In kürzester Zeit stand die halbe Stadt unter Wasser
Das Jahrhunderthochwasser vom Januar 2011 sorgt in den Kommunen entlang der Murr für Millionenschäden und für ein Umdenken beim Thema Hochwasserschutz. Die Murr trat auf der gesamten Länge über die Ufer und richtete Schäden von insgesamt 27 Millionen Euro an.
Von Matthias Nothstein
BACKNANG/OPPENWEILER. Auch zehn Jahre nach dem verheerenden Hochwasser vom 13. Januar 2011 ist bei vielen Betroffenen die Erinnerung noch hellwach. Damals war die Murr innerhalb kürzester Zeit unnatürlich schnell gestiegen und hatte auf fast der gesamten Länge in sämtlichen Anliegerkommunen massive Schäden verursacht. Die Murranlieger und die zahlreichen Hilfskräfte standen den Naturgewalten meist machtlos und ohnmächtig gegenüber. In vielen Fällen konnten sie nur zugucken, wie Hab und Gut in den Fluten versank.
In Backnang alarmierte die Leitstelle Rems-Murr die Feuerwehr erstmals um 3 Uhr nachts. Es sollte der Auftakt eines Großeinsatzes sein, der allen beteiligten Organisationen noch heute lebhaft in Erinnerung ist. Der Wasserstand stieg unaufhaltsam, sodass die Murr über die Ufer trat und große Bereiche der Innenstadt überflutete. Betroffen waren davon nicht nur unzählige Keller und tief liegende Wohnungen, sondern auch mehrere Tiefgaragen. Am Ende sollte sich der Sachschaden in den Murrkommunen auf ungefähr 27 Millionen Euro summieren. Allein in Oppenweiler wurden die Schäden auf etwa 20 Millionen Euro beziffert.
Zu den vom Hochwasser am stärksten betroffenen Gemeinden gehörten Backnang und Oppenweiler. Die Murr trat zum Teil an Stellen über die Ufer, die in den Jahrzehnten zuvor vor Überschwemmungen verschont blieben, so die Aussagen von Zeitzeugen. In Backnang versanken ganze Straßenzüge im Wasser. Die Murr bahnte sich bis in die Grabenstraße einen Weg, sie trat bei der Aspacher Brücke über die Ufer und überschwemmte die Gerberstraße genauso wie die Talstraße, die Schillerstraße, die Eduard-Breuninger-Straße am Kalten Wasser oder die Obere Walke. Geschäftsleute, deren Räume überschwemmt wurden, versuchten noch zu retten, was zu retten war. In vielen Fällen ein verzweifeltes, aussichtsloses Unterfangen.
Den Anliegern der Burggartenstraße in Oppenweiler hatte die Murr auch in früheren Jahren mit ihrem Hochwasser oft Kummer und Verdruss gebracht. Doch am 13. Januar 2011 standen die in den 30er-Jahren errichteten Siedlungshäuschen mitten im Wasser. Lang anhaltende Regenfälle hatten die Murr in noch nie da gewesenem Ausmaß besonders dort über die Ufer treten lassen. Nach und nach liefen Keller, Garagen und Untergeschosse voll, versanken liebevoll gepflegte Vorgärten und Terrassen in den Fluten. Zurück blieben Schlamm, Morast, kaputter Hausrat und nasse Wände.
Die Feuerwehr war vier Tage lang rund um die Uhr im Einsatz.
Oppenweilers damaliger Feuerwehrkommandant Peter Wahl bilanzierte später: „Wer glaubte, dass uns Naturkatastrophen nur alle 50 oder 100 Jahre ereilen können, wurde am 13. Januar durch das Hochwasser mit nie da gewesenen Dimensionen eines Besseren belehrt.“ Erschreckend war der rasante Anstieg des Pegels und ein Wasserstand zwischen 3,40 Metern und dem Höchststand über elf Stunden gewesen. Der Höchststand selbst lag nach unterschiedlichsten Quellen zwischen 3,59 und 3,74 Metern. Für die Feuerwehr bedeutete dies einen Dauereinsatz von vier Tagen rund um die Uhr.
Trotz der Millionenschäden in Oppenweiler konnte der damalige Bürgermeister Steffen Jäger Ende des Jahres 2011 ein vorsichtig optimistisches Fazit ziehen: „Der Großteil der Schäden konnte im Laufe des Jahres behoben werden.“ Viel wichtiger aber war, dass die Planungen für die Hochwasserschutzmaßnahmen wesentlich vorangebracht werden konnten. Mit Hochdruck wurden die innerörtlichen Schutzmaßnahmen entlang der Murr geplant und inzwischen größtenteils umgesetzt. Zu den zentralen Bausteinen dieses Schutzkonzepts gehören Mauern und Dämme entlang des Murrufers und mobile Schutzvorkehrungen, Pumpwerke sowie Schutzmaßnahmen an den Seitengewässern. Auch in Backnang flossen seither mehrere Millionen Euro in den Bau von Mauern, Dämmen und Pumpwerken. Zudem wurde die Aspacher Brücke angehoben. Sie hatte einen zu geringen Durchfluss und war zum Problemfall geworden. Die Baustelle strapazierte die Nerven vieler Verkehrsteilnehmer über mehrere Jahre.
Neben diesen innerörtlichen Schutzmaßnahmen soll der Bau von mehreren Hochwasserrückhaltebecken im Murrtal verhindern, dass sich eine solche Katastrophe wiederholt. So wurde der Wasserverband Murrtal gegründet, dem sich neben Backnang auch Murrhardt, Sulzbach an der Murr und Oppenweiler anschlossen. Fünf überörtliche Hochwasserrückhaltebecken sind vorgesehen, aber bis heute noch nicht umgesetzt. Es handelt sich dabei um die Rückhaltebecken Mahd und Gaab in Murrhardt, Haselbach und Fischbach in Sulzbach sowie das Rückhaltebecken Oppenweiler. Immerhin besteht die Hoffnung, dass mit dem Bau des Beckens Oppenweiler dieses Jahr noch begonnen wird. Es ist mit Abstand das größte und wird künftig 850000 Kubikmeter Wasser zurückhalten können.
Auch die Nebenflüsse der Murr haben ihren Teil zum Hochwasser beigetragen beziehungsweise selbst für große Schäden gesorgt. Ganz besonders die Weißach. Laut Weissachs Feuerwehrkommandant Jürgen Gerst waren damals die Einsatzkräfte der Feuerwehr im Verbund mit weiteren Hilfsorganisationen zwei Tage lang im Dauereinsatz. Alles Menschenmögliche sei getan worden, um Schäden zu verhindern und zu beseitigen. Aber trotz des unermüdlichen Einsatzes waren auch in Weissach im Tal Schäden von mehreren Millionen Euro zu beklagen. Dabei waren die Schutzmaßnahmen im Täle schon vor der Katastrophe angelaufen. So waren die ersten beiden Hochwasserrückhaltebecken bereits fertiggestellt. Trotzdem wurde der Ortskern Unterweissach überschwemmt. Auch die Ortsteile Cottenweiler und Oberweissach waren vom Hochwasser betroffen. Trotz aller Bemühungen und vieler Helfer entstand dort ein Schaden von über 860000 Euro.
Im Gegensatz zum Murrtal wurden im Täle vom Zweckverband Hochwasserschutz Weissacher Tal schon mehrere Hochwasserrückhaltebecken gebaut. So etwa das Becken Heslachbach (Kosten 1,85 Millionen Euro) oder vor Allmersbach im Tal das Hochwasserrückhaltebecken Lohwiesenbach (Kosten rund 1,16 Millionen Euro). Vor fünf Jahren konnte zum Beispiel auch das Horbetsbachbecken vor Unterweissach in Betrieb genommen werden. Es hat zwar nur Rückhaltevolumen von 9100 Kubikmetern und kostete 860000 Euro. Aber Stück für Stück wird so die Sicherheit erhöht. Jetzt muss aber auch der Wasserverband Murrtal in die Puschen kommen, sonst könnte sich die Katastrophe trotz aller Bemühungen wiederholen.
Das Januarhochwasser vor zehn Jahren
Das Januarhochwasser vor zehn Jahren richtete in Backnang und Oppenweiler sowie im gesamten Umland riesige Schäden an.
Im gesamten Landkreis waren an dem Katastrophentag etwa 1500 Kräfte der Feuerwehr, etwa 100 Kräfte des Technischen Hilfswerks, zirka 150 Kräfte des Deutschen Roten Kreuzes, über 20 Mitglieder der DLRG und ungefähr 90 Polizeibeamte im Einsatz.
Der Sachschaden, den das Hochwasser angerichtet hatte, wurde auf ungefähr 27 Millionen Euro geschätzt. Alleine in Oppenweiler waren es etwa 20 Millionen Euro.
Das Land sagte eine Soforthilfe zu. Mit 500000 Euro wurden 262 Privatleute und Familienbetriebe im Rems-Murr-Kreis unterstützt. Die Bürgerstiftung in Backnang sammelte ihrerseits Spenden, die Stadt unterstützte dies nach Kräften. Auch die BKZ half.
Einige Kommunen im Raum Backnang waren weniger betroffen. So blieb Aspach ganz knapp vom Hochwasser verschont. Es ging nur um „eine Handbreit Wasser“, wie Bürgermeister Hans-Jörg Weinbrenner damals erklärte. Auch Spiegelberg, Großerlach und Althütte mussten sich mit diesem Thema weit weniger beschäftigen als andere Gemeinden. Mit einem blauen Auge kam nach den Aussagen von Bürgermeister Armin Mößner auch Murrhardt davon.
Das Landratsamt Rems-Murr-Kreis hat inzwischen Karten der hochwassergefährdeten Bereiche bei einem 100-jährlichen Hochwasser in den wichtigsten Ortslagen entlang der Murr und ihrer Seitengewässer erstellt. Grundlage dafür sind Landeshochwassergefahrenkarten.
An der Messstation Welzheim prasselten am 13. Januar 2011 über 100 Millimeter Regen nieder, das entspricht einem Zehntel der Menge, die sonst in einem ganzen Jahr fällt.
Besonders arg gebeutelt hatte es die Volksbank Backnang in der Schillerstraße. Die Schließfächer, die Registratur und die Tresoranlage standen komplett unter Wasser, Dokumente mussten anschließend gefriergetrocknet werden. Um künftig für den Ernstfall gerüstet zu sein, gibt es in dem Bankhaus seither nicht nur ein Geld-, sondern auch ein Sandsackdepot, zudem ein mobiles Schlauchwallsystem, und die Tiefgarage kann bei Hochwasser künftig mit einem Klappschott als eine Art Schleusenwand abgeschottet werden.