Interview: „Die Pflege ist so nicht mehr finanzierbar“

Die Leiterin der Diakoniestation Mittleres Murrtal engagiert sich dafür, die ambulante Pflege zukunftsfähig zu gestalten.

Um die Pflege alter Menschen künftig zu stemmen, sind gesamtgesellschaftliche Lösungen gefragt. Symbolbild: Stock Adobe

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Um die Pflege alter Menschen künftig zu stemmen, sind gesamtgesellschaftliche Lösungen gefragt. Symbolbild: Stock Adobe

Im Mai haben Sie, Frau Bobleter, am ersten Pflegegipfel des Rems-Murr-Kreises teilgenommen. War er Ihrer Meinung nach ein gelungener erster Schritt, um die Zustände in der Pflege zu verbessern?

Ich finde auf jeden Fall, dass es ein gelungener erster Schritt war. Es muss in der Gesellschaft ankommen, wie es um die Pflege steht. Und ich finde, dass das Thema in der Politik viel zu wenig aufgegriffen wird. Auch in den Medien wird oft wenig darüber berichtet. Die Menschen merken letztendlich erst, dass es Probleme gibt, wenn es sie selbst betrifft.

Die Interviewpartnerin Natascha Bobleter, Geschäftsleiterin der Diakoniestation Mittleres Murrtal.

© Tobias Sellmaier

Die Interviewpartnerin Natascha Bobleter, Geschäftsleiterin der Diakoniestation Mittleres Murrtal.

Was können die Beteiligten auf Kreisebene überhaupt erreichen?

Es muss in der Gesellschaft einfach ankommen, welche Probleme es gibt und dass die Pflege so nicht mehr finanzierbar ist. Manchen Menschen ist überhaupt nicht klar, dass es schon fünf nach zwölf ist. Vorschläge gibt es genug, auch von den Trägerverbänden. Zum Beispiel eine Pflegevollversicherung. Es müssen qualifizierte Menschen die Entscheidungen treffen. Menschen, die wissen, um was es eigentlich geht.

Wie überlastet ist derzeit die Diakoniestation Mittleres Murrtal?

Wir haben aktuell in einem unserer Gebiete eine Warteliste im hauswirtschaftlichen Bereich. Die pflegerischen Leistungen können alle abgedeckt werden. Aber das kann sich innerhalb einer Woche wieder komplett ändern. Manchmal sind das auch Leistungserhöhungen von einmal Duschen in der Woche auf dreimal. Das muss auch bewältigt werden. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir im Moment genügend Pflegefachkräfte haben und wir die Anfragen bedienen können.

Was sind die wichtigsten Punkte, die den Beruf des ambulanten Pflegers attraktiver machen würden?

Ich finde, dass der Beruf in der ambulanten Pflege sehr attraktiv ist. Man kann sehr gut die Familie und den Beruf vereinbaren. Das ist viel besser möglich als im stationären Bereich. Wir haben zum Beispiel Müttertouren, die um 7.30 Uhr beginnen und um 13 Uhr aufhören. Wir gucken, dass die Mitarbeiter so arbeiten können, wie sie es brauchen. Sie machen Beratungsbesuche und diese können die Mitarbeiter individuell planen. Ich finde es auch attraktiv, dass man beim Hausbesuch nur für den Patienten da ist. Keine Glocke klingelt irgendwo, sondern ich bin da und kann meine Arbeit machen, und das sehr individuell und abwechslungsreich. Wir kommen als Gast in den Haushalt und müssen uns den Begebenheiten vor Ort anpassen. Hilfsmittel, die wir benötigen, bekommen wir im Normalfall. Aber es ist oft eine Riesenbürokratie, bis das Genehmigungsverfahren durch ist.

Wieso sollte die ambulante und stationäre Pflege sektionsübergreifend finanziert werden?

Im Gespräch ist die sektionsübergreifende Pflege schon lange und sie steht eigentlich auch im Koalitionsvertrag. Mit ihr wäre vieles einfacher und schneller umsetzbar. Die Hürden wären abgebaut, Doppelungen könnte man vermeiden und die Grundlage für die Finanzierung wäre die Bestimmung des individuellen Bedarfs.

Wie können „Caring Communities“ dem Pflegenotstand entgegenwirken?

„Caring Communities“ bedeutet „sorgende Gemeinschaft“. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft muss wieder ins Bewusstsein gerufen werden. Wir müssen hinschauen: Was brauchen wir? Jeder und jede ist gefragt und sollte dazu beitragen, dass das gelingen kann. Damit wir mit dem Alter, aber auch generationsübergreifend gut miteinander leben können.

Können Sie ein Beispiel nennen? Ist ein Mehrgenerationenhaus Teil davon?

Ja, es kann ein Teil davon sein. Auch Aspach möchte sich des Themas annehmen und einen Antrag für das Förderprogramm Quartiersimpulse stellen. Dabei wird unter anderem eine Quartierslösung gesucht, wie die pflegerische Versorgung aussehen kann.

Das Gespräch führte Anja La Roche.

Hier kommen Sie zu unserer Reportage: Ein Tag mit einer ambulanten Pflegerin.

Zur Person Natascha Bobleter leitet die Diakoniestation Mittleres Murrtal und vertritt die ambulanten Pflegedienste im Rems-Murr-Kreis. Die 49-Jährige ist zudem Ortsvorsteherin in Backnang-Heiningen. Foto: Tobias Sellmaier

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Erstellt:
29. Juni 2023, 11:22 Uhr

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