„Islamverband nicht in der Mitte der Gesellschaft“
Rückwärtsgewandt und abgeschottet – so bewertet der Islamexperte Friedmann Eißler den Islamverband VIKZ, dessen lokaler Ableger in Leinfelden-Echterdingen um einen Moschee-Rohbau ringt.
Von Michael Weißenborn
Stuttgart - Die Filder-Kommune hat einen langen Rechtsstreit mit dem Moscheeverein VKBI, ein lokaler Ableger des Kölner Islamverbands VIKZ (Verband der Islamischen Kulturzentren), für sich entschieden. Streitpunkt: Der örtliche Moscheeverein wollte ein Schülerheim bauen. Das wollte die Stadt nicht. Aber was wird nun aus dem Moschee-Rohbau? Friedmann Eißler, der Islambeauftragte der Evangelischen Landeskirche, erklärt, mit wem es Stadt und Gemeinderat bei den anstehenden Gesprächen zu tun haben.
Herr Eißler, die Lehren des VIKZ und seines lokalen Ablegers VKBI gelten als ultrakonservativ und archaisch. Warum diese Rückwärtsgewandtheit?
Die Ursprünge des VIKZ liegen in der anfangs brachial-laizistischen Türkei der 1920er Jahre, wo verschiedene religiöse Gegenbewegungen das islamische Erbe, die eigene religiöse Identität gegenüber dem säkularen Staat bewahren wollten. Pate stand beim VIKZ der Sufi-Orden der Naqschbandis. Da ging und geht es um die strenge Imitation Muhammads, ohne irgendwelche Neuerungen. Das heißt: Eine zeitgemäße Anpassung der Glaubensformen ist gerade nicht erwünscht.
Experten beklagen, wie schwierig es ist, echte Einblicke zu bekommen. Warum diese Intransparenz?
Das hängt auch mit den Ursprüngen zusammen. Zur Pflege der eigenen religiösen Identität unterhält der VIKZ ein eigenes Bildungssystem, das sich in einem Gegensatz zum säkularen Bildungssystem in der Gesellschaft sieht. Erst in der Türkei und nun auch hier. Da geht es um die islamischen Regeln, um Richtig und Falsch, um die strikte Geschlechtertrennung von Mann und Frau. Religiös begründet werden Hürden zwischen Männern und Frauen geradezu anerzogen.
Wie ist das mit einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft vereinbar?
Wenn in der Erziehung die Sorge vor Verunreinigung und Beeinflussung durch die nichtislamische Gesellschaft im Vordergrund steht, wenn der westliche säkulare Einfluss als problematisch und gar als Feind des Glaubens gesehen wird, führt das zu einer Distanzierung von der Gesellschaft. Die Lebensrealität der Gläubigen in Deutschland kommt in der religiösen Bildung der Gemeinschaft kaum bis gar nicht vor. Sie nennt es „wertkonservativ“. Da ist im Rahmen der Religionsfreiheit viel möglich.
Die religiöse Unterweisung, auch in Schülerheimen, ist das Markenzeichen. Der VKBI hat „Integration“ im Namen. Warum die Abschottung selbst in der dritten und vierten Generation?
Ein wichtiges Ziel ist das strikte formale Befolgen einer etablierten Glaubenspraxis, der Sunna, und des Korans. Ein Leben, das sich an die Regeln der Religion hält und Wachsamkeit gegenüber den Feinden des wahren Glaubens, das ist in der Erziehung leitend. Wir sehen eine strukturelle Integration, die kaum mehr als die Sprache und ökonomische Interessen im Blick hat.
Der Verband beklagt die Ablehnung in der Gesellschaft, pflegt aber selbst eine Distanz. Gehört das nicht zusammen?
Religionsfreiheit ist in Deutschland ein wichtiger Wert. Bei der Ausübung der Religion steht es jedem frei, auch konservative Werte zu leben. Aber unter der Voraussetzung, darüber nachzudenken, was es heißt, in einer freien und pluralen Gesellschaft zu leben. Aus der religiösen Haltung heraus muss es also eine Art Aneignung geben von dem, was in Deutschland passiert.
Wie könnte ein konstruktiver Umgang mit dem VIKZ aussehen?
Aufgrund seines religiösen Kerns wird man einen solchen Verband nicht inhaltlich ändern können. Also: nicht den Verband fördern, aber die Menschen nicht verlieren. Die einzelnen Mitglieder wollen wir gewinnen. Das heißt, da wo wir den Menschen begegnen, in der Stadtgesellschaft, in den Schulen, sollten wir sie mehr einbeziehen.