Im Kindergarten ist der Krieg kaum präsent
Das Kriegsgeschehen in der Ukraine ist in den Medien und in Erwachsenengesprächen allgegenwärtig. Für Kinder im Kindergartenalter bleibt es aber etwas Fernes, wie eine Umfrage bei Kindertagesstätten im Backnanger Raum ergeben hat.

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Krieg in der Ukraine: Im Kindergarten spielt dieses Thema im Alltag eine untergeordnete Rolle. Foto: stock.adobe.com/Daria Antipina
Von Nicola Scharpf
Rems-Murr. Fotos und Filmaufnahmen vom Krieg in der Ukraine sind auch für Kinder allgegenwärtig geworden. Und nicht nur das: Viele bekommen Gespräche der Eltern oder anderer Erwachsener über den Krieg mit, manche haben in Kindergarten oder Nachbarschaft Berührungspunkte mit geflüchteten Familien aus der Ukraine, die ihr Zuhause verloren haben. Von daher ist das Thema Krieg zwar längst im Alltag der Kinder angekommen, aber es beschäftigt sie in unterschiedlichem Ausmaß – so der Tenor unter Verantwortlichen im Kindertagesstättenbereich im Backnanger Raum.
Etliche Einrichtungsleiterinnen berichten, dass die Kinder von sich aus bislang nicht auf das Gesprächsthema Krieg gekommen seien und auch noch keine Fragen gestellt hätten. Aus Gesprächen mit Eltern hätten sie erfahren, dass in manchen Familien die Kinder zu Hause bewusst von diesem Thema ferngehalten werden.
Andere pädagogische Fachkräfte wiederum haben festgestellt, dass Kinder kurz nach Kriegsausbruch vereinzelt Fragen zum Krieg hatten oder sich auf andere Weise mit dem Geschehen auseinandergesetzt haben. Ein Kind beispielsweise hat zu Hause eine bewaffnete Giraffe gemalt und sie als Friedensgiraffe bezeichnet. „Sie kriegen es aus den Medien mit, bekommen Gesprächsfetzen von den Eltern mit und es schlägt sich dann in ihren Äußerungen nieder, zum Beispiel dass Putin böse ist“, sagt etwa Ingeborg Kaufmann, die den Kindergarten Kunterbunt in Althütte leitet. „Wir Erzieherinnen greifen das Thema dann auf, weil es die Kinder beschäftigt. Gesprächsthema ist der Krieg schon, aber er ist etwas Fernes.“
Kindergarten startet Spendenaktion für geflüchtete Großeltern eines Kindes
Das bleibt er offenbar auch dann noch, wenn es Hilfsaktionen für Betroffene gibt: Der Auenwalder Kindergarten Brückenweg beispielsweise hat kurz nach Ostern eine Spendenaktion ins Leben gerufen, die die Menschen in jenem stark zerstörten ukrainischen Dorf unterstützen wollte, aus dem die Großeltern eines Kindergartenkindes zu ihren Verwandten nach Auenwald geflohen waren. Für die Großeltern wurden auch Möbelspenden gesammelt. „Wir haben das mit den Kindern besprochen“, sagt Kindergartenleiterin Sandra Wöhrle. „Was ist ein Krieg? Was passiert da? Warum mussten viele ihre Heimatdörfer und Häuser verlassen?“ Darüber hinaus habe das Kriegsthema im Kindergartenalltag bislang aber „kaum Auswirkungen“ gehabt, so Wöhrle.
Selbst in jenen Kindertagesstätten, in denen geflüchtete Kinder die Gruppen besuchen, ist das Geschehen in der Ukraine nicht ständig präsent. In einzelnen Kitas gibt es Kinder mit Fluchthintergrund, sagt Sabine Wüllenweber, die als Leiterin des Amtes für Familie, Jugend und Bildung die Verantwortung für die Backnanger Kindertagesstätten in kommunaler Trägerschaft hat. Überwiegend würden die Kinder allerdings nicht aus der Ukraine kommen.
Die Aufnahme geflüchteter Kinder in die Gruppen erfolge wie bei allen anderen Kindern auch. Es gebe zum Beispiel Besuchstage für die neuen Kinder. Danach werde mit der Gruppe besprochen, wie das Besuchskind geheißen habe, was es gerne gespielt habe und mehr. So bereite sich die Gruppe gemeinsam darauf vor, ein Kind in der Kita willkommen zu heißen.
Eine stichpunkthafte Erhebung bei den städtischen Einrichtungen habe ergeben, dass es nur vereinzelt Fragen der Kinder zum Krieg gebe – zum Beispiel: „Wo ist die Ukraine?“ Fragen der Kinder würden in Gesprächsrunden aufgenommen und beantwortet, aber das Thema werde ihnen nicht aufgedrängt. In einem Fall hätten Kinder zu Hause in den Nachrichten Maschinengewehre und Panzer gesehen, hätten davon in der Kita erzählt und die Waffen auch nachgebaut. Die Kinder hätten die Thematik im angeleiteten Rollenspiel verarbeitet. Bei den Großen, den Vorschulkindern, gehe es schon mal um das Kräftemessen und die Frage: „Wer ist der Stärkere?“ Das habe aber in diesem Alter, insbesondere bei den Jungs, schon immer eine Rolle gespielt. Das Backnanger Fachpersonal in den Kitas erhalte vom Träger Informationsmaterialien, zum Beispiel zum Thema: „Wie sollen wir mit Kindern über Krieg sprechen?“
Wie können geflüchtete Kinder psychologisch unterstützt werden?
Die Aufnahme von Kindern aus der Ukraine ist laut Wüllenweber auch Thema bei der Leitungsbesprechung im Juni. Flankierend gebe es Fortbildungsangebote zu diesem Thema, worauf der Träger regelmäßig hinweise. Experte Gerhard Schell (siehe Infokasten) beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie Erziehende, Helfer oder Erwachsene im Allgemeinen geflüchtete Kinder aus der Ukraine aus psychologischer Sicht unterstützen können: „Flüchtlingskinder haben andere Ängste als Kinder hier. Bindungsängste, die durch Verluste entstanden sind, können ein Leben lang anhalten. Die Flüchtlingskinder spüren ein permanentes Gefühl der Unsicherheit und Angst. Erwachsene müssen das Gefühl der Sicherheit vermitteln.“ Er sieht die Notwendigkeit, geflüchteten Kindern sofort Sprachunterricht anzubieten, damit die Integration bei Gleichaltrigen besser funktioniert. „Normale Dinge des sozialen Umgangs helfen diesen Kindern. Dazu zählt die Schule genauso wie der Spielplatz.“
Experte Gerhard Schell ist seit 2016 ärztlicher Direktor der privaten Akutklinik Bad Saulgau. Er ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychoanalytiker. Die Akutklinik Bad Saulgau behandelt schwerpunktmäßig Stresserkrankungen wie körperliche Erschöpfung, Burn-out-Syndrom und Depressionen.
Beispiel Eine typische Frage von Kindern lautet nach Schells Erfahrung: „Papa, muss ich Angst haben?“ Schell formuliert eine naheliegende Antwort: „Nein, du musst keine Angst haben, Mama und Papa beschützen dich.“ Eltern und Erziehende sind die Beschützer der Kinder und diese Rolle und Aufgabe müssen sie in dieser Situation einnehmen. Wenn Kinder fragen, was Panzer oder Gewehre sind, sollten Erwachsene diese in ihrer Funktion beschreiben, aber in einfachen Worten. Für Kinder zählt nicht, wie eine Bombe im technischen Detail funktioniert, sondern nur das, was diese Bombe anstellt.
Empfehlung Um das Entstehen ungesteuerter Ängste bei Kindern zu verhindern, empfiehlt Schell Eltern und Pädagogen, den Fragen der Kinder über die aufgenommenen Eindrücke zum Krieg nicht auszuweichen, sondern altersgerecht zu begegnen: „Ein Fehler der Erwachsenen könnte sein, den Realitätssinn von Kindern zu unterschätzen.“ Ab dem dritten Lebensjahr entwickeln Kinder einen Realitätssinn, können also wahrgenommene Ereignisse als Gefahr oder Bedrohung einordnen. Zerbombte Häuser, das Explodieren von Raketen, brennende Panzerwracks und weinende oder tote Menschen fördern bei Kindern genau wie bei Erwachsenen das Gefühl der Angst. Geografische Entfernungen kann ein Kind beispielsweise nicht relativieren. Deshalb sagt Schell: „Man muss den Kindern den Krieg erklären, wenn sie danach fragen.“ Eltern oder Erziehende sollten das Thema aber nicht aktiv forcieren. Er hat folgende fünf Tipps:
Auf möglich Fragen vorbereitet sein und das Wording beispielsweise mit dem Partner abstimmen.
Alle Fragen beantworten.
Keine Details.
Einfache Worte und verständliche Beschreibungen.
Ruhige Sprache, denn Ruhe vermittelt Sicherheit. pm/nis