Hospizerweiterung in Backnang muss vorerst warten
Der Backnanger Ausschuss für Technik und Umwelt verweigert die Zustimmung für eine schnelle Änderung des Bebauungsplans. Vor dem Startschuss für die Planänderung verlangen die Stadträte erst eine Infoveranstaltung für die Anwohner.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Die Hospizstiftung Rems-Murr möchte ihr stationäres Hospiz in Backnang erweitern und ein weiteres Staffelgeschoss als fünftes Stockwerk auf das bestehende Gebäude aufsetzen. Hintergrund dieses Ansinnens sind ständig steigende Anforderungen in mehreren Bereichen. Aber obwohl alle Mitglieder des Backnanger Ausschusses für Technik und Umwelt die Leistungen und die Bedeutung des Hospizes würdigten, hat die Versammlung am Donnerstagabend diesen Wunsch des Bauherrn vorerst auf Eis gelegt. Konkret heißt dies: Es gibt keine Empfehlung an den Gemeinderat, einen Aufstellungsbeschluss für eine Änderung des Bebauungsplans vorzunehmen. Das ist aber die Voraussetzung für die Aufstockung. Einstimmig votierten die Ausschussmitglieder dafür, zuerst eine Informationsveranstaltung für die Anwohner des Hospizes zu organisieren. Erst dann soll das Thema wieder im Ausschuss behandelt werden. Diese Infoveranstaltung wird nun nach den Osterferien stattfinden; einen konkreten Termin gibt es noch nicht.
Zu Beginn der Debatte hatte Stadtplanungsamtsleiter Tobias Großmann das eigentlich geplante Vorgehen der Verwaltung und das Projekt an sich erläutert. Demnach sollte der Gemeinderat nächste Woche den Aufstellungs- und Auslegungsbeschluss des Bebauungsplans im beschleunigten Verfahren beschließen. Auch eine Infoveranstaltung für die Anwohner war bereits anvisiert. Diese hätte dann jedoch während der Osterferien im Rahmen der Offenlegung des Bebauungsplans stattgefunden.
Der erhöhte Platzbedarf des Hospizes hängt laut Großmann mit neuen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen zusammen. Im vierten Stock soll ein „vorhospizliches und tageshospizliches Angebot“ eingerichtet werden. Auch benötigt das Hospiz Räume für die Weiterbildung des Personals.
Heinz Franke beantwortet Sachfragen, danach gilt er als befangen
Heinz Franke, der geschäftsführende Vorstand der Hospizstiftung, der auch SPD-Stadtrat ist, durfte anfangs zu Sachfragen noch Stellung beziehen, bevor er dann zur Debatte des Themas als Befangener vom Ratstisch abrücken musste. Er ergänzte Großmanns Begründung um den Aspekt, dass es dem Hospiz künftig gesetzlich vorgeschrieben werde, einen Arzt anzustellen, „die bisherige Kooperation mit einem Arzt reicht dem Gesetzgeber nicht mehr aus“. Für diesen Mediziner sind ebenso Räume nötig, die einst nicht vorgesehen waren.
Stadtverwaltung und Bauherr hatten mehrere Varianten geprüft, wie der erhöhte Raumbedarf gedeckt werden könnte. Denn es war klar, dass die Nachbarn über ein weiteres Stockwerk nicht begeistert sein dürften, zumal der Bebauungsplan erst im Jahr 2015 aufgestellt worden war. Geprüft wurde, ob es im Bonhoeffer-Areal mit anderen Betreibern Synergien geben könnte. Aus verschiedenen Gründen war es laut Großmann nicht möglich, mit solch einer Zusammenarbeit eine zufriedenstellende und dauerhafte Lösung zu schaffen. Auch andere Standorte in der Nähe mussten sowohl aus wirtschaftlichen Gründen als auch aufgrund fehlender planungsrechtlicher Bedingungen wieder verworfen werden.
So blieb nur die Aufstockung des erst 2019 fertiggestellten Gebäudes. Großmann war dafür: „Für uns ist die Erweiterung aufgrund der hohen gesellschaftlichen Funktion des Hospizes nachvollziehbar.“
Das nun anvisierte Dachgeschoss wurde ursprünglich so geplant, dass ein Anbau in Richtung der Wohnbebauung des Bonhoeffer-Areals reichte. Um die Beeinträchtigung der Anwohner zu minimieren, würde dieser Anbau bereits gedreht und in Richtung Karl-Krische-Straße gebaut werden.
Karl Scheib plädierte für einen Alternativstandort
Etliche Ausschussmitglieder weigerten sich, dem Beschlussvorschlag zu folgen. Karl Scheib (BfB) verwies auf die drastische Zunahme des Bedarfs und plädierte für einen Alternativstandort, „meine Idee ist, im Staigacker eine zusätzliche Etage zu belegen“. Franke wies dies zurück und erinnerte daran, dass das Hospiz 2019 mit dem Umzug von acht auf zwölf Gästezimmer gewachsen ist. „Wenn der Bedarf weiter wächst, dann müsste man eher überlegen, ob an anderer Stelle im Rems-Murr-Kreis, aber nicht in Backnang, ein zweites Hospiz gebaut werden soll. Im Raum Backnang ist der Bedarf langfristig gedeckt.“
Steffen Siggi Degler (AfD) plädierte für einen Volksentscheid. Er bezog Position für die Anwohner, von denen viele eine Wohnung gekauft und sich über die schöne Aussicht gefreut hätten. Willy Härtner (Grüne) würdigte die Leistung des Hospizes, aber er fragte sich auch, was ein Bebauungsplan eigentlich bedeutet. Laut seiner Interpretation gibt ein solcher die Regeln vor, an denen sich dann zumindest 25 Jahre lang erst einmal nichts ändert. Er stellte den Schutz der Menschen, die dort wohnen, in den Vordergrund, und erklärte: „Ich kann heute nicht zustimmen, obwohl ich die Belange des Bauträgers verstehen kann.“
Gerhard Ketterer (CDU) vermutete, dass früher einmal Fehler gemacht wurden. Er hakte nach: „Gab es zuerst den Bebauungsplan und dann die Idee, ein Hospiz an dieser Stelle zu bauen, oder war es umgekehrt?“ Auch er war der Ansicht, dass einige Anwohner bei der Zustimmung zu den Plänen deutliche Nachteile in Kauf nehmen müssten. Andererseits würdigte auch er das Hospiz, das den Bedarf von Backnang und der Umgebung gut abdeckt. „Nicht alle Städte haben so etwas. Wir können den Initiatoren nur dankbar sein.“ Ketterer beantragte, „heute keine Empfehlung über die Köpfe der Bürger hinweg auszusprechen, sondern erst den Anwohnern die Gelegenheit zu geben, sich zu informieren“.
Laut Setzer gibt es kein Recht auf unverbaubare Aussicht
Frankes Fraktionskollege Armin Dobler versuchte, die Stimmung zu drehen: „Bei jedem anderen Projekt würde es mir schwerer fallen, aber ein Hospiz ist etwas so Wichtiges für unsere Gesellschaft, dass es auch starke Argumente gibt, die Bebauung zu ändern.“ Erster Bürgermeister Stefan Setzer bestätigte, dass das Hospiz schon früh Bestandteil der Gebietskonzeption war und der Standort ideal sei. „Aber es sind zehn Jahre ins Land gezogen. Die Entwicklung in diesem Bereich ist hochdynamisch. Hätten wir damals gewusst, welche Anforderungen kommen, hätten wir das Baufeld anders geplant.“ Setzer gab Härtner recht, dass ein Bebauungsplan Vertrauen schafft, es gebe aber Beispiele, bei denen Änderungen sinnvoll sind. Etwa beim Gebiet Katharinenplaisir, wo Baugrundstücke in der einst geplanten Form nicht veräußerbar waren. „Dort wurde relativ schnell nachgesteuert. Das ist auch ihr gutes Recht und sogar ihre Pflicht.“ Laut Setzer gibt es kein Recht auf unverbaubare Aussicht. „Bloß weil die Aussicht eingeschränkt wird, heißt das nicht, das Vorhaben ist unzulässig.“ Härtner blieb hart. Er verwies auf andere Projekte in der Nachbarschaft: „Dann wollen die auch aufstocken. Ich sehe die Gefahr eines Dammbruchs.“ Dobler nahm einen letzten Anlauf. Er erinnerte an die Tendenz zur Vereinsamung wegen fehlender familiärer Strukturen: „Die Menschen sind allein in dieser Situation. All dies fängt das Hospiz in wunderbarer Weise auf. Es macht schon einen Unterschied, ob wir über ein Bürogebäude reden oder über ein Hospiz, das eine ausgeprägte Allgemeinwohlorientierung hat.“ Es nützte nichts. Einstimmig wurde Gerhard Ketterers Antrag angenommen.
Von Matthias Nothstein
So hatte sich das Heinz Franke nicht vorgestellt. Die Änderung des Bebauungsplans wurde im Ausschuss nicht wie erhofft zum Selbstläufer. Vielmehr regte sich im Gremium Widerstand auf breiter Front gegen das geplante Vorgehen. Und das beim Thema Hospiz. Bei einer Institution also, die unstrittig von allen als wichtig und segensreich angesehen wird.
Aber trotz dieser hehren Funktion gilt, dass sich ein Bauherr nicht jede Freiheit herausnehmen kann. Der gute Zweck heiligt nicht alle Mittel. Und es grenzt schon ein wenig an Unverschämtheit, wie sehr in diesem Fall die Grenzen der Erlaubten und des Machbaren ausgelotet werden. Ursprünglich war das Hospiz als dreistöckiges Haus geplant. Dann wurde während der Bauphase noch eine vierte Etage draufgesattelt. Schon damals war die Befreiung mit der hohen gesellschaftlichen Bedeutung begründet worden. Die Anwohner haben dies mehr oder weniger widerstandslos geschluckt. Dass sie sich nun wehren, sogar noch ein fünftes Stockwerk vor die Nase gesetzt zu bekommen, ist mehr als verständlich.
Die Verwaltung hat clever reagiert und mit der gedrehten Ausrichtung des geplanten Aufbaus viel Wind aus den Segeln der Gegner genommen. Jetzt gilt es, den letzten Schritt zu gehen und einen vernünftigen Kompromiss zwischen Investor und Anwohnern zu finden. Wer sich aber ein wenig auskennt mit der Gremiumsarbeit, der weiß, das fünfte Stockwerk wird kommen. Die Stadträte haben sich vor der versammelten Nachbarschaft im Gremium ein wenig gewehrt, sie wollen ja wiedergewählt werden. Jetzt ist die Entscheidung kurz verschoben. Wenn es aber zum Schwur kommt, wird der Bebauungsplan geändert, im Falle des Hospizes reizt es zu sagen: todsicher.
m.nothstein@bkz.de