Streuobstwiesen auch im Raum Backnang unter Druck

Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sind auf den Lebensraum Streuobstwiese angewiesen. Doch seit der Coronapandemie leiden die Wiesen immer mehr unter Freizeitdruck. Besonders beim Bau von Hütten oder bei Baumfällungen kommt es deshalb immer wieder zum Konflikt.

So sollte eine gut gepflegte Streuobstwiese im besten Fall aussehen: Das sogenannte Pfarrgütle, das vom Obst- und Gartenbauverein Rietenau gepachtet wird. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

So sollte eine gut gepflegte Streuobstwiese im besten Fall aussehen: Das sogenannte Pfarrgütle, das vom Obst- und Gartenbauverein Rietenau gepachtet wird. Fotos: Alexander Becher

Von Kristin Doberer

Aspach. Insekten summen um die Blüten der Streuobstbäume und der verschiedenen Wildblumen auf der Wiese, Vögel fliegen gezielt auf die Aushöhlungen in den Baumstämmen zu, um sich dort ein Nest zu bauen. Die Streuobstwiese Pfarrgütle bei Rietenau ist voller Leben. Kein Wunder, mit bis zu 5000 Tier- und Pflanzenarten gehören Streuobstwiesen zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. „Die Wiesen sind ein Hotspot für Artenvielfalt und Biodiversität“, sagt Jochen Schäufele, Leiter des Amts für Umweltschutz im Landratsamt Rems-Murr-Kreis. Viele Arten seien genau auf diese Naturlandschaft angewiesen, zum Beispiel der Wendehals oder der Halsbandschnäpper. Auch Steinkauz, Fledermäuse und viele weitere Arten haben hier ein Habitat gefunden, berichtet Schäufele. Auch der Genpool der zahlreichen verschiedenen Obstsorten sei auf diesen Wiesen besonders schützenswert.

Aus Unkenntnis nutzen die Leute ihre Streuobstwiese als Freizeitgrundstück

Aber nicht nur die Tiere und Insekten fühlen sich auf den idyllischen Streuobstwiesen wohl, seit der Coronapandemie sei auch der Freizeitdruck gestiegen. Das bedeutet, dass die Stücklesbesitzer selbst deutlich mehr Zeit auf den Wiesen verbringen, häufig verbunden mit dem Bau von Hütten, Geräteschuppen, Grillplätzen oder sonstigen Eingriffen zur Verbesserungen der Aufenthaltsqualität. Es gebe viele Leute, die eine solche Grünfläche erben oder kaufen, ohne von den engen Vorgaben in Landschaftsschutzgebieten zu wissen. „Aus Unkenntnis nutzen die Leute ihre Streuobstwiesen als Freizeitgrundstücke. Die bauen dann ein Häusle drauf oder stellen ein Trampolin hin. Sie wissen gar nicht, dass sie da nicht einfach was hinbauen dürfen“, sagt Schäufele. Da die Grundstücke sehr kleinteilig sind, könne sonst schnell eine Wiese voller Hütten entstehen. Dagegen wollen die Behörden aber entschieden vorgehen, die Baurechtsbehörde kann die Besitzer zum Rückbau zwingen. Solche Verstöße und Fällungen von Streuobstbäumen, werden dem Landratsamt häufig aus der Bevölkerung gemeldet.

Jochen Schäufele erklärt, was auf einer Streuobstwiese erlaubt ist.

© Alexander Becher

Jochen Schäufele erklärt, was auf einer Streuobstwiese erlaubt ist.

Schäufele empfiehlt deshalb: „Bevor Geld in die Hand genommen wird, sollte man sich früh mit den Behörden in Verbindung setzen, damit man weiß, was erlaubt ist und was nicht. Dann kann man Lösungen finden.“ Damit bezieht er sich besonders auf den Bestandsschutz von bereits bestehenden Hütten. Werden diese nämlich abgerissen, um sie zu erneuern, ist das in dem Landschaftsschutzgebiet – wenn überhaupt – nicht mehr in der ursprünglichen Größe erlaubt. „Wir können aber im Voraus beraten, wie man so eine Hütte sanieren kann, ohne den Bestandsschutz zu verlieren.“ Immer wieder komme es nämlich vor, dass Besitzer hier eigenmächtig handeln – und dann kein Verständnis haben, wenn die Naturschutz- oder Baurechtsbehörde einen Rückbau fordert, auch wenn die Behörden aufgrund des Naturschutzgesetzes (siehe Infotext) nur wenig Spielraum haben. Der Naturschutz werde in den Augen der Besitzer plötzlich ein Hinderungsgrund. „Das ist schade, denn für die Streuobstwiesen sind gerade die Leute besonders wichtig, die die Pflege hobbymäßig machen“, sagt Schäufele.

Die Obstpreise sind niedrig, die Pflege ist aufwendig

Denn für die landwirtschaftliche Nutzung lohnt sich der Aufwand in Relation zum wirtschaftlichen Ertrag kaum noch. Die Obstpreise sind niedrig, die Pflege ist aufwendig. Damit die Streuobstwiesen weiterhin eine Heimat für viele Arten bieten können, muss einiges an Arbeit in sie gesteckt werden. Denn die Wiesen sind in ihrer jetzigen Form erst durch die Bewirtschaftung durch den Menschen entstanden. Überlässt man sie sich selbst, verändern sie sich in wenigen Jahren: Die Streuobstbäume sterben ohne einen regelmäßigen Schnitt, besonders seit der extremen Ausbreitung der Misteln, die artenreiche Wiese verbuscht, der Lebensraum gewisser Tierarten verschwindet. Selbst Baumschnitt-Förderprogramme oder Biozertifizierungen, durch die Streuobst attraktiver werden soll, seien sehr aufwendig zu beantragen, sagt Michael Stuber, Leiter des Landwirtschaftsamtes. „Aus wirtschaftlicher Sicht ist eine Streuobstwiese nicht attraktiv, aus Naturschutzgründen ist sie aber umso wichtiger.“

Gesetz zur Erhaltung von Streuobstbeständen – Was ist erlaubt?

Naturschutzgesetz Seit Sommer vergangenen Jahres regelt der Paragraf 33a des Naturschutzgesetzes, dass Streuobstwiesen in Baden-Württemberg erhalten werden müssen. Eine Umnutzung des Fläche ist nur unter bestimmten Bedingungen und mit einer Genehmigung erlaubt.

Geschirrhütten In Landschaftsschutzgebieten wie den Streuobstwiesen brauchen Besitzer grundsätzlich eine Erlaubnis für alle Baumaßnahmen. Das gilt auch für Geschirrhütten, diese dürfen selbst mit Erlaubnis maximal 15 Kubikmeter umbautem Raum umfassen.

Bestandsschutz Vorsicht geboten ist beim Bestandsschutz. Gibt es bereits Hütten auf der Wiese, die größer sind, sind diese nur bei Teilsanierungen vom Bestandsschutz geschützt. Bei größeren Eingriffen oder einem Abriss und Neubau, kann die Behörde auch hier einen Rückbau fordern.

Baumfällungen Werden Streuobstbäume gefällt, zum Beispiel weil sie aufgrund ihres Alters nicht mehr so ertragreich sind, müssen diese durch die Pflanzung eines neuen Baums ersetzt werden. Der Tipp des Experten: „Je älter der Baum, desto besser ist er für den Artenschutz“, sagt Schäufele. Denn erst im Alter bilden sich die Höhlen, in denen Vögel nisten. Aber auch tote Bäume könne man stehen lassen, da diese den Insekten einen Lebensraum bieten. „Man kann aber einen neuen Baum schon daneben pflanzen.“

Erdauffüllungen Abgrabungen und Erdauffüllungen, zum Beispiel für eine Terrassenfläche, haben laut Schäufele auf einer Streuobstwiese nichts zu suchen. In diesen Schutzgebieten können Geländeveränderungen grundsätzlich unzulässig sein, da sie das Biotop zerstören würden.

Zum Artikel

Erstellt:
20. April 2023, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen