Interview mit Backnangs OB Friedrich: „Aufnahmefähigkeit ist begrenzt“
Interview Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich blickt auf ein Jahr voller Krisen zurück. Bei der Unterbringung von Geflüchteten fordert er eine gerechtere Verteilung, beim Klimaschutz will er ambitionierte Ziele.
Sie haben Ihr Amt vor eineinhalb Jahren mitten in der Coronakrise angetreten. Dieses Jahr kamen noch eine Energiekrise und eine Flüchtlingskrise hinzu. Es gibt sicher einfachere Zeiten für den Start als Oberbürgermeister.
Das stimmt. Früher kamen Krisen üblicherweise nacheinander, im Idealfall mit mehreren Jahren Pause dazwischen. Mittlerweile haben wir bei den Krisen eher eine Stapel- und Haufenbildung. Die Vielzahl an Themen, die auf uns einprasseln, fordert die Verwaltung extrem. Vonseiten der großen Politik besteht aber nach wie vor die Erwartungshaltung, dass die Kommunen immer noch mehr Aufgaben übernehmen sollen. Oft erhalten wir dafür aber nicht die notwendige finanzielle Ausstattung.
Mit Ihren OB-Kollegen aus dem Rems-Murr-Kreis haben Sie einen Brandbrief an die hiesigen Abgeordneten geschickt. Darin schreiben Sie, die Städte und Gemeinden kämen bei der Flüchtlingsaufnahme an die Grenzen der Belastbarkeit. Sie fordern eine Obergrenze. Wollen Sie geflüchtete Menschen in Kriegsgebiete zurückschicken?
Mir ist schon klar, dass natürlich die Genfer Konvention gilt. Aber es bräuchte sehr dringend einen europäischen Verteilungsmechanismus. Wenn man etwa sieht, dass Baden-Württemberg mehr Menschen aus der Ukraine aufgenommen hat als ganz Frankreich, dann ist da schon ein gewisses Missverhältnis gegeben, zumal wir auch bereits in den Jahren 2015 bis 2017 sehr, sehr viele Menschen aufgenommen haben. Wir sind jetzt in der Situation, dass wir bald wieder Menschen in Zelten oder Hallen unterbringen müssen. Das kann eigentlich keine sinnvolle und adäquate humanitäre Unterbringung sein. Es gibt aus meiner Sicht keine unbegrenzte Aufnahmefähigkeit.
Für Ihren Brief bekamen Sie im Gemeinderat Lob von der AfD. War das Ihre Absicht?
Kommunalpolitik ist für mich keine Frage von Parteien, sondern es geht immer um die Lösung von Problemen. Und ich habe, wenn ich mich richtig erinnere, in dieser Frage nicht nur Lob von der AfD-Fraktion bekommen, sondern es war großer Konsens eigentlich aller Fraktionen, dass es richtig war, dieses Signal zu setzen. Es geht mir dabei nicht um Effekthascherei.
Weil kaum noch Erdgas aus Russland fließt, sind die Energiepreise massiv gestiegen, auch bei den Stadtwerken Backnang, bei denen Sie den Aufsichtsrat leiten. Welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser Entwicklung?
Dass die Stadtwerke ein wichtiger Transmissionsriemen sein müssen, um die Energiewende im Stadtgebiet voranzubringen. Es wird unsere Aufgabe sein, sukzessive die Quartiere umzurüsten, die einen hohen fossilen Energieverbrauch haben. Es gibt Wohngebiete in Backnang, in denen noch sehr viel mit Erdöl geheizt wird. Wir haben auch Gewerbegebiete, die extrem viel Energie verbrauchen. Dort gilt es, den Hebel anzusetzen, wenn wir uns aus der Abhängigkeit anderer Länder lösen wollen. Die Stadtwerke müssen dazu ihren Beitrag leisten.
Sie wollen Backnang zu einer klimaneutralen Stadt machen, möglichst bis 2035. Erste Berechnungen haben nun gezeigt, dass dafür etwa die jährliche Sanierungsquote für Gebäude in Backnang verzehnfacht werden müsste. Stadträtin Charlotte Klinghoffer wirft Ihnen deshalb vor, Sie verbreiteten Utopien. Hat sie nicht recht?
Da möchte ich ganz entschieden widersprechen. Ich finde unseren Weg richtig, dass wir nicht voreilig ein Zieljahr festlegen, sondern erst einmal die notwendigen Schritte aufzeigen, die zur Zielerreichung notwendig sind. Ich bin davon überzeugt, dass auch nach 2035 noch CO2 emittiert wird. Die Frage wird aber sein, in welcher Menge und ob wir das dann durch andere Maßnahmen kompensieren können. Das möchte ich dem Gemeinderat transparent darstellen und dann werden wir uns auf ein gemeinsames Ziel verständigen. Im Zweifel finde ich es aber schon richtig, ein ambitioniertes Ziel auszugeben. Hätten wir kein Ziel, würden wir das Signal aussenden, dass uns das Thema nicht wichtig und dringlich ist. Das hielte ich für grundverkehrt. Was jetzt zählt, ist der Ausbau der regenerativen Energieversorgung bei uns vor Ort.
Aber ist es sinnvoll, ein Ziel auszurufen, das die Stadt selbst nur in geringem Maße beeinflussen kann?
Sie haben insofern recht, dass der unmittelbare Anteil an Treibhausgasen, der auf die Stadt selber entfällt, relativ gering ist, wahrscheinlich im Bereich von zwei bis drei Prozent. Umso wichtiger ist es, dass wir in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Themen schaffen. Denn Ziele können wir nur im Gleichklang mit der Bürgerschaft und den Gewerbetreibenden erreichen. Und das muss mit Unterstützung des Bundes und des Landes auch durch Förderprogramme flankiert werden.
Allzu viel hat sich seit Ihrem Amtsantritt in Sachen Klimaschutz aber noch nicht getan. Welche Fortschritte dürfen wir im nächsten Jahr erwarten?
Da möchte ich widersprechen. Wir haben zusammen mit unseren Nachbargemeinden die größte Wärmeplanung in Baden-Württemberg auf die Beine gestellt. Diese wird ein zentraler Baustein unseres künftigen Klimaschutzkonzeptes sein. Auch unsere neue Klimamanagerin hat ihre Arbeit bereits aufgenommen. Jetzt wollen wir rasch in die Umsetzung kommen. Eine nachhaltige Planung benötigt bis zur Umsetzung aber eine gewisse arbeitsintensive Vorlaufzeit.
Was haben Sie da konkret auf der Agenda?
Quartierslösungen sind das Stichwort. Wenn es um neue Quartiere geht, wie zum Beispiel das IBA-Areal, ist es aus meiner Sicht dringend geboten, dass diese so geplant werden, dass der CO2-Ausstoß extrem niedrig ist. Aber auch für bestehende Quartiere brauchen wir Lösungen, etwa mit Nahwärmenetzen, die mit regenerativen Quellen betrieben werden, wie wir es auf der Oberen Walke planen. Aber da muss jedes Gebiet individuell betrachtet werden.
Der Haushalt, den der Gemeinderat verabschiedet hat, sieht nächstes Jahr einen Anstieg der Schulden von 2,7 auf 25 Millionen Euro vor, 2026 soll der Schuldenstand sogar bei fast 60 Millionen Euro liegen. Wird Ihnen bei solchen Zahlen nicht schwindelig?
Generell bin ich ein Freund sehr schwäbischer Haushaltspolitik. Als Bürgermeister von Berglen ist es mir sogar gelungen, die Kommune gänzlich schuldenfrei zu bekommen. Ich finde aber, man muss immer differenzieren, wofür man investiert. Was natürlich nicht geht, ist mit Darlehen den laufenden Betrieb zu finanzieren. Wenn man Kredite aber für sinnvolle Investitionen in die Zukunft aufnimmt, sind Schulden per se nichts Schlechtes. Im Übrigen war es bisher meistens so, dass nicht alle negativen Erwartungshaltungen aus der Haushaltsplanung eingetreten sind. Ich bin zuversichtlich, dass das auch weiterhin so sein wird.
Sie planen eine Verwaltungsreform, bei der die Zahl der Dezernate im Rathaus von drei auf vier erhöht werden soll. Warum braucht Schorndorf nur zwei Dezernenten und Backnang vier?
Ich denke, man kann da keinen direkten Vergleich zwischen Schorndorf und Backnang ziehen, sondern es kommt auf die konkrete Aufgabenerfüllung an. Zum einen hat Backnang eine vereinbarte Verwaltungsgemeinschaft. Das heißt, wir sind insgesamt für mehr als 80000 Bürgerinnen und Bürger zuständig. Zum anderen ist es so, dass wir in den nächsten Jahren eine Vielzahl von Aufgaben zu erfüllen haben und sich die Frage stellt: Wie können wir diese am besten bewerkstelligen? Mir geht es darum, dass unsere Verwaltungsabläufe effizienter werden. Das Modell, das wir vorgeschlagen haben, führt zu niedrigeren Kosten als das Modell, das Backnang früher einmal hatte, und es gibt auch mehrere Beispiele von Kommunen vergleichbarer oder sogar geringerer Größe, die mit vier Dezernaten arbeiten.
Mit dem Bau eines zweiten Viadukts soll der B-14-Ausbau im nächsten Jahr endlich weitergehen. Viele Probleme und Fragen sind aber nach wie vor nicht geklärt. Bauherr ist der Bund. Täuscht der Eindruck, dass die Wünsche der Stadt Backnang den Entscheidern dort relativ egal sind?
Wir sind in einem sehr engen und konstruktiven Austausch mit dem Bund, vertreten durch das Baureferat des Regierungspräsidiums. Allein an der Tatsache, dass jetzt ein Teil der Projekts vorgezogen wird, nämlich der Bereich ab dem zweiten Viadukt bis zur Krähenbachkreuzung, sehen Sie, dass unser Einfluss nicht gering ist. Denn das war einer der Punkte, für die sich die Stadt eingesetzt hat. Die größte Dissonanz gibt es an zwei Stellen: Das ist zum einen die Leistungsfähigkeit der Anschlussstelle Backnang-Süd an der Spritnase und das zweite ist die Frage der Führung der landwirtschaftlichen Verkehre.
Müssen die Backnanger befürchten, dass der vierspurige Ausbau am Ende mehr Nachteile als Vorteile bringt?
Klar ist, dass dieser Ausbau, wenn er einmal abgeschlossen ist, die Weichen für Jahrzehnte stellt. Deshalb kämpfen wir für eine Lösung, die so leistungsfähig ist, dass nicht nur unsere Verkehre aus dem Stadtgebiet, sondern insbesondere auch die aus dem Weissacher Tal schnell und zügig angebunden und dadurch die Ortsdurchfahrten von Waldrems und Heiningen entlastet werden.
Bei der Gemeinderatssitzung im März hatte man aber nicht den Eindruck, dass die Herren vom Regierungspräsidium gewillt sind, ihre Pläne zu ändern.
Ich denke, niemand bestreitet, dass der Vorschlag der Stadt Backnang nicht nur sehr interessant, sondern mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch der leistungsfähigere ist. Die Frage ist nur, wer würde für diese Variante die Kosten übernehmen? Wir sind dazu in politischen Gesprächen und im Austausch auf Arbeitsebene. Am Ende ist es natürlich so, dass der Bund Bauherr ist. Aber wo wir unseren Einfluss geltend machen können, da werden wir das auch tun.
Im Sommer durften Sie endlich das 50. Backnanger Straßenfest eröffnen, das wegen der Pandemie zweimal ausgefallen war. Wie haben Sie diese vier Tage erlebt? Sie sind ja kurz davor auch zum zweiten Mal Vater geworden.
Für mich persönlich war das eine sehr turbulente Phase, aber ich habe es als eine riesengroße Ehre empfunden, dieses Jubiläumsfest eröffnen zu dürfen. Klar ist aber auch, dass ich in meiner Aufgabe als Oberbürgermeister das Fest natürlich nicht mehr so wahrnehmen kann wie ich das früher konnte. Früher war ich als Privatperson unterwegs und habe immer eine Vielzahl von Freunden und Bekannten getroffen. Als Oberbürgermeister war ich an den vier Tagen nun schon sehr stark eingebunden.
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Momentan leben Sie mit Ihrer Familie noch in Berglen. Wann folgt auf den beruflichen Wechsel auch der private?
Wir haben vor Kurzem in Backnang ein
95 Jahre altes Haus gekauft und werden dieses nun kernsanieren und in ein Mehrgenerationenhaus umbauen. Sobald dieser Umbau abgeschlossen ist, werden wir so schnell wie möglich umziehen.
Das Gespräch führte Kornelius Fritz.