Hoffnung auf neuen Volksentscheid

Betroffene aus der Region wappnen sich für den möglichen ungeordneten Brexit – Ablehnung des Abkommens überrascht nicht

Das britische Parlament hat das Brexit-Abkommen abgelehnt – eine Entwicklung, die auch im Rems-Murr-Kreis Auswirkungen hat. Unternehmen mit Beziehungen nach Großbritannien müssen sich auf alle Eventualitäten vorbereiten und auch die Städtepartnerschaft Backnang/Chelmsford sieht mögliche Hürden auf sich zukommen.

Die rote Telefonzelle ist ein Stück Heimat am Obstmarkt: Der gebürtige Engländer David Whitehead hat inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Da er nicht wisse, wie es weitergeht, habe er sich abgesichert, sagt der Backnanger. Archivfoto: E. Layher

© Edgar Layher

Die rote Telefonzelle ist ein Stück Heimat am Obstmarkt: Der gebürtige Engländer David Whitehead hat inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Da er nicht wisse, wie es weitergeht, habe er sich abgesichert, sagt der Backnanger. Archivfoto: E. Layher

Von Lorena Greppo

BACKNANG. Unerwartet kam die Entscheidung nicht, höchstens in ihrer Deutlichkeit war die Ablehnung des Brexit-Deals im britischen Parlament überraschend, sagt David Whitehead, Zweiter Vorsitzender des Partnerschaftsvereins Backnang/Chelmsford. Seine Haltung zum Thema hat Whitehead schon früh deutlich gemacht: „Den Brexit halte ich für einen Schmarrn.“ Zu schaffen mache vielen Briten in Deutschland die Unsicherheit, wie es weitergeht – und das schon seit Jahren. Der seit 2004 in Backnang lebende Whitehead hat inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. „Alle anderen Briten, die ich hier kenne, haben es genauso gemacht. Einfach um sich abzusichern“, erklärt er. Die Unsicherheit in Bezug darauf, wie die Einreiseregelungen künftig sein werden, sei schon so weit gediehen, dass er im Sommer anstatt eines Heimaturlaubs nun eine Reise in die Toskana gebucht habe, erzählt der Backnanger.

Eine kuriose Entwicklung hat sich derweil im Partnerschaftsverein abgespielt: „Das Interesse an der Partnerschaft Chelmsford/Backnang ist enorm gestiegen“, berichtet Whitehead – und zwar auf beiden Seiten. All jene Chelmsforder, mit denen er in Kontakt ist, hätten genug von den Streitereien auf politischer Ebene und wünschten sich eine Abkehr von den Plänen, die EU zu verlassen. Ein ungeordneter Brexit würde auch die Arbeit des Vereins erschweren. Denn ohne ein entsprechendes Abkommen könnten auf Reisende Schwierigkeiten bei Ein- und Ausreise zukommen, die Waren aus den Partnerstädten, die beispielsweise auf Weihnachtsmärkten oder Ähnlichem angeboten werden, werden dann womöglich mit Zöllen belegt. „Wir wollen weitermachen, aber uns muss auch klar sein, dass durch einen Brexit ohne Zollunion alles schwieriger wird.“

„So weit hätte es gar nie kommen dürfen“

Dass es aber so weit kommt, sei noch gar nicht sicher, so Whitehead. Er tippe darauf, dass es in Großbritannien einen zweiten Volksentscheid geben wird – mit anderem Ausgang. „Die jungen Leute sind fast ausschließlich für den Verbleib in der EU“, weiß der Backnanger. Er selbst bezieht zu dieser Möglichkeit auch klar Stellung: „Der Brexit steht auf der Kippe und das begrüße ich ausdrücklich. So weit hätte es gar nie kommen dürfen.“ Ähnlich sieht auch der Backnanger SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Lange die Lage. „Nur ein neues Referendum kann das Vereinigte Königreich aus der Sackgasse führen“, sagt er. Dass Großbritannien die EU ohne Abkommen verlassen könnte, bezeichnet er als „schlechtesten aller Fälle“. Gleichzeitig lehnt Lange aber auch Nachverhandlungen ab, denn eine bessere und fairere Vereinbarung werde man nicht erzielen können. „Der ungeordnete Brexit wird viele, noch nicht im Detail vorhersagbare Folgen für die europäische und deutsche Wirtschaft haben. Insbesondere Baden-Württemberg, mit seinen starken mittelständischen Unternehmen, steht vor enormen Herausforderungen“, räumt der Politiker ein.

IHK-Bezirkskammerpräsident Claus Paal ist weniger optimistisch, was eine Abwendung vom Brexit angeht: „Die Chance erachte ich als minimal.“ Ihm sei schon von mehreren im Rems-Murr-Kreis ansässigen Unternehmen zu Ohren gekommen, dass Großkonzerne, die von jenen Betrieben Waren beziehen, ihre Produktion vermehrt anderswo als in Großbritannien abwickeln – ein Zeichen dafür, dass sie sich auf den Brexit vorbereiten. „Wir haben daher noch keine großen Einbußen festgestellt“, erklärt Paal. Auch gebe es bisher vonseiten der Betriebe wenig konkreten Beratungsbedarf in Hinblick auf den Brexit. „Wir informieren in unserem Newsletter regelmäßig über den neusten Stand der Verhandlungen“, sagt Paal. Die meisten Firmen wüssten aber, wie das Geschäft auch unter veränderten Rahmenbedingungen abgewickelt werde.

„Das Geschäft wird weitergehen“

Ein Unternehmen, das viele Beziehungen nach Großbritannien pflegt, ist beispielsweise Harro Höfliger Verpackungsmaschinen aus Allmersbach im Tal. Markus Höfliger, der Aufsichtsratsvorsitzende des Familienunternehmens, bezeichnet die Entwicklungen in Großbritannien als „volkswirtschaftliches Drama“. Beim Besuch des Standorts in Woking, England, hätten sich alle Angestellten vollkommen genervt von der ganzen Thematik gezeigt. Für das Unternehmen Harro Höfliger selbst bedeute der Brexit vor allem einen bürokratischen Mehraufwand. „Unser Standort in England und die Serviceleistungen, die wir für Maschinen in Großbritannien erbringen, sind kein Thema. Das fällt unter das Inlandsgeschäft“, erklärt Höfliger. Man habe aber auch einige Kunden dort – die Ausfuhr von Produkten sowie auch die Entsendung von Mitarbeitern könne künftig schwieriger werden. Da gelte es, Ressourcen frei zu halten. Es müssten sich einige Mitarbeiter mit den neuen Vorschriften beschäftigen, das sei ein gewisser Aufwand. „Das Geschäft wird weitergehen“, ist er sich sicher. Nur die Rahmenbedingungen werden andere sein. Es könne sein, dass mancher Kunde um Aufschub für eine Lieferung bittet, weil diese künftig an einen anderen Standort geliefert werden soll. Das sei aber alles kein Drama.

Das Unternehmen habe sich rechtzeitig auf alle Eventualitäten vorbereitet. „Wir haben seit einiger Zeit einen entsprechenden Passus in unseren Verträgen drin“, erklärt der Aufsichtsratsvorsitzende. Er habe sich juristisch beraten lassen und sei zu dem Schluss gekommen, dass eine solche Entwicklung wohl unter den Begriff „höhere Gewalt“ falle. Mit erschwerenden Bedingungen kenne man sich bei Höfliger zudem aus – in den Beziehungen nach Russland habe man sich auch schon mit Wirtschaftssanktionen und Embargos beschäftigen müssen. Auch Markus Höfliger äußert die Hoffnung, dass die Briten sich zu einem neuen Referendum entschließen. Dann sieht er gute Chancen, „dass sich dieses Dilemma noch klären wird“. Solange heiße das für ihn: Abwarten und Tee trinken.

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Erstellt:
17. Januar 2019, 06:00 Uhr

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