„In jedem Konflikt steckt großes Potenzial“

Interview Michael Schwelling ist Coach und systemischer Berater. In der Volkshochschule Backnang bietet er am 17. März den Kurs „Keep cool – Konflikte verstehen und lösen“ an. Auseinandersetzungen sind seiner Meinung nach Einladungen dazu, sich weiterzuentwickeln.

Das aufeinander Zugehen nach einem Streit fällt den Beteiligten oft nicht leicht. Foto: Adobe Stock/Tiko

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Das aufeinander Zugehen nach einem Streit fällt den Beteiligten oft nicht leicht. Foto: Adobe Stock/Tiko

Backnang. Konflikte, sagt Michael Schwelling, können sehr hilfreich sein. Sie können Situationen und Beziehungen grundlegend verbessern. Um sie erfolgreich zu lösen, müsse man aber dazu bereit sein, auch einmal die Perspektive zu wechseln.

Herr Schwelling, Ihr Thema – Konflikte verstehen und lösen – ist aktueller denn je. Meinen Sie, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Russlands Präsident Wladimir Putin den Ukrainekrieg noch auf diplomatischem Weg beilegen können?

Puh. Es ist schon richtig, dass man den Begriff Konflikt jetzt nicht so eng begrenzt auf persönliche Belange und ihn ruhig auch ausdehnt auf größere Zusammenhänge. Andererseits ist das so komplex, dass jede einfache Antwort falsch ist. Was ich aber sagen würde, ist, dass jeder Konflikt eine Chance auf Entwicklung birgt. Wenn der Krieg zu Ende ist, haben die EU, die NATO und Russland die Möglichkeit, ihr Verhältnis von Grund auf neu zu definieren.

Ist das ein Muster, das jedem Konflikt zugrunde liegt – dass er die Chance birgt, eine Situation zu verbessern?

Ja, wenn man das so möchte. Man muss diese Chance aber auch aktiv ergreifen.

Bei Ihrem Kurs geht es aber nicht um Politik, sondern um alltägliche,
zwischenmenschliche Konflikte. Was können die Teilnehmer lernen?

Sie können lernen, einen Konflikt auch als hilfreich zu verstehen. Jeder Mensch hat eine bestimmte Art von Konflikten in seinem Leben, die andere nicht haben. Wenn ich einen Konflikt erfolgreich bereinigt habe, habe ich etwas gelernt für das ganze Leben. Aber um das zu schaffen, muss ich eine andere Sichtweise einnehmen. Darauf wollen sich nicht alle einlassen. Es ist einfacher, sich in die klassische Opferrolle zu begeben. Man kann aber nicht mit derselben Haltung aus einem Problem herauskommen, mit der man hineingeraten ist.

Wie kommen Konflikte zustande?

Der Klassiker: Es taucht ein Problem auf. Fragt man nach der Ursache, findet der oder die Befragte eine Erklärung. Aber diese Erklärung empfindet die andere Person als Vorwurf. Es gibt eine Gegendarstellung. Die weist der andere wiederum zurück. Dadurch sinkt die Motivation auf beiden Seiten in den Keller und die Kreativität für Lösungsideen geht auf null. So gibt es aber keine Verbesserungen. Man fängt wieder mit der Suche nach der Ursache, also von vorne, an. Auf diesen Kreislauf kann man im Grunde alle Konflikte reduzieren. Die Tragik, die dahintersteht, ist, dass viele Menschen versuchen, Probleme zu lösen, ohne diesen Kreislauf zu verlassen. Das ist nachvollziehbar, aber praktisch ausgeschlossen.

Wir durchbricht man den Kreislauf?

Indem man sich zum Beispiel überlegt: Wie wär’s, wenn es besser wäre? Dadurch habe ich gleich eine ganz andere Perspektive. Man definiert den gemeinsamen Nutzen, den alle von einer Lösung haben könnten.

Also stehen der Lösung oft persönliche Befindlichkeiten im Weg – weil man sich selbst schnell angegriffen fühlt?

Ganz genau. Es sind persönliche Befindlichkeiten oder Empfindlichkeiten. Die haben aber sehr wohl etwas mit der jeweiligen Persönlichkeit zu tun. Oft geht es um individuelle Werte. Wenn die tangiert sind, kommt es meistens zu Konflikten.

Vor Kurzem habe ich das Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ der Psychologin Stefanie Stahl gelesen. Es hört sich für mich danach an, dass bei Konflikten oft dieses innere Kind im Vordergrund steht, das sich ungerecht behandelt fühlt. Und dass man als
Erwachsener schnell in die kindlichen Konfliktlösemuster zurückfällt, weil man sie nie richtig aufgearbeitet hat.

Genau. Diese Grundidee, zu der ich auch stehe, heißt letztendlich: Der Ball liegt im eigenen Feld. Und das will natürlich kein Mensch hören. (lacht) Das ist das Problem, wenn man solche Seminare gibt. Die Leute kommen mit der Erwartung: Ich sage ihnen, was sie sagen sollen, damit die Gegenseite genau das macht, was sie eigentlich wollen.

Wie in einer Paartherapie, wenn beide Ehepartner wollen, dass der Therapeut sagt, der andere sei schuld.

Richtig. Ich führe ja auch Gespräche mit Paaren – aber nie mit beiden zusammen. Ich weiß nicht, warum viele Kollegen das so machen. Natürlich gehen die beiden dann nach Hause und fangen gleich wieder an: „Hast du nicht gehört, was der gesagt hat: Du sollst endlich auch mal was im Haushalt machen!“ Das ist meistens nicht so ideal.

Sie raten dazu zu schauen: Wo kann ich selbst die Stellschrauben verändern?

Ja, und herauszufinden: Was steht bei mir sowieso grundsätzlich an? Es gibt zum Beispiel bestimmte Personen, meist sind es Frauen, die sich regelrecht aufopfern für die Erwartungen und Bedürfnisse anderer. Dadurch geraten sie aber oft in Konflikte. Denn sie werden oft nicht so wertgeschätzt, wie sie es verdient hätten. Das stimmt ja auch. Aber eigentlich steht diese Person vor einer Aufgabe, vor der sie sich bisher gedrückt hat: sich darüber Gedanken zu machen, welche Bedürfnisse sie selbst hat, und Verantwortung dafür zu übernehmen.

Wieso schaffen die Personen das nicht?

Es fühlt sich für diese Menschen falsch an. Sie sehen das als Egoismus. Und schon haben sie eine Art von Wording, die das, was ihnen helfen würde, verhindert. Aber erst wenn sie das überwinden – und es gibt keine Heldensage auf dieser Welt, in der man nicht erst durch ein tiefes Tal gehen muss –, erwerben sie sich bei ihrer Umgebung Respekt. Es gibt natürlich auch das Gegenteil. Das sind oft Männer, die meinen, man müsse unbedingt dominant sein, um ein „richtiger Mann“ zu sein. Die geraten natürlich immer wieder in ganz massive Konflikte, weil sie mit dem Kopf durch die Wand wollen. Sie müssten begreifen: „Das Leben redet durch diese Konflikte mit mir. Ich sollte mal etwas anderes ausprobieren.“

Konflikte helfen uns also im Optimalfall dabei, uns weiterzuentwickeln?

Ja. In jedem Konflikt steckt großes Potenzial für die eigene Entwicklung. Tragischerweise haben viele Menschen als Kind etwas verinnerlicht, das sie jetzt in Konflikte bringt. Für sie fühlt sich das Falsche richtig und das Richtige falsch an. Für die Frau aus dem Beispiel wird es sich falsch anfühlen, eigene Interessen wahrzunehmen. Und für das Alphamännchen wird es sich falsch anfühlen, jemanden zu fragen: „Wie siehst du das denn?“ Für ihn ist es ja von vornherein klar, dass die anderen im Unrecht sind.

Das ist anfangs sicherlich eine große Überwindung, oder?

Das ist ein Prozess. Um den einzuleiten, muss man erst mal verstehen: Wie gerate ich wieder und wieder in diese Konflikte?

Meinungsverschiedenheiten lassen sich aber auch nicht komplett verhindern.

Das stimmt. Aber die Menschen können, wenn sie es geschickt anstellen, an ihren Konflikten riesige Wachstumsschritte machen. Wenn sie etwas Neues ausprobieren und merken: Das bringt mich weiter. Und zwar nicht nur im jeweiligen Konflikt, sondern als ganzer Mensch, als Persönlichkeit. Ich kann durch diese Art, dem Leben zuzuhören, alte Wunden heilen. Jetzt sind wir wieder bei Stefanie Stahl. (lacht) Konflikte sind im Grunde Botschaften. Sie raten: „Probier’s mal anders“. Sonst kommt dieselbe Art von Konflikt immer wieder zurück.

Sind manche Auseinandersetzungen zum Scheitern verurteilt?

Ja, wobei das Scheitern im Grunde auch wieder eine Lösung ist: Man lernt, dass man mit dem Verhalten nicht weiterkommt. In der Wissenschaft ist das allgemein so: Wenn ein Versuch nicht klappt, ist er nicht gescheitert. Er ist eine Information, dass es so eben nicht funktioniert.

Wie verhält man sich im Streit richtig?

Indem man versucht, die Position des anderen zu akzeptieren und zu gucken: Welche Bedürfnisse stehen hinter dem Verhalten? Hinter Putins Angriff auf die Ukraine steht wahrscheinlich ein Sicherheitsbedürfnis. Man müsste also schauen, wie sich das anders stillen lässt als durch einen Krieg. Etwa durch bestimmte Handelsabkommen.

Das Gespräch führte Melanie Maier.

Foto: privat
„In jedem Konflikt steckt großes Potenzial“
Michael Schwelling

Werdegang Michael Schwelling wurde 1959 in Stuttgart geboren. In den 1980er-Jahren studierte er Publizistik, Politik, Psychologie und Germanistik in Berlin. Nach der Familienphase orientierte er sich um und absolvierte eine Ausbildung zum systemischen Berater.

Beruf Als Coach und Berater bietet Michael Schwelling Einzelgespräche, Seminare und Workshops zu verschiedenen Themen an.

Privates Schwelling wohnt in Tübingen. Er hat zwei Töchter und ist geschieden.

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Erstellt:
15. März 2022, 06:00 Uhr

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