In den Bussen herrscht oft Gedränge
Morgens zur ersten Unterrichtsstunde sind in und um Backnang Hunderte von Schülern unterwegs. Viele Auswärtige müssen den Bus nehmen, um zur Schule zu kommen. Trotz voller Fahrzeuge wird aber bislang kein Bedarf für Verstärkerbusse gesehen.

© Jörg Fiedler
Haltestelle Laubert in Erbstetten: Der Bus ist bei der Ankunft bereits gut besetzt, aber es wollen noch mehr Schüler zusteigen. Foto: J. Fiedler
Von Armin Fechter
BACKNANG. Haltestelle Laubert in Erbstetten, der letzte Halt vor Backnang. Fast 20 Schüler – an anderen Tagen sogar um die 30 – stehen am frühen Morgen im Dämmerlicht da und wollen mitgenommen werden. Der Bus, der auf dem Weg in Richtung Stadt um die Ecke biegt, sieht schon recht gut besetzt aus, einige Kinder mit Schulranzen stehen. Der Fahrer hält, die Türen gehen auf. Keiner steigt aus, aber viele drängen hinein.
Am Ende finden alle irgendwie Platz, zumindest zum Stehen. Brav die Maske im Gesicht. „Wir sind hier auf dem Dorf“, lacht Elke Fischer. Die Mutter von zwei Töchtern, die beide das Tausgymnasium in Backnang besuchen und mit dem Bus zum Bahnhof fahren, wo sie dann umsteigen müssen, verfolgt die Situation regelmäßig. Das größte Gedränge herrscht immer um 7.14 Uhr, „da fahren alle“, ob sie nun eines der Gymnasien, die Realschule oder die Mörike-Gemeinschaftsschule besuchen. In der ersten Schulwoche nach den Ferien ist es vorgekommen, dass an der Station Laubert etliche Kinder nicht untergekommen sind. Für sie gab es die Wahl: auf den nächsten Bus warten und zu spät kommen oder das Elterntaxi rufen. Auch Elke Fischer musste deshalb schon Chauffeurdienste leisten.
Proteste und Beschwerden beim Busunternehmen FMO und beim Landkreis, der für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) verantwortlich ist, zeigten Wirkung. „In der Regel funktioniert’s jetzt“, sagt Elke Fischer. Am frühen Morgen sind nämlich zwei Busse auf der Strecke unterwegs – einer aus Burgstall, der andere vom Kirschenhardthof her kommend. Nach der ursprünglichen Verkehrsplanung sollte nur einer von ihnen in das Wohngebiet einbiegen und der andere direkt zum Bahnhof durchfahren, um den S-Bahn-Anschluss sicherzustellen. Inzwischen aber steuern beide die Haltestelle Laubert an – zumindest jeden zweiten Tag, wie Elke Fischer kritisch bemerkt. So hielt auch gestern früh einer der beiden Busse strikt Kurs Richtung Backnang. Aber die Chance auf Mitnahme hat sich dadurch spürbar erhöht.
Mit einem zusätzlichen Bus könnte sich die Situation entspannen.
Aber nicht nur dadurch: Am Bahnhof in Burgstall seien Schüler explizit angehalten worden, die S-Bahn zu nehmen und nicht den Bus. Auch wenn die Rechnung so besser aufgeht, stößt das Vorgehen auf Kritik: Wer eine Fahrkarte für 43 Euro gekauft hat, solle auch selbst entscheiden können, welches Verkehrsmittel er nutzt, findet Elke Fischer. Man müsse doch auch die persönlichen Umstände sehen – Freunde oder Klassenkameraden wollten eben miteinander fahren. Daher solle eher noch ein drittes Fahrzeug oder ein Ziehharmonikabus eingesetzt werden. Dies auch mit Blick darauf, dass in den nächsten Jahren noch mehr Kinder aus dem Wohngebiet in ein Alter kommen, in dem sie nach Backnang in die weiterführende Schule gehen.
Der Bus in Erbstetten ist gerade weg, da kommt ein Kind angeradelt. Die Sechstklässlerin vom Tausgymnasium fährt eisern mit dem Rad – „weil die Busse immer so voll sind“. Das beobachten auch viele Eltern kritisch. „Mit Corona brauchen wir gar nicht anfangen“, konstatiert Elke Fischer. Die Linie 455 macht dabei keine Ausnahme: Über das Gedränge in den Bussen klagt auch eine Frau aus Aspach. Von dort sind jeden Morgen ebenfalls viele Kinder und Jugendliche nach Backnang unterwegs, und sie stehen „dicht an dicht“. Die gleiche Beobachtung wird im innerstädtischen Verkehr gemacht. Pia Täpsi-Kleinpeter gab unlängst im Gemeinderat die Klage einer Mutter wieder, die am Beginn des Schuljahrs einige Male mit der Tochter – einer frischgebackenen Fünftklässlerin – mitgefahren war: Wie in einer Sardinenbüchse sei man da gestanden.
Die SPD-Stadträtin ermuntert Eltern, Probleme im ÖPNV bei der Schulleitung zu melden. Schnelle Lösungen seien aber schwierig. Das Land halte ja einen Zuschuss für eventuell notwendige Verstärkerbusse bereit: „Aber wo kriegen wir die Busse und die Fahrer her?“ Vielleicht, so überlegt Täpsi-Kleinpeter, gäbe es ja gewisse Potenziale bei den Reiseunternehmen, bei denen touristische Fahrten ausgefallen sind. Oder bringt die Anregung des Kultusministeriums etwas, wonach die Schulen ihre Unterrichtszeiten entzerren sollen? In der Praxis kaum machbar, schätzt die Stadträtin, die früher selbst Elternbeirätin war und die Sorgen auch von dieser Warte her kennt. „Die Busse sind getaktet“, weist sie auf Systemzwänge hin, die auch mit der S-Bahn-Struktur zusammenhängen: „Das ist ein multikomplexes Problem.“
Kann denn die Stadt etwas tun? Und wenn ja, was? Für den ÖPNV zuständig sei der Landkreis, heißt es aus dem Rathaus. Die Stadt habe auch keinen Einfluss, was eine mögliche Staffelung bei den Schulzeiten angeht. Das würden die Schulen selbst regeln, erläutert Reiner Gauger. Wobei er aber anfügt, dass Änderungen auch erst mal von den Eltern akzeptiert werden müssten. Und die Busfahrpläne würden in dem Fall auch nicht mehr passen, sondern müssten auf die neue Grundlage angepasst werden – was kein leichtes Unterfangen ist.
Das Landratsamt bestätigt unterdessen, dass es in der ersten Schulwoche zahlreiche Beschwerden zur Linie 455 gegeben hat. Mit der Lösung, dass nun ein zweiter Bus die Haltestelle Laubert anfährt, sei aber kein Verstärkerbus eingerichtet worden, der vom Land bezuschusst würde. Immerhin: Beschwerden seien seitdem nicht mehr eingegangen.
Was die Situation in Backnang angeht, prüft der Landkreis noch, „ob tatsächlich ein Bedarf für Verstärkerbusse besteht“. Der Schülerverkehr müsse sich aber, wie Pressesprecherin Leonie Ries übermittelt, zu Beginn jedes Schuljahrs – unabhängig von Corona – erst einspielen. Häufig gebe es das Problem, dass mehrere Busse im Abstand von teilweise nur wenigen Minuten dieselbe Strecke fahren, die Schüler sich aber nicht gleichmäßig auf die Busse verteilen. „Das kann dazu führen, dass sich in einem Bus die Fahrgäste drängen, während der nachfolgende Bus fast leer unterwegs ist.“ Dieses Problem löse sich erfahrungsgemäß von selbst nach einer gewissen Anlaufzeit. In einer solchen Situation Verstärkerbusse einzusetzen, würde das Problem nach Auffassung der Behörde nicht lösen: „Ein Verstärkerbus erhöht zwar die Gesamtkapazität, führt aber nicht zu einer besseren Verteilung der Schüler. Unser Bestreben ist es, Verstärkerbusse dort einzusetzen, wo sie auch tatsächlich notwendig sind. Dies ist nach unseren bisherigen Erkenntnissen im Raum Backnang ganz überwiegend nicht der Fall.“
Die Sensibilität hat durch die Pandemie deutlich zugenommen.
Heinz Harter, der geschäftsführende Schulleiter der Backnanger Schulen, bilanziert „keine neuen Problembeschreibungen“. Dass es verschiedene kritische Linien gebe, sei durchaus bekannt und nach den jüngsten Meldungen nicht überraschend. Gleichwohl macht er darauf aufmerksam, dass zurzeit – aufgrund der Pandemieverhältnisse – die Sensibilität eine andere geworden sei. Die Idee, den Unterricht gestaffelt beginnen zu lassen, sei zunächst „eine theoretische Option“, um schulintern Schülerströme zu entzerren. Organisatorisch sei dies an Grundschulen eher machbar als bei Schularten, die eine starke Verflechtung unterschiedlicher Unterrichtsgruppen und Kurse haben, angefangen bei Sport- und Religionsunterricht, aber auch bei den Wahlpflichtfächern. Diesbezüglich hält Harter fest: „Man kann nicht einzelne Klassen später beginnen lassen.“ Mit Blick auf den öffentlichen Personennahverkehr fügt der Chef der Max-Eyth-Realschule hinzu: „Die Struktur des ÖPNV setzt einem gestaffelten Beginn Grenzen.“ Die Fahrzeiten für Busse und S-Bahn seien miteinander verwoben. Würde der Unterrichtsbeginn verlegt, stünde oftmals der passende Bus nicht zur Verfügung.
Das bestätigt auch Karin Moll. Die Rektorin der Mörikeschule weist auf die Schwierigkeiten hin, die eine Änderung der Schulanfangszeiten für die Busfahrpläne auslösen würde: „Das zieht einen ganzen Rattenschwanz nach sich.“
Seit Mittwoch ist klar, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit das Land gemäß seinem Coronasonderprogramm Verstärkerbusse finanziell unterstützt.
Bei einer Überschreitung von 100 Prozent der Sitzplätze und 40 Prozent der zulässigen Stehplätze bekommen die Landkreise nach einer Mitteilung des Verkehrsministeriums zusätzliche Schulbusse gefördert.
Das Land trägt 80 Prozent der zusätzlichen Kosten, die bei den Landkreisen anfallen.
Laut Verkehrsminister Winfried Hermann „stehen genügend Mittel bereit, um das Programm bis zum Ende des Jahres laufen zu lassen“. Gleichzeitig appelliert er an die Schulen, sie sollten „dringend die Möglichkeiten ausschöpfen, um die Unterrichtszeiten flexibler zu gestalten“.
Auch für zusätzliche Busse, die bei einer Entzerrung der Schulanfangszeiten benötigt werden, gibt das Land Geld.