Hier könnten sich im Raum Backnang Windräder drehen
Der Verband Region Stuttgart schlägt 34 mögliche Vorranggebiete für Windkraftanlagen im Rems-Murr-Kreis vor. Das heißt aber nicht, dass dort auch überall Windräder gebaut werden. Am Montag findet dazu ein Infoabend im Backnanger Bürgerhaus statt.
Von Kornelius Fritz
Rems-Murr. Wenn Deutschland die Energiewende schaffen und seine Klimaziele erreichen will, müssen regenerative Energien zügig ausgebaut werden. Deshalb hat der Bund die Länder gesetzlich dazu verpflichtet, mehr Flächen für Windkraftanlagen zur Verfügung zu stellen. Baden-Württemberg muss bis 2032 mindestens 1,8 Prozent der Landesfläche als sogenannte Vorranggebiete für Windkraftanlagen ausweisen. Für die Auswahl der konkreten Standorte sind die Regionalverbände zuständig. Der Verband Region Stuttgart (VRS), dem auch der Rems-Murr-Kreis angehört, hat im Oktober insgesamt 106 mögliche Vorranggebiete in Stuttgart und den Landkreisen Böblingen, Esslingen, Ludwigsburg, Göppingen und Rems-Murr vorgeschlagen. Ob sie am Ende auch alle ausgewiesen werden, ist aber noch nicht sicher. Darüber wird erst im April 2024 entschieden. Am Montag um 19 Uhr findet dazu eine Informationsveranstaltung im Backnanger Bürgerhaus statt. Wir beantworten im Vorfeld die wichtigsten Fragen.
Was ist ein Vorranggebiet?
Wenn die Regionalversammlung eine Fläche als Vorranggebiet für die Windkraft ausweist, heißt das zunächst einmal nur, dass dort keine Nutzungen mehr möglich sind, die dem Bau von Windrädern entgegenstehen, zum Beispiel Wohn- oder Gewerbegebiete. „Der Standort ist also für die Windkraft reserviert“, erklärt Thomas Kiwitt, Leitender Technischer Direktor beim Verband Region Stuttgart. Umgekehrt heißt das aber auch, dass außerhalb dieser Gebiete keine Windräder mehr zulässig sind.
Wo liegen die Vorranggebiete im Rems-Murr-Kreis?
Nach dem Planentwurf bekommt der Rems-Murr-Kreis insgesamt 24 Vorranggebiete. Viele davon liegen im Schwäbischen Wald. Die Kommune mit den meisten Vorranggebieten ist Murrhardt: Gleich sieben mögliche Standorte liegen ganz oder teilweise auf Murrhardter Gemarkung, aber auch Spiegelberg und Sulzbach an der Murr (jeweils fünf Standorte) sind stark vertreten. Backnang ist dreimal tangiert, Oppenweiler zweimal, Althütte und Großerlach jeweils einmal. Wobei sich die Vorranggebiete in ihrer Größe stark unterscheiden. Das kleinste Gebiet bei Murrhardt (RM-10) umfasst gerade mal vier Hektar, das größte (RM-07) ist 372 Hektar groß und erstreckt sich über das Gebiet von fünf Kommunen zwischen Oppenweiler und Oberstenfeld.
Wie wurden die Gebiete ausgewählt?
Grundvoraussetzung für einen Standort ist, dass es dort ausreichend Wind gibt. Als Mindestwert gilt eine mittlere Windleistungsdichte von 215 Watt pro Quadratmeter Rotorfläche, gemessen auf einer Nabenhöhe von 160 Metern. Aussortiert wurden dann Flächen, die aus anderen Gründen nicht infrage kommen, zum Beispiel weil sie in einem Naturschutzgebiet liegen. Bei allen Vorranggebieten wurde zudem ein Mindestabstand von 800 Metern zu besiedeltem Gebiet eingehalten – 100 Meter mehr als der Richtwert des Landes. Außerdem habe man darauf geachtet, eine „Umzingelung“ einzelner Gemeinden durch Windräder zu verhindern, sagt Thomas Kiwitt.
Ist der Bau von Windrädern in den Vorranggebieten unproblematisch?
Nein. Nach Einschätzung von Thomas Kiwitt handelt es sich bei den ausgewählten Standorten zwar um diejenigen, die am besten geeignet sind, trotzdem sei der Bau von Windrädern auch hier mit massiven Eingriffen ins Landschaftsbild verbunden. Auch negative Auswirkungen auf Flora und Fauna könne man nicht ausschließen. Wenn man die Windkraft ausbauen wolle, müsse man solche Beeinträchtigungen allerdings in Kauf nehmen, erklärt Kiwitt.
Werden in allen Vorranggebieten Windräder gebaut?
Das ist unwahrscheinlich. Ob auf einer Fläche Windräder gebaut werden und, wenn ja, wie viele, hängt davon ab, ob sich ein Investor findet. Thomas Kiwitt betont, dass der VRS bisher keine Berechnung zur Wirtschaftlichkeit an den einzelnen Standorten durchgeführt hat. Auch die Grundstückseigentümer müssen mitspielen: Eine Enteignung sei für den Bau von Windrädern nicht möglich, betont der VRS. Außerdem muss jedes einzelne Projekt noch ein Genehmigungsverfahren durchlaufen, bei dem Themen wie Lärmschutz und Artenschutz noch einmal genau geprüft werden.
Was passiert, wenn die Region keine Vorranggebiete ausweist?
Bestimmt eine Region keine oder zu wenige Vorranggebiete, tritt die sogenannte „Superprivilegierung“ in Kraft. Windräder dürfen dann überall gebaut werden, wo dies nicht ausdrücklich untersagt ist. Vor Ort gäbe es dann keine Steuerungsmöglichkeiten mehr. „Das kann eigentlich niemand wollen“, sagt Kiwitt.
Was sagen die Kommunen?
Bis zum 2. Februar haben alle 179 Städte und Gemeinden im VRS die Möglichkeit, sich zu dem Planentwurf zu äußern. Das Thema wird in den kommenden Wochen viele Gemeinderäte beschäftigen. „Wir können uns dem Thema Windkraft nicht verschließen, aber es muss möglichst verträglich sein“, sagt der Murrhardter Bürgermeister Armin Mößner und fordert: „Der Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald darf nicht zur Spargellandschaft werden.“ Mößner hofft, dass noch einige Gebiete aus dem Regionalplan herausgenommen werden. Möglich wäre das, denn im aktuellen Entwurf sind 2,6 Prozent der Regionsfläche als Vorranggebiete ausgewiesen, am Ende reichen aber 1,8 Prozent.
Kann sich die Bürgerschaft äußern?
Ja, auch Bürgerinnen und Bürger dürfen zu den geplanten Vorranggebieten Stellung nehmen, und zwar unabhängig davon, ob sie persönlich davon betroffen sind oder nicht. Thomas Kiwitt rechnet mit mehreren Tausend Einwendungen, die alle beantwortet werden sollen. Windkraftgegner wie die Bürgerinitiative „Walderhalt statt Windindustrie“ machen bereits mobil. Auch bei den bisherigen Infoabenden waren die Kritiker stark vertreten. Trotzdem sei die Atmosphäre überwiegend sachlich gewesen, berichtet der Technische Direktor.
Infoabend Der Verband Region Stuttgart lädt am Montag, 11. Dezember, ab 19 Uhr zu einer Informationsveranstaltung zum Thema Windkraft ins Backnanger Bürgerhaus ein. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.