tag noch Tayo (Name geändert) (33) mit. Und gemeinsam erwarten sie den Geschädigten. Dieser, Akono (Name geändert; Alter unbekannt), ist einige Zeit zuvor angeblich mit Tayo in geschäftliche Beziehungen getreten. Tayo möchte, zu welchem Zweck auch immer, einen Pass haben.
Nach drei Stunden wird das Verfahren vertagt
Akono prahlt mit seinen Beziehungen, er sei, so sagt er, Soldat in Frankreich und habe Beziehungen nach Portugal. Er verspricht, einen portugiesischen Reisepass für Tayo zu besorgen. Dieser kostet nur die Kleinigkeit von 6000 Euro. Tayo ist damit einverstanden und leistet eine Anzahlung von 2800 Euro. Dann aber vergehen Tage, in denen nichts geschieht. Akono ist auf einmal für Tayo nicht mehr erreichbar. Unter einem Vorwand lockt man ihn offenbar in die Backnanger Wohnung. Und redet Tacheles mit ihm. Akono gibt später bei der Polizei an, er sei auf einen Stuhl gefesselt, geknebelt, die Augen seien verbunden worden. Merkwürdig nur, dass die Polizei bei einer Hausdurchsuchung der Wohnung der Gärtnerin keinen Stuhl findet. Zwei Fluchtversuche habe er, Akono, unternommen. Einmal will er durch das Toilettenfenster, das andere Mal durch das Wohnzimmerfenster hinaus. Beides wissen die anderen zu vereiteln. Irgendwelche Gewalttätigkeiten weisen die Angeklagten allesamt von sich. Im Gegenteil. Gemütlich sei man zusammengesessen und habe das verspeist, was die Gärtnerin auftischte. Tayo beharrt darauf, dass er sein Geld zurückhaben will. Und damit Akono wirklich alles daransetzt, nimmt man ihm Pass, Smartphone, EC-Karte und 250 Euro Bargeld ab. Und die Tüte mit knapp 500 Gramm Marihuana, die Akono offenbar als Zahlungsmittel mitgebracht hat, bleibt auch da. Man droht Akono an, ein Foto von ihm zu machen und es in den sozialen Medien zu veröffentlichen. Man hofft damit seiner Mutter, einer angesehenen Politikerin in Gambia, zu schaden. Einer der Rechtsanwälte hat in dieser Sache Nachforschungen angestellt, die ohne Ergebnis blieben. Die Sache mit dem Foto soll den Druck auf Akono, zu seinen Geschäften zu stehen, erhöhen. Die Gärtnerin gibt in der Verhandlung an, dass sie wohl bemerkt habe, dass die Männer irgendeine Auseinandersetzung hatten. Aber da diese sie in ihrer Muttersprache führten, habe sie nicht verstanden, um was es gehe. Die Fluchtversuche von Akono habe sie bemerkt. Die vierte Angeklagte, Mara (Name geändert) (26), hat mit der Sache wohl am wenigsten zu tun. Sie kommt am Tag des Geschehens nur vorbei, um einen Schlüssel abzuholen.
Das auf zwei Verhandlungstermine angesetzte Verfahren wird nach drei Stunden vertagt.