In Spiegelberg wählen viele Rechtsaußen

Bei der Europawahl hat in Spiegelberg keine Partei mehr Stimmen erhalten als die AfD. Auf der Suche nach dem Warum stößt man auf ein uneindeutiges Stimmungsbild. Dass viele Rechtsaußen wählen, ist ein „schwieriges Pflaster“, das man im Umgang miteinander gerne ausspart.

Morgengrauen in Jux: Mit der großen Politik sind viele Bürger hier unzufrieden und machen ihr Kreuzchen rechts außen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Morgengrauen in Jux: Mit der großen Politik sind viele Bürger hier unzufrieden und machen ihr Kreuzchen rechts außen. Foto: Alexander Becher

Von Nicola Scharpf

Spiegelberg. Dass die AfD bei der Europawahl Anfang Juni außerordentlich erfolgreich in Spiegelberg war, überrascht nicht sonderlich – war die Gemeinde bereits bei vorangegangenen Wahlen in früheren Jahren dadurch aufgefallen, dass hier mehr Wähler als im Durchschnitt ihr Kreuzchen sehr weit rechts machen. In ganz Baden-Württemberg ist Spiegelberg sogar die einzige Kommune, in der die AfD auf europäischer Ebene stärkste Kraft wurde: mit gut 30 Prozent in der Gesamtgemeinde, im Wahlbezirk Jux sogar mit über 40 Prozent. Bei der Regionalwahl stieg der Zustimmungswert auf über 32 Prozent (in Jux 40,5 Prozent), auf Kreisebene auf 27 Prozent (in Jux 32,4 Prozent). Entsetzen darüber ist nur vereinzelt hörbar, die Frage nach dem Warum stellt sich trotzdem: Warum findet die AfD in Spiegelberg so viel Zustimmung?

Fakten helfen bei Erklärungsversuchen nicht wirklich weiter. Die Polizeidirektion Aalen hat 2023 in dem etwa 2100 Einwohner zählenden Ort 58 Straftaten erfasst. 50 Spiegelberger waren im Jahresdurchschnitt in der Gemeinde arbeitslos gemeldet, darunter neun Ausländer. Es gibt also wenig Kriminalität im Ort, wenig Arbeitslosigkeit, auch nur 95 Bürger mit ausländischem Pass und aktuell 23 Asylbewerber. „Die Leute sind in Vereinen engagiert, haben Häuser, tolle Jobs und einen Mercedes. Denen geht es gut“, findet eine Bürgerin, die sich als politisch engagiert gegen Rechtsradikalismus bezeichnet. Das Erstarken der AfD in Spiegelberg sei überhaupt nicht verständlich.

Um den Standard zu halten, nehmen viele zusätzlich Nebenjobs an

Auch für einen jungen Familienvater in Jux, der an einem dämpfig-heißen Vormittag gut drei Wochen nach der Wahl am frisch bezogenen Eigenheim arbeitet, ist es das nicht. Aber: „Das mit dem Gutgehen ist so eine Sache“, sagt er und seine Frau mit Baby auf dem Arm nickt dazu. Um den Standard von Kind, Haus, Auto zu halten, müssten immer mehr Leute zusätzlich zu ihrer Haupterwerbstätigkeit Nebenjobs annehmen. „So wie es läuft, sind die Bürger unzufrieden.“ Dass viele die AfD wählen, wertet er als Protest. Selbst fühlt er sich politisch heimatlos: „Ich kann dennoch nicht verstehen, dass man blau wählt, weil deren Argumente ja auch scheiße sind.“

Die Frage nach dem Warum wurde Frank Liesler schon häufig gestellt. Liesler ist seit 2016 AfD-Mitglied, kandidierte 2019 bei den Kommunalwahlen auf der AfD-Liste für den Kreistag, war Vorstand in der AfD-Ortsgruppe Oberes Murrtal und lebte bis vor zwei Jahren in Spiegelberg, bevor er mit seinem Eintritt in die Rente nach Ungarn auswanderte. „Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, Mitglied in der AfD zu sein. Hinter unserem Haus in Spiegelberg war immer die AfD-Fahne gehisst.“ Auch von der Ferne nimmt er weiter Anteil am politischen Geschehen in Spiegelberg. „Es wird gesagt, in Jux sei es der hohe Anteil von Bürgern aus der ehemaligen DDR“, nennt er eine Spur auf der Suche nach Erklärungen für den Wahlerfolg. „Aber ich kann das nicht bestätigen. Meine Meinung, die ich mir in vielen Gesprächen mit den Leuten im Ort gebildet habe, ist, dass die Menschen in Jux wie überall in Deutschland genug von der Politik der Altparteien haben. In Jux hören die Menschen genauer hin und lesen auch mal zwischen den Zeilen.“

Unzufrieden mit der aktuellen Regierung

Aus dem Mund eines Seniors hört sich das an diesem heißen Vormittag vor Ort so an: „Die Leute sind nicht einverstanden mit der Regierung. Die gehört weg. So denkt hier jeder Zweite.“ Er echauffiert sich: „Es geht nicht darum, dass wir rechts sind. Wir sind nicht rechtsdenkend. Wir wollen Frieden.“ Seine Begleiterin springt ihm wortreich bei: „Man muss auch mit blöden Leuten zurechtkommen.“ Sie will lieber ein Leben unter Putin führen, als dass ein Dritter Weltkrieg ausbricht und ihre Söhne zu Kriegsversehrten werden. Sie sagt auch: „Demokratie ist wichtig, um gemeinsam etwas zu erreichen.“ Und: „Wir sind für ausländische Arbeiter. Die schaffen oft besser als wir.“ Im Dorf seien alle Menschen im Übrigen hilfsbereit, hier helfe jeder jedem.

Weitere Themen

Die bereits zitierte politisch Engagierte will sich auf keine Diskussionen mehr einlassen und daher auch ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. „Das ist ein schwieriges Pflaster. Ich habe gar keinen Bock mehr, darüber zu diskutieren. Viele sind der Diskussion nicht gewachsen.“ Als Nährboden für rechtsradikales Denken macht sie einen großen Verein in einem der Teilorte aus. Mit Schrecken registriere sie außerdem, dass insbesondere junge Leute im Alter von 30 Jahren bis zu jenen mittleren Alters rechtsradikal eingestellt seien. Sie schäme sich, in der Gemeinde zu wohnen. Ihre Kontakte zu Mitbürgern habe sie mittlerweile reduziert. Sie stellt aber klar, dass nicht die Verhältnisse im Ort Reibungspunkt sind.

Auf das Miteinander im Ort hat das Wahlergebnis keinen Einfluss

Im Gegenteil, Spiegelberg scheint ein Ort zu sein, in dem sich Menschen mit Fluchterfahrung wohlfühlen können. Eine junge Ukrainerin zum Beispiel stellte im letzten Advent ihre gemalten Bilder im Rathaus aus und wendete sich im Gemeindeblatt an die Bevölkerung: „Ich glaube, dass die Natur von Spiegelberg und seine Menschen eine außerordentlich heilende Wirkung auf meine Seele hatten. Ich habe hier einen Zufluchtsort und Freunde gefunden.“

Auf das Zusammenleben in der Gemeinde scheint das Wahlergebnis vordergründig keinen Einfluss zu haben. Das bestätigt ein Gewerbetreibender aus Jux, der sich mit den Worten „Ich bin nicht der Befürworter, dass es so ausgeartet ist“ politisch verortet. „Ich muss wegen meiner Firma anders denken. Es sollte ein gesundes Mittelmaß sein.“ Die Betriebsamkeit in seiner Firma führt er als Grund an, weshalb er das Wahlergebnis im Freundes- und Bekanntenkreis nicht besprochen habe. „Politische Sachen werden hier im Ort nicht besprochen“, bestätigt Ernst Bednjak, der die AfD nicht gewählt hat. Auf die Frage nach dem Warum: „Darauf gibt es keine Antwort.“ Auch unter seinen Vereinskameraden von der Juxer Albvereinsgruppe werde die Politik ausgespart. „Wir reden nicht darüber. Je mehr man es publik macht, desto schlimmer wird es.“

Unrecht hat er damit sicher nicht: In Facebook-Gruppen mit Bezug zu Spiegelberg wurde der AfD-Wahlerfolg sehr wohl rege diskutiert – viele Debattierende gaben sich namentlich zu erkennen. In der Zwischenzeit haben einzelne Bürger nach ihrer gegen Rechtsradikalismus gerichteten Meinungsäußerung anonyme Drohschreiben erhalten, was Bürgermeister Max Schäfer zu einem Beitrag im Gemeindeblatt veranlasste, in dem er Sachlichkeit in der politischen Debatte anmahnte. „Ich bin froh darüber, dass derartige Vorkommnisse die absolute Ausnahme sind und nahezu die gesamte Spiegelberger Bürgerschaft für Meinungsvielfalt statt für Meinungseinfalt eintritt.“

Zum Artikel

Erstellt:
4. Juli 2024, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!

Stadt & Kreis

Sternekoch bringt nur regionale Produkte auf den Teller

Auf Einladung des Landtagsabgeordneten Ralf Nentwich stellt Simon Tress sein außergewöhnliches Gastronomiekonzept vor. Beim „Küchenschwatz“ im Kabirinett geht es auch um ein mögliches Modellprojekt in der Region.

Stadt & Kreis

B-14-Anwohner fordern Verbot für Motorräder

An einem Wochenendtag können sie nur selten in Ruhe entspannen: In Großerlach und Spiegelberg sind die Anwohner die lärmenden und riskanten Motorradfahrer leid. Sie wünschen sich Fahrverbote am Wochenende, intensivere Polizeikontrollen und eine Halterhaftung.