„Ich entscheide, was in meinem Perso steht“

Das Geschlecht zu ändern, welches in den eigenen Ausweispapieren steht, könnte für Transmenschen schon bald leichter sein. Bislang stehen den Betroffenen teure, aufwendige und psychologisch fragwürdige Verfahren im Weg. Und auch für nicht-binäre Personen soll dies dann möglich sein. Zwei Backnanger erklären, was das für sie bedeutet.

Die Backnanger Plio (links) und Rayn können das geplante Selbstbestimmungsgesetz kaum abwarten. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Die Backnanger Plio (links) und Rayn können das geplante Selbstbestimmungsgesetz kaum abwarten. Foto: J. Fiedler

Von Anja La Roche

Backnang. „Es gab schon immer Transgeschlechtlichkeit“, sagt Plio aus Backnang. „Aber so wie es aktuell ist, wird einem die Identität abgesprochen.“ Plios Haare leuchten knallig pink und türkisblau in der Sonne. Die Haare bedeuten auch: Der Mensch muss nicht leise sein oder sich verstecken, nur weil er zu sich selbst steht. Und das tun beide Backnanger, sowohl Plio (20), deren Geschlechtsidentität nicht-binär ist, das heißt, sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnet, als auch Rayn (19), der transgeschlechtlich ist. Sein biologisches Geschlecht ist weiblich, seine geschlechtliche Identität allerdings männlich. Die Schüler wissen eloquent und selbstbewusst mit ihrer Geschlechtlichkeit umzugehen. In ihrem Personalausweis steht allerdings nach wie vor ihr alter Name und ihr bei der Geburt festgeschriebenes Geschlecht. Jetzt hoffen sie, wie auch zahlreiche andere Betroffene, nicht länger vom aktuellen Gesetz diskriminiert zu werden.

Dass es Transgeschlechtlichkeit gibt, wurde erst 1978 vom Bundesverfassungsgericht anerkannt. Das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) war im Jahr 1980 zwar ein Fortschritt, doch beinhaltete es noch viele diskriminierende Vorschriften. Und das tut es heute noch: Zum einen ist das Verfahren, mit welchem man seinen Namen und sein Geschlecht in seinen offiziellen Dokumenten ändern kann, aufwendig und für viele Betroffene entwürdigend. Zum anderen werden nicht-binäre Personen nach wie vor nicht vom Gesetz berücksichtigt; es ist ihnen nicht möglich ihr Geschlecht als neutral eintragen zu lassen. Die Bundesregierung möchte daher das TSG abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause sollen die Eckpunkte stehen, teilt der Queer-Beauftragte Sven Lehmann (Grüne) mit.

Nur der Mensch selbst kann seine Geschlechtsidentität erkennen

Seit 2014 gibt es eine interministerielle Arbeitsgruppe des Bundesfamilienministeriums zur Situation von inter- und transgeschlechtlichen Personen. Diese beauftragte die Humboldt-Universität in Berlin mit einem Gutachten zu der Sachlage. Darin wurde abermals klar, dass das Transsexuellengesetz diskriminierend ist und nicht den aktuellen Wissensstand über die vielfältigen Geschlechter widerspiegelt, welche die Natur nun einmal zu bieten hat. „Mittlerweile ist anerkannt, dass nur der Mensch selbst seine Geschlechtsidentität kennt“, so die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig im Vorwort des Gutachtens. „Es gibt nicht nur zwei klar voneinander abgegrenzte Geschlechter, sondern ein breites Spektrum von Identitäten.“

Plio und Rayn würden mit dem Selbstbestimmungsgesetz um eine Last leichter. Die zwei Freunde haben sich vergangenes Jahr im Rems-Queer-Kreis kennengelernt, eine Jugendgruppe für Menschen, die sich zum Beispiel nicht in der binären Einteilung in weiblich und männlich wiederfinden. Auch Jugendliche, die nicht heterosexuell sind, können in der Gruppe einen Ort des Austauschs finden (wir berichteten).

Bei Kontrollen kommt es für trans und intergeschlechtliche Personen oft zu erniedrigenden Erfahrungen. Foto: Stiefi/Adobe Stock

© Stiefi - stock.adobe.com

Bei Kontrollen kommt es für trans und intergeschlechtliche Personen oft zu erniedrigenden Erfahrungen. Foto: Stiefi/Adobe Stock

Rayn merkte früh, dass sein biologisches Geschlecht nicht zu seiner Identität passte. Selbstzweifel bis hin zu selbstverletzenden Gedanken plagten ihn als Teenager. „Ich habe mir gewünscht, Brustkrebs zu bekommen“, erzählt er. Einfach hat er es auch heute nicht, zum Beispiel will seine Familie ihn nicht als Transmann anerkennen. Doch kann er jetzt sagen, dass es ihm besser geht – auch mit Hilfe des Rems-Queer-Kreises und des Jugendzentrums in Backnang.

Wären da nicht die tagtäglichen Hürden, die ihm vom deutschen Gesetz in den Weg gelegt werden. „Es ist eine Menge Warten, und ich hasse es“, beschreibt Rayn seine aktuelle Situation. Zum Beispiel muss er, um eine Hormonbehandlung zu bekommen, einen psychologischen Überweisungsschein vorweisen können. Um eine Überweisung zu erhalten, benötigt er allerdings einen Termin für die Hormonbehandlung. Eine bürokratische Sackgasse und eine frustrierende Mehrbelastung für den 19-Jährigen.

Um seinen Personenstand im Personalausweis zu ändern und eine geschlechtsangleichende Operation durchführen zu können, hat Rayn bereits die zwei erforderlichen psychologischen Gutachten erhalten. Entwürdigende Erfahrungen habe er dabei nicht gemacht. „Ich hatte Glück, weil der Psychiater auf Transmenschen spezialisiert war“, sagt Rayn. Es hapert bei ihm allerdings bislang am Geld, um seinen amtlichen Personenstand zu ändern. Denn für den Verwaltungsakt müssen Transmenschen um die 2 000 Euro hinblättern.

Für Plio als nicht-binäre Person ist die aktuelle Gesetzeslage noch aussichtsloser. Das bedeutet für die beiden, sich tagtäglich erklären und behaupten zu müssen. „Man realisiert nicht, wie oft man im Alltag den Name zeigen muss. Das ist jedes Mal entwürdigend“, beschreibt Rayn das Gefühl. Hinzu komme, dass man sich vor Lehrern, Mitschülern und Co. jedes Mal erklären muss, doch bitte als derjenige anerkannt und angesprochen zu werden, der man ist. Das TSG reißt dadurch täglich Wunden bei den Betroffenen auf. „Ich bin ein erwachsener Mensch, ich will selbst entscheiden können, was in meinem Perso steht“, sagt Plio. Aktuell steht der selbst gewählte und geschlechtsneutrale Name von Plio nur in einem sogenannten Ergänzungsausweis. Diesen können sich betroffene Menschen von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität ausstellen lassen.

Es kommt auch Kritik zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz

Ob und wie das Selbstbestimmungsgesetz von der Ampelkoalition umgesetzt wird, steht noch aus. In der vergangenen Legislaturperiode lehnte der Bundestag einen Gesetzesentwurf der Grünen ab. Kritisiert wird vor allem, dass es bereits im Alter von 14 Jahren möglich sein soll, seinen amtlichen Personenstand ohne Zustimmung der Eltern zu ändern. Für Aufruhr sorgte kürzlich eine Streitschrift der Feministin Alice Schwarzer. Sie sieht junge Mädchen gefährdet, ihrer Rolle als Frau entfliehen zu wollen und sich fälschlicherweise für ein anderes Geschlecht zu entscheiden. Rayn und Plio verstehen diese Überlegung, entkräften sie aber sogleich schlagfertig. „Weil es für Transmenschen so viel einfacher ist“, sagt Rayn ironisch. Es bestehe eine extrem hohe Suizidrate unter Transpersonen, insbesondere, wenn sie nicht von der Familie anerkannt werden. Zeige sich da dennoch ein Problem, so helfe nur eines: Aufklärung. „Es muss einfach viel mehr über dieses Thema gesprochen werden“, sagt Plio.

Den Personalausweis ändern zu können, darauf freut Plio sich schon enorm. Und Rayn weiß auch schon, was an dem ersehnten Tag ansteht: Er wird in eine Bar gehen, einen Drink bestellen und auf Nachfrage stolz seinen Ausweis zeigen. „Ich wär sauglücklich.“

Ein reformbedürftiges Gesetz

Verfassungswidrig Das Gutachten der Humboldt-Universität aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Schluss, dass das aktuell geltende Transsexuellengesetz (TSG) in mehrfacher Hinsicht gegen Grundrechte und internationale Menschenrechtsübereinkommen verstößt. Die im Transsexuellengesetz festgeschriebenen Verfahren zu Namensänderungen seien verfassungswidrig.

Begrifflichkeiten Auch der Name des TSG ist veraltet. Inwiefern der Begriff „transsexuell“ nicht mehr zeitgemäß beziehungsweise zu eng gefasst ist, wird ebenfalls im Gutachten analysiert. Der Begriff basiert auf einer medizinisch-diagnostischen Vorstellung von Transsexualität als psychischer Erkrankung, die nach den aktuellen Erkenntnissen der Sexualforschung nicht mehr zu vertreten ist. Er kann zudem fälschlicherweise zu der Annahme führen, dass es bei der Geschlechtlichkeit automatisch auch um Körperlichkeiten oder Sexualität geht.

Zum Artikel

Erstellt:
21. April 2022, 11:30 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen