Heiligabend unter freiem Himmel
Wegen der Sanierung der Stiftskirche wird Weihnachten auf dem Stiftshof gefeiert – Familiengottesdienst in der Stadthalle
Die Stiftskirche ist wegen Generalsanierung geschlossen. Deshalb mussten die Heiligabend-Gottesdienste in diesem Jahr anderswo gefeiert werden: Der Familiengottesdienst mit Kindermusical wurde in die Stadthalle verlegt und der Abendgottesdienst wurde auf dem Stiftshof im Freien zelebriert. Beides wurde sehr gut angenommen. Am Ende war klar: Weihnachten „funktioniert“ auch so bestens.

© Alexander Becher
Die Backnanger Stiftskirche wird saniert, die Menschen in der Murrstadt machen aus der Not eine Tugend und feiern Heiligabend nebenan unter freiem Himmel.
Von Renate Schweizer
BACKNANG. Sambaklänge in der wuselvollen Stadthalle – steigt hier eine X-mas-Party? – Nein, es ist der ganz normale Familiengottesdienst am Nachmittag des Heiligen Abends. Diesmal nicht nur für alle Familien mit Kindern, sondern auch für Menschen jeden Alters, die Weihnachten im Sitzen und geschützt vor Wind und Wetter feiern wollen.
Am Klavier sitzt Kirchenmusikdirektor Hajo Renz und das Stück, das zum Mitwippen einlädt, ist nicht etwa ein lateinamerikanischer Jazzstandard, sondern eine Bearbeitung von „Ich steh an deiner Krippen hier“, gefolgt vom Weihnachtsmusical der Kinderchöre. Große und Kleine folgen den Hirten zum Stall und bestaunen selig lächelnd das Kind in der Krippe.
Mag sein, dass der technische Aufwand hier viel höher ist, als er in der Stiftskirche gewesen wäre, mag auch sein, dass die Stadthalle eben doch eine schmucklose Turnhalle ist und dass am Ende alle noch mithelfen müssen, Stall, Stern, Stühle, Podeste und technisches Equipment wieder wegzuräumen. Aber eines wird deutlich: Wenn Hirten und Engel, Maria und Josef glückselig die Weihnachtsbotschaft vom Frieden auf Erden verkünden, ist Weihnachten – ganz egal wo – ein besonderes Ereignis.
Auf dem Stiftshof wirbelt derweil Dekan Wilfried Braun. Besorgte Blicke gehen zum Himmel: Wird es trocken bleiben? Nicht zu stürmisch? Wird überhaupt jemand kommen zum Heiligabend-Gottesdienst im Freien neben Kirche und Amtsgericht? „Zwischen 50 und 500 Menschen ist alles möglich“, sagt er, „wir haben ja keine Erfahrungswerte für Weihnachten unter freiem Himmel.“ Die Pfarrerin der Stiftskirchengemeinde, Sabine Goller-Braun, läuft übers Gelände und spricht mit den Beteiligten noch letzte Regieanweisungen ab. Man sieht ihr die Aufregung an: Nichts an diesem Gottesdienst ist Routine, hier ist alles zum ersten Mal. Weil eine allein das nicht stemmen könne, habe sie viele ins Boot geholt und so sei der Gottesdienst zum Gemeinschaftsprojekt der halben Stadt geworden: Sänger aus verschiedenen Chören wurden zusammengetrommelt. Ordnungsamt und Stadtverwaltung erteilten Genehmigungen und hielten den Stiftshof autofrei, Bandhaus-Theater und Bürgerbühne halfen bei der Inszenierung der Herbergssuche, das Amtsgericht öffnete seine Türen für die Darsteller und gab seine Fenster frei. Oberbürgermeister Frank Nopper sprach den ersten Teil der Weihnachtsgeschichte, Techniker kümmerten sich um die Beschallung, damit jeder von jedem Standort aus alles verstehen konnte. Kirchengemeinderäte schleppten Stühle, der Dekan spielte die Gitarre und gab den Chorleiter. Der Posaunenchor begleitete den Gesang der Gemeinde, die Pfadfinder bauten eine Jurte als Stall und Unterstand auf und zu guter Letzt konnte sogar noch ein Esel gewonnen werden, der Maria und Josef bei ihrer Herbergssuche begleitete. Es waren viele Fäden, die da zusammengehalten werden mussten. „Ich bin wahrscheinlich die Einzige, die bei diesem Gottesdienst ein bisschen weniger Arbeit hatte als sonst“, erzählt Eva Sorg, die Pfarramtssekretärin. Zum Beispiel mussten keine Liedblätter verteilt werden. „Ist sowieso zu dunkel zum Lesen.“ Die Liedtexte wurden per Beamer an die Fassade der Stiftskirche projiziert.
Kälte, Wind und langes Stehen schreckten die Besucher nicht ab
In Scharen strömten die Menschen zum Gottesdienst, um die uralte Geschichte von der Geburt Jesu Christi ganz neu zu hören, sich gegenseitig frohe Weihnachten zu wünschen und die alten Lieder zu singen.
Der Stiftshof war voller Menschen und Pudelmützen und es waren beileibe nicht nur die Mitglieder der Stiftskirchengemeinde da. Da strahlte die Pfarrerin vor Weihnachtsfreude – ein bisschen Erleichterung wird wohl auch dabei gewesen sein – und alle Anspannung fiel ab. „Weihnachten auf dem Stiftshof, das lass ich mir doch nicht entgehen,“ so eine Frau aus Großaspach. „Ich wäre bei jedem Wetter gekommen – notfalls auch mit Schirm.“
Kälte, Wind und langes Stehen scheinen niemanden zu schrecken, auch dass die Kerzen fürs Friedenslicht aus Bethlehem, die die Pfadfinder verteilt haben, immer wieder ausgehen, stört niemanden wirklich. Windlicht oder Laterne hätte man mitbringen sollen, aber das hatten die meisten vergessen. „Hoffentlich wird die Stiftskirche nicht so schnell fertig“, hört man am Ende jemanden seufzen, „im nächsten Jahr bring ich mir ein Sitzkissen und eine Wolldecke mit.“ – „Und eine Laterne fürs Friedenslicht“, ergänzt eine andere. Auch wenn es zunächst eine Notlösung war, der Tenor war einhellig: Der Heilige Abend unter freiem Himmel war wunderschön.

© Alexander Becher
Beim Familiengottesdienst in der Stadthalle begeisterten die Kinderchöre das Publikum mit einem Weihnachtsmusical. Fotos: A. Becher