In Stuttgart wird es künftig noch dunkler
Trotz starker Kritik am nächtlichen Abschalten von Straßenlaternen in Stuttgart, verteidigt die Stadt das Ganze zugunsten des Naturschutzes. In den kommenden zwei Jahren werden noch mehr Lichter ausgehen.
Von Julia Bosch
Stuttgart - Für manche Interessenskonflikte gibt es keine gute Lösung. Dazu zählt in Stuttgart die nächtliche Beleuchtung von Straßen. Einerseits gibt es den Wunsch nach mehr Laternen – etwa weil Menschen sich im Dunkeln unwohl fühlen, Radfahrer den Weg schlechter erkennen sowie selbst nicht gesehen werden, oder weil Gastronomen wollen, dass der Weg zu ihrem Lokal für die Gäste gut beleuchtet ist. Doch andererseits gibt es Erkenntnisse dazu, was nächtliche Beleuchtung mit Tieren macht.
Der Stuttgarter Umweltbürgermeister Peter Pätzold sagte dazu kürzlich: „Lichtverschmutzung ist einer der wesentlichen Faktoren für den deutlichen Rückgang der Artenvielfalt.“ Es sei richtig und wichtig, dass die Beleuchtung im Außenbereich „auf das erforderliche Maß“ reduziert werde.
Im Sommer wurde an vielen Straßen in Stuttgart die Beleuchtung verändert. Teils ist es dort nun nachts vollständig finster, teils nur zeitweise, teils werden Bewegungsmelder genutzt. Wo genau die Lichter ausgeschaltet wurden, hat eine Arbeitsgruppe mit Vertretern mehrerer Ämter gemeinsam entschieden.
Grund für die Abschaltung ist das Naturschutzgesetz in Baden-Württemberg. Dieses sieht vor, dass künstliche Beleuchtung in Außenbereichen zu vermeiden ist sowie bis zum Jahr 2030 alle Straßen- und Gehweglaternen im öffentlichen Raum durch insektenfreundliche Beleuchtung um- oder nachgerüstet werden müssen.
Konkret wurden rund 550 Leuchten an 30 Strecken in Stuttgart dauerhaft ausgeschaltet. An vier Strecken hat man auf eine temporäre Abschaltung zwischen 23 und 6 Uhr umgestellt. Teils wird auch mit Sensoren gearbeitet; das Licht wird also nur dann richtig hell, wenn sich jemand nähert. Das ist etwa in der Katzenbachstraße in Vaihingen der Fall. Außerdem wird am Hafen mit verschiedenen Beleuchtungsstärken experimentiert.
In den vergangenen Wochen beklagten sich mehrere Menschen über die nächtliche Ausschaltung der Straßenbeleuchtung. Die CDU im Gemeinderat stellte einen entsprechenden Antrag. Aber auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) beklagte sich. Viele Anwohner beschwerten sich ebenfalls in E-Mails an unsere Redaktion.
Eine Frau, die im Stadtteil Dachswald wohnt (Bezirk Vaihingen) berichtet etwa, dass bei ihr nur alle 20 Minuten ein Linienbus fahre, abends alle 30 Minuten bis Mitternacht. Darum sei sie früher oft diese Strecke durchs Elsental gegangen – doch das habe sich nun geändert. „Es ist auch unangenehm, morgens auf den Bus zu warten, wenn sich wenige Meter weiter ein schwarzes Nichts befindet“, sagt sie. „Generell sind wir nun noch schlechter an andere Stadtteile angebunden.“ Zudem würden dort auch Kinder und Jugendliche Rad fahren – und der kleine Lichtkegel der Fahrräder reiche oft nicht aus, um auf sich aufmerksam zu machen und die Straße und Gehwegbegrenzung gut im Blick zu haben.
Auch ein Mann aus Sillenbuch ist fassungslos: „Politik und Verwaltung suchen seit Jahren verzweifelt nach Konzepten und Maßnahmen, um das desolate Sicherheitsgefühl und die kaum noch vorhandene Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu retten.“ Da sei das Abschalten der Straßenbeleuchtung ein Schritt in die falsche Richtung, findet er.
Laut dem Amt für Umweltschutz beeinträchtigt die nächtliche Beleuchtung nicht nur Insekten, von denen in Deutschland rund 60 Prozent nacht- und dämmerungsaktiv sind. Diese werden vom Licht angezogen und umkreisen es teils so lange, bis sie verenden. Das wiederum habe Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem. Bei Vögeln könne nächtliche Beleuchtung Folgen für deren Fortpflanzung, Mauser und Brut haben. Zudem könnten Zugvögel an beleuchteten Gebäuden kollidieren. Und bei Fledermäusen gebe es zwar einige lichttolerante Arten, aber die meisten verließen ihre Quartiere nur bei Dunkelheit. Künstliche Beleuchtung führe zur Zerschneidung der Lebensräume und zu geringeren Überlebenschancen im Winter, heißt es von den Umweltexperten.
Auch für Bäume habe die nächtliche Beleuchtung Folgen: Diese führe zu verspätetem Laubabwurf und verfrühter Blütezeit, heißt es. Dadurch entstünden Frostschäden – und zur Blüte seien dann keine Bestäuber, also Insekten, da. Letztlich führe all dies „zur Entkopplung von biologischen Rhythmen in Ökosystemen“, so das Umweltschutzamt.
In Bezug auf Radwege heißt es vom Landesverkehrsministerium, dass außerhalb geschlossener Ortschaften „an Problemstellen (zum Beispiel an Engstellen, bei Hindernissen, an Kreuzungsstellen und Unterführungen) eine Beleuchtung erforderlich sein kann“. Darüber hinaus sei diese aber „grundsätzlich zu vermeiden“.
In den Jahren 2025 und 2026 sollen an weiteren 51 Strecken in Stuttgart 1250 Leuchten temporär ausgeschaltet werden. Und weil auf Sportplätzen noch viele alte Flutlichter im Einsatz sind, die weit über das Spielfeld hinaus strahlen, sollen diese durch modernere Anlagen ersetzt werden. Einige Ausnahmen bleiben aber bestehen: Der Stuttgarter Fernsehturm etwa wird aus Sicherheitsgründen auch weiterhin nachts beleuchtet.