Beim Melken trennt sich schnell die Spreu vom Weizen

Das Projekt „Landleben live“ vermittelt Kinder und Jugendliche als Praktikanten auf Bauernhöfe und verbindet so als Brückenbauer Stadt und Land. Familie Gruber vom Sulzbacher Bushof hat seit 18 Jahren mit 35 jungen Menschen schon die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht.

Ben Kirschbaum (links) und Nehemia Wild schaffen voller Freude auf dem Bushof mit. Sie übernehmen viele Arbeiten rund um die Tiere und den Hof und lernen allerhand fürs Leben. Gleichzeitig kommen der Spaß und die Gemeinschaft mit den Gastgebern nicht zu kurz. Foto: privat

Ben Kirschbaum (links) und Nehemia Wild schaffen voller Freude auf dem Bushof mit. Sie übernehmen viele Arbeiten rund um die Tiere und den Hof und lernen allerhand fürs Leben. Gleichzeitig kommen der Spaß und die Gemeinschaft mit den Gastgebern nicht zu kurz. Foto: privat

Von Matthias Nothstein

Sulzbach an der Murr. Die drei Schaffer vom Bushof, Ute, Frank und Juniorchefin Magda Gruber, haben seit 18 Jahren die unterschiedlichsten Erfahrungen mit Praktikanten gemacht, die über das Programm „Landleben live“ hautnah erleben wollten, wie Landwirtschaft in der Praxis funktioniert. Einige dieser Praktikanten waren eher eine Belastung für den Betrieb, andere eine gute Hilfe. Unterm Strich ist eines aber sicher: Sie alle haben den Alltag der Grubers bereichert. In all den Jahren haben so immerhin knapp drei Dutzend Jugendliche die Gastfreundschaft der Bauersfamilie genießen dürfen. So wie zuletzt Ben Kirschbaum und Nehemia Wild.

Der 16-jährige Ben ist ein Wiederholungstäter, wie Ute Gruber es scherzhaft nennt, er war bereits 2021 auf dem Hof. Damals stellte er sich so geschickt an, dass er seither mit offenen Armen willkommen geheißen wird, wenn er in den Ferien mitschaffen will. Sein besonderes Talent ist dabei der Umgang mit den Tieren, attestiert ihm Ute Gruber, „dafür hat er ein Händchen“. Der Stuttgarter war dabei, als vor zwei Jahren Zwillingskälbchen das Licht der Welt erblickt haben. Ein Erlebnis, das den jungen Mann tief beeindruckt und geprägt hat. Nun krault er im Stall die Tiere am Kopf und lässt sich genüsslich die Arme abschlecken. Geradezu bewegt erzählt er: „Meine Babys sind jetzt schon zwei Jahre alt und kalben bald selbst.“ Das Melken der Tiere stellt für Ben keine Herausforderung mehr dar. Im Gegenteil. Er hat diese Tätigkeit sogar schon selbstständig als Urlaubsvertretung übernommen.

Die Begabungen der Kinder sind sehr unterschiedlich

Bens Praktikumskollege Nehemia ist zum ersten Mal auf dem Bushof und hat ebenfalls viel Spaß bei der Arbeit. Dem 14-Jährigen gefällt vor allem die große Abwechslung. Jeden Tag fallen andere und sehr unterschiedliche Tätigkeiten an. Frank Gruber schwärmt vor allem vom technischen Interesse und Verständnis des Jungen. Unlängst hat er mitgeholfen, umgestürzte Weißtannen aus dem Wald zu ziehen. Auch beim Ausmisten ist er eine große Hilfe, das Fahren mit dem Hoflader motiviert dabei auf besondere Weise. Und beim Schrauben am Schlepper läuft der Hessigheimer gar zur Hochform auf. Im Gegensatz zu Ben sind es also nicht unbedingt die Tiere, die Nehemia an der Arbeit reizen. Ob das vielleicht auch daran liegt, dass er bereits bei einem Kaiserschnitt live dabei war und das kein so schönes Erlebnis war wie bei seinem Kollegen? Ute Gruber würdigt die große Motivation der beiden, deren Begabung so unterschiedlich ist. „Die Kombination dieser beiden wäre der perfekte Helfer“, so die nicht ganz ernst gemeinte Einschätzung. Aber auch Magda Gruber lobt: „Die beiden kann man nicht vergleichen mit anderen Jungs, die sind vom Kopf her viel weiter. Wenn es schwierig oder körperlich anstrengend wird, dann ziehen sie es trotzdem durch. Das ist eine Eigenschaft, die bei vielen anderen völlig verloren geht. In den vergangenen 18 Jahren sind das die Besten, die wir hatten.“

Für Ute Gruber ist jedes Kind, das sich auf das Abenteuer Bauernfamilie und Bushof einlässt, eine Bereicherung. „Die Kinder lassen auch mich, die ich hier durch die Tiere gebunden bin, teilhaben an ihrer anderen Lebenswelt.“ Wenn die Eltern die Kinder bringen, nimmt die Seniorchefin diese in Empfang. Zuerst wird gemeinsam Kaffee getrunken und der selbst gebackene Kuchen verzehrt, dann machen alle einen Betriebsrundgang und sprechen über Wünsche und gegenseitige Erwartungen. Am ersten Abend geht es gleich zum Melken und da trennt sich laut Ute Gruber dann schnell die Spreu vom Weizen. „Praktisch begabte Kinder reiche ich zügig an die junge Chefin weiter, schwerfällige behalte ich länger unter meinen Fittichen.“

Jugendliche aus dem Ländle, aus den USA und Teneriffa

Die Bauersfrau listet auf, welche Kinder sie schon zu Gast hatten: „Überwiegend Landleben-live-Kinder, aber auch Waldorfschüler und Berufsorientierer, die schlafen dann allerdings nicht bei uns, sondern werden abends abgeholt. Mädchen waren es doppelt so viele wie Jungs und meistens waren sie zwischen 14 und 16 Jahre alt. Die Jugendlichen kommen aus dem Ländle, aus den USA, Frankreich und Teneriffa. Darunter waren Großstädter, Vegetarier, Allergiker, überzeugte Christen oder Emos. Ich versuche, jedes uns anvertraute Kind kennenzulernen und ihm passende Aufgaben auf unserem Hof zuzuteilen, sodass es Erfolgserlebnisse hat und für uns auch eine Hilfe ist. Denn objektiv betrachtet ist dies der einzige Nutzen, den wir von den Gastkindern haben.“ Des Geldes wegen kommen auch die Praktikanten nicht. Offiziell bekommen sie 25 Euro pro Woche, müssen aber einmalig 45 Euro Vermittlungsgebühr zahlen. „Ich würde also zwei Wochen lang für insgesamt fünf Euro schaffen“, bemerkt Nehemia lächelnd. Es ist den Gastgebern aber freigestellt, die Helfer besser zu entlohnen, wobei Kost und Logis frei sind und der Familienanschluss gesichert ist. Kinobesuche kommen ebenso gut an wie regelmäßige Ausritte mit den hofeigenen Pferden.

Mehr Lohn zu zahlen wäre vermutlich auch gewagt, da es bei den Helfern ab und zu Kandidaten gibt, die man laut Ute Gruber eher in der Kategorie „Aufgabe“ oder „Belastung“ denn als Hilfe einordnen muss. Die Bauersfrau: „Meist wurden diese Kinder von den Eltern zur Bewerbung genötigt, damit sie in den Ferien nicht nur am Handy oder PC hängen.“ Da die Organisatorin von „Landleben live“, Veronika Grossenbacher, die Bildungsreferentin beim Evangelischen Bauernwerk, mit jedem Jugendlichen im Vorfeld ein Gespräch führt, um einen geeigneten Hof für sie zu finden und sie schon mal einzunorden, kommt es laut Ute Gruber eher sehr selten vor, dass der Helfer ein Totalausfall ist. Das sieht auch Gatte Frank so. Er kann gut damit leben, dass sich seine Frau jedes Jahr auf dieses Abenteuer einlässt: „Es ist oft anstrengend mit den Praktikanten, aber überwiegend auch belebend, es macht Spaß.“ Dass es auch „richtige Pfeifen“ unter den Praktikanten gibt, nervt Juniorchefin Magda Gruber zuweilen. Sie hat die Erfahrung gemacht: „Am besten sind die, die es daheim nicht einfach haben. Diejenigen, die daheim verwöhnt werden, sind eine Katastrophe.“ Und ihr Vater schiebt nach: „Es ist Wahnsinn, was es für Unterschiede gibt zwischen 14-Jährigen und 14-Jährigen.“ Noch haben Grubers keinen Kandidaten nach Hause geschickt. „Aber bei einigen hätte ich es mir gewünscht“, sagt Magda.

Eine Chance, für den Beruf zu werben

Ihrer Mutter arbeitet aber auch gerne mit den jungen Menschen zusammen, weil es ihr gefällt, diesen in einer prägenden Phase etwas fürs Leben mitgeben zu können: „Das ist unsere Chance, für unseren Beruf zu werben. Wenn die Jugendlichen erst einmal erwachsen sind, lassen sie sich nicht auf so einen Erfahrungstrip ein und es ist schwerer, sie von einer vorgefassten Meinung abzubringen.“ Manche Kinder haben Ute Gruber in ihrer Bushof-Zeit das Herz ausgeschüttet. Sie erzählt: „Vegetarier haben von sich aus bei uns Fleisch gegessen. Und ein Mädchen konnte ihre Hundeangst überwinden. Manche genießen besonders die gemeinsamen Mahlzeiten, bei denen viel gelacht und die Arbeit besprochen wird, andere haben große Probleme mit dem Dreck und den Gerüchen rund um die Viehhaltung. Aber am Ende versteht jeder, was alles dazugehört, um Lebensmittel zu erzeugen.“

Landwirtschaft hautnah erleben

Landleben live Das evangelische Bauernwerk ermöglicht unterm Motto Landleben live Aktivferienaufenthalte für Jugendliche auf Bauernhöfen, ob zum Reinschnuppern oder zur beruflichen Orientierung. Die Jugendlichen verbringen ihre Ferien aktiv als Familienmitglied auf Zeit auf einem Hof bei einer Landwirtsfamilie, wo sie zwei bis sechs Wochen mitleben und mit anpacken – bei der Ernte, den Tieren, im Garten, im Haushalt oder bei der Betreuung der Kinder. Landleben live bietet Landwirtsfamilien wie Jugendlichen gleichermaßen auch die außerschulische Möglichkeit zur aktiven beruflichen Orientierung beziehungsweise Nachwuchsförderung und –gewinnung. Jugendliche können im Rahmen von Landleben live ihr landwirtschaftliches oder hauswirtschaftliches Interesse erweitern, vertiefen und prüfen.

Vermittlung Das attraktive Angebot gibt es für Jugendliche ab 14 Jahren und Landwirtsfamilien. Das Evangelische Bauernwerk vermittelt jährlich rund 70 interessierte Jugendliche auf Höfe. Auf Wunsch können Jugendliche ab 16 Jahren auch in andere Bundesländer und über die Landesgrenzen in die Schweiz vermittelt werden.

Kontakt Interessierte wenden sich an Veronika Grossenbacher, Landleben live, Evangelisches Bauernwerk, 74638 Waldenburg-Hohebuch, Telefon 07942/107-12, E-Mail v.grossenbacher@hohebuch.de oder www.landleben-live.de.

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Erstellt:
15. August 2023, 06:00 Uhr

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