Immer mitten im Leben
Ulli Eder geht als Leiter des Polizeireviers Backnang in den Ruhestand – Mehr als 30 Jahre war er in seiner Heimatstadt im Einsatz
Seinen Abschied nach 43 Jahren im Polizeidienst hatte sich Ulli Eder anders vorgestellt. Die Einladungen für die Feier im Technikforum waren schon verschickt, die Abschiedsrede war geschrieben. Dann kam Corona und hat alles über den Haufen geworfen. Ausgerechnet in dieser schwierigen Phase von Bord zu gehen, fällt dem Leiter des Polizeireviers Backnang nicht leicht.

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„Ich gehe mit gemischten Gefühlen“, sagt Revierleiter Ulli Eder. Einerseits freut er sich auf den Ruhestand, andererseits fällt es ihm schwer, mitten in der Coronakrise von Bord zu gehen. Foto: A. Becher
1 Von Kornelius Fritz
BACKNANG. Ulli Eder gehört nicht zu den Menschen, die die Tage bis zu ihrem Ruhestand herunterzählen. „Ich mache meine Arbeit immer noch gerne“, sagt der Revierleiter. Deshalb hat er auch zweieinhalb Jahre länger gearbeitet, als es das Dienstrecht von Polizisten verlangt. Jetzt, mit 63 Jahren, soll aber Schluss sein. „Man muss auch an seine Restlaufzeit denken“, sagt der gebürtige Backnanger. Schließlich hat er im Ruhestand noch einiges vor.
Seine Tochter habe ihm vor ein paar Jahren eine Weltkarte geschenkt, erzählt Eder. Darauf hat er alle Orte, die er schon bereist hat, mit Fähnchen markiert. „Aber es gibt noch ein paar weiße Flecken.“ Die nächsten Fähnchen würde er gerne in Australien und Neuseeland platzieren. Trotzdem kommt der Zeitpunkt der Pensionierung ungelegen – nicht nur, weil die Feier ausfallen muss. Eder widerstrebt es, mitten in einer Krise, die auch die Polizei betrifft, seinen Schreibtisch zu räumen. „Das fühlt sich schon ein bisschen komisch an“, gesteht er. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Nicht immer schütze das Gesetz die Richtigen, findet Eder
Dass Ulli Eder Polizist wurde, war eine eher spontane Entscheidung. Nach dem Abi wollte er eigentlich Biochemie studieren. Dann fiel ihm ein Prospekt der Polizei in die Hände, und er stellte fest, wie vielfältig dieser Beruf ist: „Es gibt Hunderte Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln.“ Auch die Aussicht, schnell eigenes Geld zu verdienen, lockte. So begann er am 1. September 1977 seine Grundausbildung bei der Bereitschaftspolizei in Lahr, der sich ein Studium an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen anschloss. In der ländlichen Idylle und mit nur einer Frau unter 165 Studenten habe man sich damals ganz aufs Studium konzentrieren können, erzählt Eder schmunzelnd.
Es war die Zeit, als die RAF das Land in Angst und Schrecken versetzte. Als junger Polizist hatte auch Ulli Eder mit diesem Thema zu tun. Auf der Suche nach „konspirativen Wohnungen“ musste er in großen Wohnblocks in Karlsruhe und Pforzheim kontrollieren, ob dort tatsächlich die gemeldeten Personen leben. Später war er für zwei Monate zur Sonderwache im Gefängniskrankenhaus Hohenaspach abgeordnet, wo die Terroristen Christian Klar und Günter Sonnenberg einsaßen. Weil man Befreiungsaktionen von Gesinnungsgenossen befürchtete, wurde das Gebäude rund um die Uhr bewacht. Bei seinen Kontrollgängen bei minus 25 Grad stellte der junge Beamte fest, dass Polizeiarbeit nicht immer nur ein Vergnügen ist.
In vier Jahrzehnten war Ulli Eder an etlichen Großeinsätzen beteiligt: Von den Demos gegen die Pershing-II-Atomraketen auf der Mutlanger Heide über die Castor-Transporte in Neckarwestheim bis zum Nato-Gipfel in Straßburg, wo Eder 2009 für drei Monate dem Einsatzstab angehörte. Die meiste Zeit seiner langen Laufbahn hat er aber in seiner Heimatstadt verbracht. Nach drei Jahren als Postenführer in Murrhardt kam er 1985 zum Polizeirevier Backnang. Hier ist er, abgesehen von zwei kurzen Gastspielen in Waiblingen und Winnenden, bis heute geblieben: zunächst als Leiter des Bezirksdienstes, ab 2000 als stellvertretender Revierleiter und schließlich ab Oktober 2018 als oberster Chef.
In Backnang zu wohnen und zu arbeiten, hatte Vor- und Nachteile. Einerseits war Eder immer bestens informiert über seine Heimatstadt und konnte viele Kontakte knüpfen, andererseits war er gefühlt immer im Dienst: „Das hat mich aber nie wirklich gestört.“ Auf dem Revier war Eder immer nah dran am Leben und hat auch den Wandel in der Polizeiarbeit miterlebt. Früher, so erinnert er sich, hätten die Polizisten bei den Einsätzen auch mal rustikaler zugelangt. Wer sich heute nicht haarklein an Recht und Gesetz halte, müsse sofort mit einer Gegenanzeige rechnen. Nicht immer schützt das Gesetz in Eders Augen die Richtigen: Während man Tatverdächtigen seitenlang ihre Rechte vorlesen müsse, seien die Opfer von Straftaten oft auf sich alleine gestellt. Auch der Datenschutz erschwere der Polizei die Arbeit: Wenn in Krimis gezeigt werde, wie Ermittler im Computer kurz alle wichtigen Daten eines Verdächtigen abfragen, habe das mit der Realität nicht viel zu tun. „Der Zugang zu den Daten ist sehr restriktiv geregelt. Über manche Leute finde ich in den sozialen Netzwerken mehr Informationen als im Polizeicomputer.“
Aber es gibt auch Dinge, um die Ulli Eder den Polizeinachwuchs beneidet. Die Ausbildung sei wesentlich praxisorientierter geworden und auch die Ausstattung sei heute viel besser als früher: „Ich habe meine erste Schutzweste noch für teures Geld selbst gekauft.“
Wenn man Ulli Eder fragt, was er im Ruhestand vermissen wird, dann nennt er vor allem den Kontakt mit den jungen Kollegen: „So habe ich auch immer den Zeitgeist mitbekommen.“ Ein Team zu führen, hat dem Revierleiter Spaß gemacht, auch wenn die personelle Besetzung in den vergangenen Jahren oft schwierig war. Auf dem Papier hat das Polizeirevier Backnang 92 Stellen, tatsächlich sind zurzeit aber nur 79 Kollegen verfügbar. Das reiche, um den Streifendienst zu organisieren, doch bei Küraufgaben wie der Präventionsarbeit müsse man Abstriche machen. Ulli Eder bedauert das: „Denn eine Straftat, die wir verhindert haben, ist besser als eine, die wir aufklären müssen.“
Das Polizeirevier Backnang wird künftig von Jürgen Volz geleitet. Der 52-Jährige war bisher Leiter des Ermittlungsdienstes und Eders Stellvertreter.
Wie Ulli Eder wird auch Volz den Zusatz „kommissarisch“ führen, denn nach dem Abgang von Revierleiter Jürgen Hamm wurde 2018 die 34-jährige Polizeirätin Steffi Amann zur Nachfolgerin ernannt. Allerdings hat Amann die Stelle nicht angetreten, weil sie in ein Sonderprojekt beim Präsidium Technik, Logistik und Service eingebunden ist. Ob sie überhaupt noch aufs Backnanger Revier kommen wird, ist ungewiss, trotzdem ist die Stelle bis auf Weiteres blockiert.
Dass er „nur“ kommissarischer Revierleiter war, hat Ulli Eder nicht gestört: „Das war mir egal. Ich habe meinen Job immer zu hundert Prozent gemacht.“