Historischer Mordfall um Backnanger zeigt, „wie tief ein Mensch sinken kann“
Ein Backnanger verübte 1828 in Ludwigsburg einen Raubmord an einem Geschäftsmann – offenkundig aus Geldgier. Die fürchterliche Bluttat wurde damals genau dokumentiert. Carsten Kottmann hat den historischen Kriminalfall für das neue Backnanger Jahrbuch rekonstruiert.
Von Armin Fechter
Backnang. Carsten Kottmann schreibt seit vielen Jahren regelmäßig im Backnanger Jahrbuch und hält auch Vorträge, etwa beim Altstadtstammtisch. Dabei befasst sich der Historiker, der in Backnang aufgewachsen ist und am Tausgymnasium sein Abitur gemacht hat, vorzugsweise mit Fragen aus dem Bereich der Kulturgeschichte. Seine Themen findet er im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, also ganz grob zwischen dem 14. und dem 18./19. Jahrhundert. Besonders angetan haben es ihm Fragestellungen mit Bildungsbezug. So hat er auch schon in seiner Doktorarbeit in Tübingen über deutsche Bibelübersetzungen aus der Zeit vor Luther geschrieben.
Und dann kommt er mit einem Mordfall daher? Kottmann, der in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart arbeitet, muss schmunzeln: Er sei eigentlich durch Zufall auf diese Geschichte gestoßen, erklärt er. Bei einer Suchabfrage im Katalog der Bibliothek habe er sich vertippt – und da tauchte das zentrale Dokument des Kriminalfalls auf: der amtliche Bericht über den Tathergang und die Hintergründe. Offizieller Titel des 1829 gedruckten achtseitigen Werks: „Kurze aktenmäßige Beschreibung des von Christian Wilhelm Stölzel von Backnang, den 12. October 1828 an dem Israeliten Jonas Gutmann von Ludwigsburg begangenen Raubmord-Verbrechens“. Kottmann wurde sofort aufmerksam. Aus der Signatur konnte er erkennen, dass das Exemplar des Reports erst relativ spät in die Bibliothek gekommen ist, nämlich 1982. Es wurde wohl, wie er erläutert, erworben, um die Bestände zu ergänzen, die zu einem großen Teil im Zweiten Weltkrieg bei einem Brand nach einem schweren Luftangriff 1944 zerstört worden waren.
Schon als junger Mensch erwies sich Stölzel als Tunichtgut, als Enfant terrible, als einer, der ständig aneckte.
Ausgehend von der amtlichen Akte recherchierte Kottmann weiter. Insbesondere suchte er nach den Spuren der Beteiligten – des Täters und des Opfers. So fand er heraus, dass Stölzel, geboren am 26. November 1803 in Backnang, ein ziemlich unstetes Leben geführt hatte. Seine Mutter starb schon 1811, sein Vater, ein Knopfmacher, nur zwei Jahre später. Davor hatte dieser erneut geheiratet, die zweite Ehefrau war die Schwester der ersten. Der junge Stölzel blieb dann zunächst einige Jahre bei der Stiefmutter in Backnang, wo er sogar die lateinische Schule besuchte. Nach der Konfirmation 1816 kam er zu einem Seifensieder in Stuttgart in die Lehre.
Schon als junger Mensch erwies sich Stölzel als Tunichtgut, als Enfant terrible, als einer, der ständig aneckte, wie Kottmann sagt. Wegen einer ganzen Reihe von Diebstählen, die der Jugendliche in der Seifensiederei begangen hatte, wurde er schließlich aktenkundig: 1820 verurteilte ihn der Königliche Gerichtshof in Esslingen zu einer fünfmonatigen Festungsarbeitsstrafe. Danach verdingte sich Stölzel zunächst als Geselle in Marbach, ging dann aber 1822 auf Wanderschaft durch Süddeutschland, Österreich und Preußen, ehe er in Calw wieder eine Stelle antrat. Doch nur für kurze Zeit, denn 1823 ließ er sich vom französischen Regiment Hohenlohe anwerben, einem Vorläufer der späteren Fremdenlegion – aus Abenteuerlust, wie Kottmann vermutet. Disziplin und Unterordnung waren aber wohl nicht Stölzels Ding, jedenfalls nutzte er auf einem Marsch nach Cherbourg eine Gelegenheit, um zu desertieren. Mit einem gefälschten Pass kehrte er über Paris nach Süddeutschland zurück und nahm in Rastatt eine Stelle an. Dort wurde er 1824 eingezogen und einem Infanterieregiment in Ludwigsburg zugeteilt. Anscheinend bewährte er sich dabei zunächst, denn er rückte 1826 zum Rottenmeister auf und befehligte nun eine kleine Gruppe Soldaten. Aber erneut holte ihn sein „leichtsinniger und unehrlicher Lebenswandel“, wie es in der amtlichen Akte heißt, ein. Unter anderem stahl er einem Vorgesetzten eine wertvolle Uhr und eine goldene Kette. Nachdem er wegen dienstlicher Verfehlungen wiederholt Arreststrafen aufgebrummt bekommen hatte, wurde Stölzel im Oktober 1828 schließlich zum Gemeinen, also zum einfachen Soldaten ohne Rang, degradiert.
Während sich Gutmann ans Schreibpult setzte, zog Stölzel seinen Säbel, streckte das Opfer nieder.
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Nur wenige Tage darauf kam es zu der fürchterlichen Bluttat. Stölzel suchte den im Gasthof Lamm in der einstigen Metzgerstraße (heute Kaffeeberg) residierenden Geschäftsmann auf. Angeblich wollte er von ihm eine schriftliche Bestätigung über die Schulden einholen, die er bei ihm hatte; dieses Papier wollte er dann seinem Vormund in Backnang vorlegen, um von ihm eine entsprechende Auszahlung zu erlangen. Während sich Gutmann nun ans Schreibpult setzte, zog Stölzel seinen Säbel, streckte das Opfer nieder und fügte ihm zahlreiche Hieb- und Stichwunden zu.
Der Getroffene blieb schließlich in seinem Blut liegen. Der Mörder raffte eilig einige Wertsachen zusammen und flüchtete vom Tatort. Einige Stunden später kehrte er aber nochmals zurück, um weitere Beute zu holen.
Nachdem die Tat entdeckt war, mischte sich Stölzel unter die Neugierigen und versuchte, die Aufmerksamkeit der Ermittler auf eine andere Spur zu lenken. Doch der 24-Jährige wurde bald überführt und angeklagt. Das Gericht verhängte gegen ihn die Todesstrafe. Nun hätte ihn nur noch ein Gnadenakt des Königs retten können. Doch Wilhelm I. sah dazu keinerlei Veranlassung. Am 16. Mai 1829 wurde Stölzel hingerichtet – als „ein furchtbares Beispiel, wie tief der Mensch sinken kann, welcher weder der warnenden Stimme seines Gewissens ein williges Ohr leiht, noch sich durch die strafende Hand der Obrigkeit zur Umkehr auf der Bahn des Lasters bestimmen läßt, vielmehr sich einem zügellosen Leichtsinne hingebend zu Verbrechen und Thaten fortschreitet, welche nur durch den Ausschluß des Verbrechers aus der menschlichen Gesellschaft gebüßt werden können“.
Der Fall erregte weit über Württemberg hinaus große Aufmerksamkeit, wie Kottmann mit einigem Staunen anmerkt: Die zeitgenössische Presse in Süddeutschland bis hin nach Regensburg berichtete über das Geschehen. Sogar die in Berlin erscheinende „Zeitung für die elegante Welt“ griff das Thema auf – offenbar unter Nutzung von Quellen, die über die Befunde aus der amtlichen Akte hinausgehen. So will das Blatt erfahren haben, dass Stölzel sein blutverschmutztes Hemd noch im Zimmer des Ermordeten ausgezogen und gegen ein vorgefundenes neues getauscht habe.
Kottmann hält bei alledem fest, dass Antisemitismus als Tatmotiv offenkundig ausschied: Nicht Judenhass, sondern ausschließlich Gier habe dem Kapitalverbrechen zugrunde gelegen.
Backnanger Jahrbuch Der komplette Beitrag von Carsten Kottmann ist im Backnanger Jahrbuch 2023, Band 31, zu lesen (erhältlich im Buchhandel sowie bei der Backnanger Kreiszeitung in der Postgasse 7 in Backnang).